Solidaritätsaktion "Berlin welcomes Jews"
Erschreckend mau war die Solidarität für jüdisches Leben in Berlin nach dem Angriff der Hamas auf Israel. Vielen fällt eine klare Positionierung gegen Antisemitismus schwer. Zwei Berliner wollen das ändern. Von Jenny Barke
Der Schneeregen am Nollendorfplatz kann Sascha Suden und Michael Simon de Normier an diesem Nachmittag nicht von ihrer Mission abschrecken. Sie sind darauf vorbereitet. In der Hand halten sie ihre Regenschirme, in ihren Taschen lagern sie trocken ihre Hundert mitgebrachten Aufkleber, zwei kleben bereits an ihren schwarzen Mänteln. Filmemacher Simon de Normier hat sie selbst designt: Handteller große Sticker mit einem blauen Davidstern auf weißem Grund wie die Israel-Flagge. Eine Sternseite säumt das Wort "Welcome" in Großbuchstaben, in der Mitte strahlt ein rotes Herz.
"Nach dem 7. Oktober hatten wir beide den dringenden Wunsch, etwas zu machen. Sonst wären wir in Resignation und fast schon Depression versunken. Denn das ist auch für uns traumatisch genug. Wir sind damit aufgewachsen, dass wir unseren Großeltern zum Teil Vorwürfe gemacht haben, sich für Jüdinnen und Juden nicht eingesetzt zu haben", erklärt Simon de Normier. Sofort war er dabei, als sein Bekannter Sascha Suden die Idee zu einer Solidaritätsbekundung vorschlug: "Ich habe mir überlegt, dass wir Sichtbarkeit schaffen müssen. Dass jüdisches Leben sichtbar wird und der Davidstern ist ein gutes Zeichen, Jüdinnen und Juden willkommen zu heißen", sagt Suden.
Auf der Maaßenstraße wollen sie mit Ladeninhabern, Restaurantbetreiberinnen und Händlern ins Gespräch kommen und sie dafür begeistern, ihre Sticker ins Schaufenster zu kleben. Erste Station: Der Papiertiger, ein Schreibwarengeschäft. Händler Ephraim Asshabi ist selbst Perser. Bei ihm haben sie sofort Erfolg. "Ich habe nichts gegen Israel, gegen Juden, wir alle sind Menschen auf dieser Erde. Also warum nicht?" Allerdings macht er sich auch Sorgen vor dem Protest, den der Davidstern an seiner Glastür auslösen könnte. Als die beiden Aktivisten seinen Laden wieder verlassen, schiebt er hinterher: "Ich hoffe, dass wir mit dieser Art und Weise nicht in Gefahr kommen, dass sie meinen Laden zerschrammeln. Ich habe Angst vor Arabern, dass sie kommen und sagen: 'Was ist das hier?'"
Die Sorgen können die beiden Berliner verstehen. Dennoch halten sie dagegen: Auch wenn es manchmal schwer fällt, sei es sehr wichtig, offen über das Thema Antisemitismus zu sprechen und klar Contra zu geben.
Vor knapp einem Monat waren sie das erste Mal mit ihren Aufklebern unterwegs. Damals haben sie die Davidsterne an Geschäfte in Charlottenburg verteilt. Die Resonanz war überwiegend positiv, sagt Simon de Normier: "Als erstes hatte sich meine Tochter einen Schmuckladen ausgesucht. Da hat man uns empfangen, als hätte man schon auf uns gewartet."
85 Prozent der Geschäfte haben im November die Sticker in ihre Schaufenster geklebt. Einige wollten jedoch politisch neutral bleiben, erzählt der 50-Jährige. "Dabei geht es hier um Menschlichkeit. Wir sind hier nicht in einem Krieg, sondern in Berlin, und es geht um unser Miteinander." Eine Auseinandersetzung hatte es dann doch gegeben: Ein 37-jähriger israelischer Filmemacher hatte die beiden begleitet und soll von einem Ladenmitarbeiter angegriffen und bedroht worden sein.
"Ich konnte diesen Vorfall nicht einordnen, weil er so aus dem Rahmen fiel", so Simon de Normier. Allerdings sei er vor kurzem wieder in Charlottenburg gewesen und habe die Geschäfte besucht, die die Davidsterne angenommen haben. Viele davon seien wieder entfernt worden.
Vom Weitermachen in Schöneberg hält sie das nicht auf.
Nächste Station: Die Pizzeria von Peruaner Luciano Huayhua. Der findet die Aktion grundsätzlich gut. Einen Davidstern möchte er trotzdem nicht an seinem Restaurant kleben haben. Es entspinnt sich ein Dialog, Huayhua windet sich:
Suden: "Wir würden gerne diesen Aufkleber bei ihnen positionieren."
Huayhua: "Ich möchte in der Mitte stehen und mich nicht positionieren."
Suden: "Wir wollen nur jüdische Mitbürger willkommen heißen, das hat nichts mit Politik zu tun, sondern einfach mit Unterstützung."
Huayhua: "Hier in der Gegend gibt es eh keine Probleme mit jüdischen Menschen."
Suden: "Dann können Sie den ja aufkleben!"
Huayhua: "Aber ich möchte auch nicht, dass meine palästinensischen Kunden das falsch verstehen, dass ich einseitig bin. Ich verliere dann eventuell Kundschaft."
Auch beim benachbarten queeren Bekleidungsgeschäft haben die beiden kein Glück. "Ich bin enttäuscht, weil ich mich auch noch an eine Zeit erinnere, wo meine schwulen Freunde sagten, wir müssen ihnen Beistehen, sonst haben wir Probleme. Und ich finde Beistehen ist besser als sich raushalten", sagt Simon de Normier.
Dabei orientieren sich die beiden auch an bereits etablierten Symbolen, die Minderheiten in der Vergangenheit zu mehr Aufmerksamkeit verholfen haben. So sei die Regenbogen-Kampagne eine der erfolgreichsten der letzten Jahrzehnte gewesen. "Ich hab das noch erlebt, als ich zehn war, da war das noch ein ganz großes Thema, wenn man irgendwo eine Regenbogen-Flagge sah." Heute ist die Regenbogen-Flagge, die über die Jahrzehnte ein klares Zeichen gegen Homophobie wurde für ihren Davidstern-Aufkleber Vorbild. Ihr Traum ist es, dass auch dieser irgendwann überall in Berlin und über die Stadtgrenze hinaus ein Zeichen setzt.
In den vergangenen Wochen wurden an einige Wände und Haustüren Davidsterne gesprayt, wohl eher zur Stigmatisierung. Das will er umdeuten. "Für mich ist der Davidstern eine Auszeichnung, die ich auch selbst gerne trage."
Für manche Geschäfte scheint der Sticker keine Auszeichnung zu sein, verhalten sind an diesem Nachmittag bei einigen die Reaktionen. Mal liegt es an der Sorge vor Ablehnung von der Kundschaft. Mal heißt es aber auch einfach, dass keinerlei Sticker an den Schaufenstern angebracht werden können. Manchmal ist auch der Chef oder die Chefin nicht da und es kann niemand entscheiden.
Schade sei das auch deshalb, weil gleichzeitig viele Ladenbesitzer betonen, dass sie Jüdinnen und Juden schätzen. "Die Leute sollen das doch zeigen, damit sich Jüdinnen und Juden sicher sein können, dass sie in diesen Läden Hilfe finden, wenn sie Hilfe brauchen", sagt Erzieher Sascha Suden.
Die beiden Christen geben nicht auf. Im Dessousladen nahe des Winterfeldtplatzes sagt die Verkäuferin Juliane Klement spontan zu: "Mir ist es wichtig, dass sich jüdische Menschen willkommen und sicher fühlen, gerade in diesen Zeiten. Die Aktion ist sehr passend, denn die Menschen haben Angst und alle, die diesen Menschen helfen möchten, sollten das zeigen."
Auch ein alteingesessenes Café darf beklebt werden, ähnlich begründet Gastronom Jannick Schröder seine Zustimmung: "Ich finde, dass es gesehen werden muss. Alle sind in diesem Laden willkommen."
Momente wie diese motivieren die beiden, weiterzumachen. Es sei zwar eine Sisyphus-Arbeit. Aber, so Filmemacher Simon de Normier: "Schon Camus sagte, man muss sich den Sisyphus als glücklichen Menschen vorstellen." Denn Sisyphus konzentriere sich auf das, was er machen kann.
Sendung: rbb|24 Abendschau, 06.12.2023, 19:30 Uhr
Beitrag von Jenny Barke
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