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Quelle: dpa

Berliner Weihnachtsmärkte ohne Musik

Leiser die Glocken nie klingen

Bald starten in Berlin die Weihnachtsmärkte, und mancherorts wird es keine musikalische Berieselung geben. Grund: Die Veranstalter müssen für Gema-Gebühren deutlich tiefer in die Tasche greifen. Manchem stellt sich sogar die Existenzfrage. Von Frank Preiss

Eine böse Bescherung haben zahlreiche Veranstalter von Berliner Weihnachtsmärkten erlebt, als ihnen nach der ersten Nach-Corona-Saison die Gema-Rechnung für die Musikbeschallung ins Haus flatterte. Bei den meisten vervielfachten sich die Kosten für Musik. Und auch in diesem Jahr wird sich daran nichts ändern.

Die im Jahr 2018 mit der Bundesvereinigung der Musikveranstalter ausgehandelte Tariferhöhung ist dafür kaum verantwortlich. Vielmehr setzt die "Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte" seit 2022 jene Regelung konsequent durch, die eigentlich schon seit langem gilt und den Marktbetreibern die Wut ins Gesicht treibt: Die Gema rechnet für die gebührenpflichtigen Titel nicht nur die räumliche Größe der Beschallung rund um die Bühne oder den jeweiligen Lautsprecher an - sondern die Größe des gesamten Veranstaltungsbereichs.

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Gezahlt werden muss grundsätzlich für Musik, deren Urheber noch nicht mindestens 70 Jahre tot ist. Alte Klassiker wie "Oh Tannenbaum" oder "Ihr Kinderlein kommet" sind gebührenfrei – es sei denn, es werden Umarbeitungen und Neufassungen gespielt, deren Urheber noch nicht seit 70 Jahren gestorben sind.

Wird beispielsweise die instrumentale Ur-Version des im 19. Jahrhundert komponierten "Jingle Bells" gespielt, ist das gemafrei. Wird jedoch die beliebte Version von Frank Sinatra gespielt, der im Jahr 1998 gestorben ist, fallen Gebühren an. Es sei denn, man spielt die Version von Glenn Miller, der bereits 1944 starb. Es ist also kompliziert.

Für vergleichsweise jüngere Evergreens wie "Last Christmas", "White Christmas" oder "Driving Home for Christmas" liegt die Sache dagegen schnell auf der Hand: Für sie muss bezahlt werden.

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Weniger Musik in Dahlem, gar keine am Roten Rathaus

"Da fallen mindestens 800 Euro an Gema-Gebühren pro Tag an, auch wenn nur 30 Leute diese Musik hören können", rechnet Tobias Frietzsche vor. Er veranstaltet den Weihnachtsmarkt auf der Domäne Dahlem in Berlin-Zehlendorf. "Kindermusik hört man nach 20 Metern nicht mehr, und wir sollen Gebühren für 2.000 Quadratmeter bezahlen. Kleine Künstler, die bei uns musizieren, leiden am meisten darunter. Denn die Gema-Gebühr kostet dreimal so viel, wie wir ihnen an Geld geben können." Konsequenz: "Wir denken in Sachen Musik über eine abgespeckte Form nach."

Noch einen Schritt weiter geht Hans-Dieter Laubinger. Er veranstaltet die "Weihnachtszeit vorm Roten Rathaus" und den Weihnachtsmarkt auf dem Schlossplatz Köpenick. Beide Weihnachtsmärkte werden in diesem Jahr ganz ohne Musik auskommen müssen: "Wir spielen keine Musik mehr, nur noch auf der Eisbahn. Und das kostet uns allein 3.000 Euro", ärgert er sich. "Es macht keinen Spaß mehr, Events zu organisieren bei den hohen Kosten."

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Der Marktleiter des Weihnachtsmarkts vor dem Schloss Charlottenburg, Sebastian Buchmann, sieht den einzigen Ausweg darin, nur noch gemafreie Musik zu spielen. "Wir planen keine zentrale Beschallung, sondern nur Bläser und Musiker, die rein nach Noten spielen, die gemafrei sind." Schwierig werde es aber, wenn Eltern mit ihren Kindern kämen, die dann ihre Geige oder Blockflöte auspacken und moderne Weihnachtslieder spielen, um ihr Taschengeld aufzubessern. "Die müssen wir dann zum Aufhören auffordern, auch wegen der Gema. Das ist natürlich eine sehr undankbare Aufgabe, der wir uns täglich stellen müssen", beklagt Buchmann.

Auf dem Wintermarkt am Berliner Stadtschloss in Mitte und auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Spandauer Rathaus wird es auf jeden Fall ruhig zugehen. "Wir bauen keine Bühne auf. Auf dem Spandauer Rathausvorplatz verzichten wir völlig auf Musik. Wenn Musik abgespielt wird, dann von den einzelnen Schaustellern. Der für das Riesenrad Zuständige muss das dann selbst bezahlen", erklärt Thilo-Harry Wollenschläger, Ausrichter beider Märkte, der zugleich Vorsitzender der Interessengemeinschaft Berlin-Brandenburgischer Schausteller ist. Möglich macht diese Regelung ein eigener Vertrag, der mit der Gema abgeschlossen wurde.

Als Verbandsfunktionär findet er dennoch klare Worte für die Gema-Abrechnungen: "Von Hauswand zu Hauswand ist ein völliger Irrsinn. Das ist von der Logik her nicht nachvollziehbar. Und man kann ja einen Weihnachtsmarkt nicht mit Wacken und seinen riesigen Verstärkern vergleichen. Aber genau das wird getan", ärgert sich Wollenschläger.

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Gema ließ gemeldete Flächen überprüfen

Die Gema verteidigt dagegen die Regelung und verweist auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2011. Das hatte damals eine dagegen gerichtete Klage eines Bochumer Schaustellers zurückgewiesen. Es sei "angemessen, dass die Höhe der Vergütung auch bei Freiluftveranstaltungen nach der Größe der Veranstaltungsfläche - gerechnet vom ersten bis zum letzten Stand und von Häuserwand zu Häuserwand - zu bestimmen." Denn die Musik präge bei solchen Festen die gesamte Veranstaltung: "Da das Publikum vor den Musikbühnen ständig wechselt, hören im Laufe der Zeit in der Summe mehr Zuhörer die Musik, als vor der Bühne Platz fänden."

Dass im vergangenen Jahr viele Weihnachtsmarktbetreiber ihr blaues Wunder erlebt haben, erklärt die Gema derweil auf rbb-Anfrage so: Entweder habe der Marktbetreiber seine Veranstaltungsfläche seit 2019 deutlich vergrößert. Oder es seien bei Flächennachmessungen durch die Gema große Abweichungen zur angemeldeten Veranstaltungsfläche festgestellt worden, auch weil fälschlich bislang nur die beschallte Fläche angemeldet wurde. Während der weihnachtsmarktfreien Corona-Zeit habe man die Flächen mit hochmodernen Geräten nachgemessen und dabei große Diskrepanzen festgestellt.

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Gema räumt Kommunikationsschwäche ein

Letztlich räumt aber auch die Gema ein, die Weihnachtsmarktbetreiber nicht ausreichend darüber informiert zu haben - "weder darüber, dass wir die angemeldeten Flächen nachmessen werden, noch darüber, dass bspw. die Rechnungen für die 35 Kommunen signifikant teurer ausfallen werden. Es war ein Fehler, dass wir hier nicht direkt mit den Kundinnen und Kunden ins Gespräch gegangen sind", heißt es von der Gema-Presseabteilung.

Mit den betroffenen 35 Kommunen, die meisten von ihnen liegen in Hessen und Bayern, habe man inzwischen eine angemessene Lösung gefunden. Die dabei getroffenen Vereinbarungen würden nun auch für die anstehende Weihnachtsmarktsaison angewendet.

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"Ohne Musik ist ein Weihnachtsmarkt tot"

Warme Adventstimmung mag bei den Berliner Weihnachtsmarktbetreiber trotzdem nicht aufkommen. Jens Schmidt betreibt in diesem Jahr erstmals den Weihnachtsmarkt vor dem Schloss Charlottenburg und richtet den Weihnachtsmarkt in der Friedrichstraße aus. Er stellt klar: "Ohne Musik ist ein Weihnachtsmarkt tot."

Die Kosten für Weihnachtsmarktbetreiber seien sowieso schon enorm gestiegen, rechnet Schmidt vor: "Strom hat mal 33 Cent pro Kilowattstunde gekostet, jetzt sind es 45 Cent. Eine Flasche Gas kostete einst 18 Euro, jetzt 28 Euro. Ein Brötchen stieg von 12 Cent auf jetzt 25 Cent, ein Sack Zwiebeln von 35 Euro auf 70 Euro, eine Bratwurst von 35 Cent auf jetzt 80 Cent. Hinzu kommen die ganzen Sicherheitskosten nach dem Amri-Terroranschlag."

Letztlich blieben diese Mehrkosten an den Besuchern hängen, erklärt Schmidt. Bislang verzichtet er auf Eintrittspreise, und er hofft, dass das auch so bleiben kann. Zugleich betont er: "Wenn Sie vorher 5.000 Euro und jetzt 50.000 Euro an die Gema zahlen müssen, müssen Sie die Standgebühren für die Pächter anheben. Das wird viele Pächter verschrecken. Also müssen wir die Preise für die Verbraucher erhöhen - oder die Weihnachtsmärkte sterben aus.“

Beitrag von Frank Preiss

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