Interview | Berliner Tierärztin
Wie kann man ängstliche Haustiere am Silvesterabend beruhigen? Die Berliner Tierärztin und Tierverhaltenstherapeutin Ann-Kathrin Fritsche gibt Tipps. Sie verrät auch, wann eine Medikation angezeigt ist - und rät von manchem Hausmittel ab.
rbb|24: Frau Fritsche, wie schlimm ist Silvester für unsere Haustiere? Würden die, wenn man ihnen in den Kopf schauen könnte, um Mitternacht denken, dass Krieg ist? Dass die Apokalypse da ist? Oder einfach nur "Die spinnen, die Römer"…
Ann-Kathrin Fritsche: Vermutlich all das zusammen. Bei dem einen Tier ist es vielleicht etwas ausgeprägter mit Angst, Panik und Flucht. Das andere wundert sich vielleicht auch nur. Es kommt auch auf die Erfahrungen des Tieres an. Auch reagieren die Tierarten unterschiedlich. Katzen wundern sich und ziehen sich vielleicht in die kleinste Ecke unter der Couch zurück. Hunde zeigen teils lautstarke Äußerungen wie Jaulen. Sie merken tatsächlich auch die Frequenzen, also das Pfeifen, von Feuerwerkskörpern und das tut manchen Tieren richtig in den Ohren weh.
Sie haben Hunde und Katzen schon erwähnt. Welche Haustiere werden von Silvesterböllern irritiert oder verängstigt, welche weniger?
Bei den Hunden fällt es am ehesten auf. Mit ihnen gehen wir ja draußen spazieren - und das muss natürlich auch zu Silvester erfolgen. Und da kriegen Hunde sofort mit, dass da was nicht stimmt. Da sind Geruch und Geräusche - da geht es um Töne, die wir Menschen gar nicht wahrnehmen - die sie nicht kennen und die sie nicht verstehen.
Bei Freigänger-Katzen rate ich immer, sie ein bis zwei Tage vor Silvester schon nicht mehr rauszulassen, um sich abzusichern. Drinnen haben sie auch eine etwas ruhigere Umgebung. Man kann Jalousien runterlassen und sie in ein Zimmer bringen, wo nichts zu sehen oder nicht viel zu hören ist. Da können sie auch ihre Katzentoilette benutzen. Hunde müssen ja leider raus.
Aber es gibt ja noch mehr Haustiere und die Haltungsformen sind sehr unterschiedlich. Kaninchen und Meerschweinchen zum Beispiel werden ja teilweise auch im Garten gehalten. Da empfehle ich, die Tiere in eine Garage oder - wegen ihres Winterfells - in einen nicht geheizten Raum zu holen und sie mit einer Ladung Heu und Stroh aus der Situation zu nehmen. Diese kleinen Heimtiere sind sehr geräuschempfindlich und man sieht bei ihnen nicht so gut, dass sie unter Stress stehen.
Brandenburg gilt auch als Pferdeland. Was tun mit seinem Pferd zu Silvester?
Pferde reagieren sehr unterschiedlich auf Böller. Es sind ja Fluchttiere. Geräusche, die plötzlich kommen und in der Nähe sind, können eine Flucht auslösen. Viele Reiterhöfe lassen die Pferde zu Silvester im Stall, machen alles zu und lassen eine Hintergrundmusik laufen, damit Knallgeräusche nicht dominant vorkommen. Das funktioniert sehr gut. In den Bereichen, in denen Reiterhöfe sind, wird auch oft darum gebeten, nicht zu böllern. Oft wird sich daran gehalten.
Aber wenn Pferde auf der Weide stehen und dort Böller geworfen werden, kann Panik entstehen und es kann passieren, dass die Pferde flüchten. Es gab schon Fälle, wo Pferde ausgebrochen sind und die Meldung kam, dass sie sich auf der Straße befinden. Dann wird es natürlich ganz dramatisch.
Bisher haben wir eher über Hausmittel gesprochen - also das, was man mit recht einfachen Mitteln einfach machen kann. Ab wann ist die Angst eines Tieres so groß, dass man über eine Medikation nachdenken sollte?
Tierbesitzer sollten schauen, ob ihr Tier geräuschsensibel ist und es mit den Hausmitteln klarkommt. Bei vielen reicht es, da zu sein, Nähe zu schaffen und ein gutes Lager zu bauen. Wenn das Tier trotz Maßnahmen wie Anwesenheit, heruntergelassenen Jalousien und Hintergrundmusik eine sehr ausgeprägte Angst durch Symptome wie rastloses Umherlaufen, Speicheln, Sich nicht ablegen, Zittern, Jaulen oder Bellen zeigt, sollte man den Haustierarzt aufsuchen und sich ein geeignetes Mittel geben lassen.
Da kann man dann erst einmal überlegen, ob man mit einem Pheromon-Verdampfer, einem Halsband, einem Adaptil, schon Abhilfe schaffen kann. Für Hunde, bei denen das nicht ausreicht, gibt es "Thunder-Shirts". Das sind Mäntelchen, die bei leichten Angstsymptomen recht gut helfen, weil sie einen leichten Druck ausüben und die Tiere so beruhigen können. Außerdem gibt es für Hunde - für Katzen leider noch nicht - auch eigentlich aus dem Jagdhundewesen kommende Geräuschschutzkopfhörer. Da muss man aber früh genug anfangen, mit dem Hund zu trainieren, um sie an die Kopfhörer zu gewöhnen.
Training ist ein gutes Stichwort. Kann man die Tiere auch an die Böllerei gewöhnen? Wenn man da etwa drei Wochen vor Silvester anfinge?
Gewöhnung ist definitiv eine Option. Aber tatsächlich muss man damit sehr langsam anfangen. Ich empfehle bei Hunden mit ausgeprägter Angst im Januar des neuen Jahres damit anzufangen. Drei Wochen vor Silvester ist das zu spät. Schreitet man beim Geräuschtraining zu schnell fort, kommt es zu Problemen. Bevor man anfängt, muss man seinem Hund erst einmal Entspannung beibringen.
Es funktioniert nicht so, dass man kleine Böller wirft, auf einen entspannten Hund hofft und ihm dann ein Leckerlie gibt. Man sollte das Tier auf ein Entspannungswort konditionieren und das kombinieren. So weiß der Hund, was erwartet wird. Da würde ich aber mit einem Hunde-Trainer zusammen arbeiten.
Geht das nur mit Hunden?
Geräuschgewöhnung geht auch mit Katzen oder Pferden. Wenn Katzen Geräuschangst haben, mache ich ganz gerne "Klapperboxen". Denn Katzen sind ja unheimlich neugierig. In eine selbstgebaute Kiste, beispielsweise eine Einkaufskiste, legen wir neben Leckerlie auch Stöcke, Steine oder Löffel. Wenn die Katze die Kiste bewegt, sie ist ja neugierig, entstehen Geräusche. Das ist ein guter Einstieg. Danach kann man langsam lauter werden.
Da Pferde Fluchttiere sind und selten allein gehalten werden, kann man ein Geräuschtraining mit lauten Geräuschen selten einfach so umsetzen. Da sollte sich immer die Reitergemeinschaft absprechen. Im Zweifel hilft Pferden aber beispielsweise, wenn man ihnen Fliegenschutz-Öhrchen aufsetzt. Die werden im Sommer oftmals verwendet. Man kann sie aber auch mit Isolierung auspolstern und darüber Geräusche dämpfen.
Jetzt haben wir viel darüber gesprochen, was man machen kann. Was sollte man denn auf keinen Fall tun? Den Hund mit Eierlikör abfüllen?
Von Eierlikör würde ich tatsächlich abraten. Denn Tiere können Alkohol nicht so gut verstoffwechseln wie Menschen. Außerdem haben die wenigsten Tierbesitzer aktuelle Blutbilder ihrer Tiere. Sie wissen also nicht, ob es Vorschädigungen gibt. Bei älteren Tieren müsste man schauen, ob die noch irgendwas vertragen, was ihre Leber belastet. Im Zweifelsfall könnte das also toxisch wirken. Zudem ist ja die Dosierung auch nur schätzbar. Online heißt es oft: "Einen Eierbecher pro Hund und eventuell kurz vor Mitternacht noch einmal nachdosieren." Damit fühle ich mich sehr unwohl. Insbesondere, was Spätfolgen betrifft.
Es gibt eigens für Silvester zugelassene Medikamente. Das ist die Sileo-Paste - sie ist geprüft und sicher und kann nach Gewicht dosiert werden. Die gibt der Tierarzt nach einem Check von Hund oder Katze an die Tierbesitzer ab.
Abraten für Silvester würde ich von Mitteln mit dem Wirkstoff Acepromazin. Sie sind leider noch verbreitet, doch sie stellen die Tiere nur ruhig. Sie kriegen die Böllerei dann voll mit und können es nicht zeigen. Damit wird die Geräuschangst für das nächste Jahr verschlimmert. Diese Geräuschangst nimmt ohnehin im Alter zu. Wer merkt, dass das Tier schon im Vorjahr geräuschsensibler als sonst war, sollte sich schon vor Silvester Strategien überlegen und sich vorbereiten.
Fünf Tipps, damit das Haustier Silvester entspannt bleibt
(von Ann-Kathrin Fritsche)
Sendung: Antenne Brandenburg, 29.12.2023, 14 Uhr
Beitrag von Sabine Priess
Artikel im mobilen Angebot lesen