rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: dpa/Ute Grabowsky

Alkohol und Feiertage

"Ich kann mich an viele Feiertage nicht erinnern, weil ich sie weggesoffen habe"

Für Menschen mit Alkoholproblemen sind die Feiertage oft schwierig. Denn Alkohol ist fast überall da, wo es gemütlich werden soll. Nicht so einfach, da wieder rauszufinden – und schon gar nicht allein, erzählen drei trockene Alkoholkranke.

Sekt zum Anstoßen, Rotwein zum und Schnaps nach dem Essen: Weihnachten und Silvester wird viel Alkoholhaltiges gereicht. Für alkoholkranke Menschen, die mit dem Trinken aufgehört haben, kann das fatal sein.

Drei trockene Alkoholiker:innen aus Berlin, die anders heißen als in diesem Text, erzählen von ihren Erfahrungen. Wie haben sie die Feiertage erlebt, bevor sie sich vom Alkohol verabschiedeten? Und wie gehen sie heute damit um?

Samantha, 43

Als ich noch getrunken habe, waren die Feiertage sehr chaotisch. Weihnachten war ich mit meiner Familie zusammen. Die sind moderate Trinker. Ich habe mich nach dem Essen aber oft rausgeschlichen, um mit Freunden zu trinken und zu feiern. Mein Alkoholismus hat mir somit viel Zeit mit meiner Familie geklaut, weil ich nicht präsent sein konnte – ständig wollte ich weg.

Silvester gab es oft Drama auf Feiern. Es war nie so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte. Meist habe ich viel zu viel getrunken und hatte daraufhin Auseinandersetzungen mit anderen Menschen. Am nächsten Tag war ich meistens sehr deprimiert.

Seitdem ich nicht mehr trinke, kann ich in meiner Familie präsent sein und die Zeit genießen. Meine Eltern werden älter und ich bin froh, dass ich mich heute mehr in der Familie einbringen kann. Mich stört es nicht, dass meine Familie trinkt. Sie trinken mal ein Glas Wein und das wars. Ich konnte das nie. Nach dem ersten Glas konnte ich nicht aufhören.

Silvester feiere ich heute meistens mit Menschen, die nicht trinken, zu Beispiel denen, die ich bei den Anonymen Alkoholikern kennengelernt habe. Da wird oft eine Feier organisiert. Manchmal muss ich an Silvester aber auch arbeiten, weil ich freischaffende Musikerin bin. Auch das geht nüchtern viel besser.

Ich lebe jetzt seit 13 Jahren nüchtern. Es gibt immer noch Tage, an denen ich down und versucht bin zu trinken: Ein Glas Wein ist doch nicht so schlimm, dann geht es dir besser, denke ich dann. Das war damals mein Lösungsansatz für alle Probleme. Heute weiß ich, dass Alkohol nicht die Antwort ist und dass ich nicht trinken möchte.

Wenn um mich herum an den Feiertagen exzessiv getrunken wird, kommt es auf meine Stimmung an, wie ich damit umgehe. Wenn es mir zu viel wird, gehe ich und ziehe mich zurück. Ich lese dann lieber oder telefoniere mit Menschen, die mir wichtig sind.

Bei den Anonymen Alkoholikern leben wir immer für 24 Stunden. Nur für heute muss ich das erste Glas stehen lassen. Und das funktioniert.

Allein mit dem Trinken aufzuhören ist sehr schwer. Ich habe es nicht allein geschafft – erst in der Gemeinschaft hat es funktioniert. Wer Hilfe braucht, sollte sich unbedingt welche suchen. Außer den Anonymen Alkoholikern gibt es noch andere Programme und Selbsthilfegruppen, die Menschen helfen, nüchtern zu leben."

Peter, 37

Die Feiertage waren in meiner 'nassen Zeit' sehr unangenehm. Es gab oft Streit in der Familie. Am Abend bin ich feiern gegangen und habe Freunde getroffen. Spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag war ich dann gar nicht mehr erreichbar, weil ich nur noch verkatert im Bett lag und zu nichts mehr zu gebrauchen war.

Seit sechs Jahren trinke ich nicht mehr. Deswegen habe ich heute wieder ein gutes Verhältnis zu meiner Familie. Ich kann die Feiertage in den unterschiedlichsten Familienkonstellationen verbringen und sogar genießen. Problemtrinker haben wir in der Familie nicht mehr, weil mein Bruder und ich heute trocken sind. Der Rest der Familie hat das Trinkverhalten angepasst und ist inzwischen sehr gemäßigt mit dem Alkohol.

Ich habe heute nicht mehr das Verlangen zu trinken. Deswegen stört es mich auch nicht, wenn andere um mich herum das tun. Wenn es auf einer Party unangenehm wird, weil jemand total drüber ist, rumschreit oder irgendwie anders auffällig ist, kann ich die Situation verlassen beziehungsweise mich zurückziehen. Ich glaube aber, solche Situationen sind für alle unangenehm – das hat nichts mit meinem Alkoholismus zu tun.

Interview | Neue Studie zu Cannabiskonsum

"Das Gefährliche an Cannabis ist die Manipulation von Gefühlen"

In Berlin wird viel gekifft, aber oft fehlt es an Wissen darüber. Das ist die Erkenntnis einer Studie über Cannabiskonsum, für die über 2.000 junge Berliner und Berlinerinnen befragt wurden.

Sobald sich jemand fragt, ob sein Trinkverhalten problematisch ist, ist es das meistens auch. Ich kenne niemanden, der sein Alkoholproblem auf eine gesunde Art und Weise allein in den Griff bekommen hat. Oft landet man auch nach monatelangen Pausen am Ende immer wieder in denselben Verhaltensweisen.

Wenn man es schafft, allein einfach nicht mehr zu trinken, weil es einem nicht guttut: super! Wenn jemand aber nicht damit aufhören kann, sollte er sich Hilfe suchen. Mir haben Zwölf-Schritte-Programme sehr geholfen, wie bei den Anonymen Alkoholikern, und Psychotherapie.

Clara, 40

Ich habe mit 13 angefangen zu trinken, um meine Gefühle zu regulieren. Ich kann mich an viele Feiertage nicht erinnern, weil ich sie weggesoffen habe. Ich konnte es mit meiner Familie nicht gut aushalten. Es gab oft Streit zwischen meiner Mutter und meiner Tante. Da kamen viele unangenehme Gefühle und Spannungen hoch. Das war dann auch ein Grund, früh am Tag zu trinken. Ich kann mich heute nur daran erinnern, wie dunkel und schwammig die Feiertage für mich waren. Irgendwann gab’s Essen und Geschenke und dann bin ich besoffen ins Bett gefallen.

Seit dem 16. Oktober 2017 trinke ich nicht mehr. Mit dem Nüchternsein haben sich die Feiertage sehr verändert. Ich mochte die Feiertage damals überhaupt nicht, weil ich nicht mit der Familie zusammen sein wollte. Mich hat alles genervt. Heute möchte ich gern Zeit mit meiner Familie verbringen. Dieses Weihnachten verbringen wir die Feiertage zum Beispiel erst bei der Familie meiner Frau in Schweden. Danach fahre ich nach Frankfurt zu meiner Familie. Ich freue mich, alle zu sehen. Die Feiertage sind ein schöner Rahmen, um einmal im Jahr die ganze Familie zu sehen und zusammenzukommen. Ich bin dankbar, dass ich das heute so sehen darf und mich nicht mehr betrinken muss.

"Praxis in Not"

Viele Arztpraxen in Berlin und Brandenburg zwischen den Jahren geschlossen

Ein bundesweiter Ärzteprotest sorgt vielerorts für geschlossenen Praxen. Viele Patientinnen und Patienten müssen sich wohl bis nach Neujahr gedulden - Notfälle ausgenommen. Kritik kommt vom Bundesgesundheitsminister.

Menschen, die mit dem Trinken aufhören möchten, rate ich: Geh' da nicht allein durch, vertrau‘ Dich jemandem an. Das kann ein Therapeut sein, ein guter Freund, ein Arzt oder eine Selbsthilfegruppe. Wenn man wirklich ein Alkoholproblem hat, ist es sehr sehr schwer, allein mit dem Trinken aufzuhören.

Gesprächsprotokolle: Sebastian Goddemeier

Artikel im mobilen Angebot lesen