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Quelle: dpa/Willnow

Interview | Radikalisierung in Sozialen Netzwerken

Mit Tiktok in den Dschihad?

Der Terrorangriff der Hamas auf Israel stärkt die Islamistenszene. Radikale Prediger sind längst in sozialen Medien unterwegs und erreichen dort Jugendliche aus der Mitte der Gesellschaft. Ein Gespräch mit Extremismusexpertin Claudia Dantschke.

rbb|24: Frau Dantschke, auf Palästina-Demonstrationen tauchen Islamisten zumindest am Rande auf. im Netz aber scheinen sie deutlich an Reichweite zu gewinnen, wie schätzen Sie das ein?

Claudia Dantschke: Sie versuchen wieder Boden zu gewinnen. Viele Strukturen sind verboten, führende Köpfe inhaftiert worden. Die Szene hat aber nie aufgehört zu existieren. Es gab überall noch Prediger, die weiter Radikalisierung betrieben haben. Nur war es eben nicht so sichtbar, weil sich vieles im Internet oder in Hinterzimmern abgespielt hat. Jetzt ist natürlich so ein Moment, an dem alles nach außen drängt.

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Welche Rolle spielt Tiktok bei der Radikalisierung?

Tiktok spielt eine extrem negative Rolle. Das Problem ist der Algorithmus. Wenn man ein paar Mal bestimmte Themen sucht, zum Beispiel "Islam und Hölle" oder "Islam und Palästina", kommt man möglicherweise in eine extreme Richtung rein. Das Problem: Der Algorithmus bringt dir dann immer wieder neue Vorschläge, die genau in diese Blase reingehen. Die Videos bei Tiktok sind kurz und oft aus dem Kontext gerissen, es sind nur noch Schlagzeilen. Es wird emotionalisierend gearbeitet und das ist gerade für junge Leute sehr verführerisch.

Zur Person

Wie sieht das konkret aus?

Es wird mit der Identität gespielt. Also du als Muslim musst dich jetzt angesprochen fühlen. Es ist oft ganz platt: "Hier sind tote Kinder und da ist der Jude und das ist der Täter." Da ist die Welt ganz einfach: schwarz und weiß, Gut und Böse.

Alle radikalen Prediger oder Propagandisten sind bei Tiktok. Sie nutzen genau diese jugendgerechte Ansprache und erreichen natürlich viele Jüngere. Wenn die jetzt so eine charismatische Figur hätten, dann sähe es wirklich noch mal schlimmer aus. Dann würden Jugendliche noch stärker in diese Kanäle reingezogen werden.

Vor wenigen Wochen wurde in Brandenburg ein 16-Jähriger festgenommen, der zusammen mit einem 15-Jährigen einen Terroranschlag geplant haben soll. Sind das die Terroristen der Zukunft?

Das ist genau das Gefährliche. Das rutscht immer mehr in jüngere Altersgruppen. Und das ist natürlich für die Sicherheitsbehörden sehr schwierig. Das sind oft Jugendliche, die so noch nicht im Blickfeld waren.

Es gibt keine längere Radikalisierungsphase, in der jemand auffällt. Das dauert unter Umständen nur ein paar Monate. Da steht auch keine verfestigte Ideologie dahinter. Die Jugendlichen nehmen sich aus diesem ganzen extremistischen Angebot Versatzstücke, die gerade für sie passen und ihnen das Gefühl vermitteln, ich bin jetzt aufgerufen, hier zur Tat zu schreiten. Da wird ja eben auch gesagt, nimm das Messer und stich deinen Nachbarn ab. Es wird ja nicht propagiert, den Riesenanschlag zu machen, sondern genau dieses Kleinteilige. Natürlich spricht das aktionsbereite Jugendliche an.

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Auf Tiktok ist das aber nicht so offen kommuniziert. Dafür muss man tiefer in die Szene und dann in die entsprechenden Telegramgruppen. Was findet sich dort?

Da steht dann ganz klar, auf welche Art und Weise man am Dschihad teilnehmen kann. Du kannst kämpfen, du kannst aber auch ausreisen. Also es gibt schon wieder konkrete Versuche, Leute wegzulocken.

Die sollten dann nach Möglichkeit direkt nach Libanon und vom Libanon aus dann Israel angreifen. Es geht in alle Richtungen. Also alle versuchen im Moment, das Thema für ihre Ideologie zu nutzen und die Leute entsprechend zu mobilisieren.

Nun sind Followerzahlen, Aufrufe und Kommentare bei Tiktok das eine, das echte Leben aber noch mal etwas anderes. Wie viele junge Menschen werden denn da erreicht? Wie gefährlich ist das?

Wir sind Teil eines Netzwerkes, überall gibt es zurzeit mehr Anrufe. Das ist oft ein Zeichen dafür, dass diese Propaganda erfolgreich ist. Insgesamt ist es schwer abzuschätzen. Es gibt Jugendliche, die zwar einen Teil dieser Feindbilder übernehmen, ohne sich zu radikalisieren. Und es gibt andere Jugendliche, die empfänglich sind. Da kann so eine Ansprache genau das sein, was in die Radikalität führt, weil sie auf der Suche nach Antworten sind.

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Müssen Beratungsangebote, müssen Lehrer, Sozialarbeiter auf Tiktok präsent sein, um da möglicherweise gegenzusteuern?

Ich bin inzwischen pessimistisch. Wir rennen der Entwicklung hinterher. Ich habe nicht die Hoffnung, dass wir die Leute, die sich über Tiktok radikalisieren, über Tiktok wieder zurückholen können oder dort in irgendeiner Form Gegenstrategien entwickeln können, um das aufzuhalten.

Heißt, man kann nur hoffen?

Man kann bloß immer wieder auffordern: Hört zu, was eure Jugendlichen sagen! Guckt, wo sie sich rumtreiben und kommuniziert mit ihnen - und das in der realen Welt. Wir müssen ganz stark im Offline-Milieu Räume schaffen für ihre Emotionen, sodass sie damit nicht alleine gelassen werden. Die Familie ist da ein ganz wichtiger Punkt.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Claudia Dantschke sprach Kerstin Breinig für die rbb24 Abendschau. Dieser Beitrag ist eine gekürzte und redaktionell bearbeitete Version.

Sendung: rbb24 Abendschau, 10.12.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Kerstin Breinig

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