Interview | Staatsanwältin zu Zwangsprostitution
Die wenigsten Fälle von Zwangsprostitution werden von Opfern angezeigt. Wenn sie vor dem Landgericht Berlin landen, setzt sich Staatsanwältin Lilitha Sivarah für Betroffene ein. Um die Tat nachzuweisen, muss sie ihre Klientinnen sehr intim befragen.
rbb|24: Frau Sivarajah, bei dem Wort "Menschenhandel", stellen sich viele vor, dass Menschen aus anderen Ländern nach Deutschland gebracht werden. Stimmt das aus Ihrer Erfahrung?
Lilitha Sivarajah: Tatsächlich nicht. Wir haben viele Betroffene, die aus dem Inland sind, also die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Natürlich haben wir aber auch Betroffene zum Beispiel aus Vietnam, aus Nigeria. Osteuropa ist auch ein großer Block.
Wenn die Frauen aus dem Inland kommen, wird anders darauf geschaut, inwieweit sie sich in einer Zwangslage befinden. Wenn Frauen aus dem Ausland hierher gebracht werden, sprechen sie die Sprache nicht, haben keine Aufenthaltserlaubnis, kennen hier häufig niemanden. Das ist anders bei einer Frau, die schon seit 18 Jahren in Berlin wohnt. Aber bei denen kann natürlich auch eine Hilfslosigkeit entstehen - da gehen die Gerichte häufig auch mit.
Schützt das deutsche Recht Betroffene von Zwangsprostitution Ihrer Meinung nach ausreichend?
Aus meiner Sicht ja. Allerdings hatten wir tatsächlich noch nicht viele Verurteilungen im Bereich Menschenhandel. Der Grund ist: Das ist ein Tatbestand, der sehr schwierig nachzuweisen ist. Damit der Tatbestand Menschenhandel vorliegt, dürfen Betroffene weniger als die Hälfte ihres Einkommens behalten. Und diese Art einer ökonomischen Betrachtung wird dieser Situation aus meiner Sicht auch nicht immer gerecht.
Die Täter und auch die Betroffenen wissen mittlerweile, was man sagen muss, damit keine Bestrafung im Raum steht. Und wenn die Polizei die Betroffenen bei Kontrollen fragt, dann sagen sie: Über die Hälfte darf ich behalten. Und dann sind sie damit raus.
Aus meiner Sicht müsste der Tatbestand einen subjektiven Einschlag haben. Also dass man die Ausbeutungssituation an einer subjektiven Einschätzung der Betroffenen festmacht. Was ist denn für die Betroffene die Ausbeutung? Ist das Geld, was sie erhält, für sie okay für die Arbeit, die sie macht?
Viele Betroffene bringen ihren Fall nicht zur Anzeige. Welche Gründe sehen Sie dafür?
Viele Frauen haben Angst, zur Polizei zu gehen. Sie sind in einer großen Drucksituation. Die Täter bedrohen die Frauen häufig - und sagen zum Beispiel: Wir bringen deine Familie in Bulgarien um -, sodass sie sich nicht offenbaren wollen.
Ich könnte mir auch vorstellen, dass das Dunkelfeld sehr hoch ist, weil die Frauen vielleicht keine gute Erfahrung mit der Polizei in ihren Ländern gesammelt haben. Das ist ja gerade in asiatischen Ländern oder auch in Afrika ein ganz anderes System als das, was wir hier haben. Einigen fehlt daher das Vertrauen in die staatlichen Behörden.
Einige denken sich sicherlich auch: Was bringt das denn? Natürlich haben wir ein Strafverfahren und ich versuche auch zu erwirken, dass sie einen monetären Vorteil bekommen. Aber das ist ja eine unglaubliche Drucksituation, in so einer Hauptverhandlung zu sitzen und auszusagen. Bis es zu der Verhandlung überhaupt kommt, kann zudem manchmal ein ganzes Jahr vergehen. Dann haben sie mehrere Termine vor Gericht, werden stundenlang vernommen, der Verteidiger befragt sie intensiv, der Angeklagte sitzt nur ein paar Meter weit entfernt. Ich kann schon nachvollziehen, dass viele sich das nicht antun wollen.
Worauf kommt es an, um eine Tat vor Gericht nachzuweisen?
Am wichtigsten ist, dass die Geschädigten darüber sprechen, was für eine psychische Drucksituation das für sie gewesen ist. Wie kam es zur Aufnahme der Zwangsprostitution? Wie war das Verhältnis zwischen dem Täter und ihr?
Der ökonomische Aspekt ist immer sehr wichtig. Außerdem muss eine Betroffene genau erzählen, was sie machen musste. Das ist für die Betroffenen oft unglaublich unangenehm. Das tut mir auch sehr leid, aber es reicht nicht, wenn jemand sagt: "Ja, ich bin dann mit dem aufs Zimmer gegangen und dann haben wir das eben gemacht". Bei den Fragen wird es sehr intim. Da wird klar gefragt, wann sie ihren ersten Freier hatte. Was genau sie mit ihm gemacht hat. Sie muss sagen, ob sie Oralverkehr, Vaginalverkehr oder Analverkehr hatten.
Sie muss auch erzählen, wie das für sie war. Da muss ich dann auch ganz genau nachfragen: Wie haben Sie sich denn da gefühlt? Was ist Ihnen Kopf gegangen? Was haben sie mit dem Freier besprochen? Was ist danach passiert? Sind sie dann gegangen oder sind sie länger geblieben?
Dieses Ausmaß der Fragen versuchen wir den Betroffenen tatsächlich vorher klarzumachen - und da springen dann im Vorfeld viele ab.
Wie erleben Sie die Betroffenen, wenn sie so ein anstrengendes Verfahren durchgestanden haben?
Ich erlebe die Frauen einerseits nach einem Verfahren, bei dem wirklich eine angemessene Strafe herauskam, sehr erleichtert. Auf der anderen Seite habe ich auch manchmal den Eindruck, dass bei manchen Betroffenen eine Enttäuschung da ist, weil sie die Strafe zu niedrig finden. Ich kann das nachvollziehen, bei allem, was viele von ihnen durchgemacht haben. Bei dem Angeklagten gibt es auch einige Dinge, die wir berücksichtigen müssen. Ist er ein Ersttäter? Wie alt ist er? Wie häufig hat er das schon gemacht? Wie lange hat er die Frau ausgebeutet? Das Gesetz bietet einen großen Spielraum von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.
Inwiefern würde Ihrer Meinung nach ein Sexkaufverbot etwas für die Betroffenen von Zwangsprostitution verändern? Das wurde beispielweise in Schweden bereits durchgesetzt und demnach darf niemand sexuelle Dienstleistungen kaufen.
Das sogenannte nordische Modell steht immer im Raum. Es gibt Länder, wo das anscheinend erfolgreich gemacht wird.
Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das dazu führt, dass hier die Verfahren zurückgehen und dass Frauen tatsächlich weniger zur Prostitution gezwungen werden. In dem Paragrafen 232a StGB steht ja ausdrücklich drin: Wenn der Freier ausnutzt oder leichtfertig nicht erkennt, dass die Frau sich in irgendeiner Zwangssituation befindet und vielleicht Opfer von Menschenhandel ist und er trotzdem eine sexuelle Dienstleistung von ihr in Anspruch nimmt, macht er sich strafbar damit.
Wir haben mit dem Prostitutionsgesetz und dem Prostituiertenschutzgesetz eine Rechtsgrundlage, mit der die Frauen sagen können, diese Dienstleistung habe ich angeboten und dafür möchte ich jetzt entlohnt werden. Das finde ich, ist etwas unglaublich Wichtiges.
Bei einem Sexkaufverbot ist die Frage, ob sich das Ganze nicht einfach noch mehr ins Dunkelfeld bewegt. Ich befürchte, Prostitution wird es immer geben. Die Prostitution in Deutschland komplett zu verbieten, wird nicht funktionieren, denke ich. Und aus meiner Sicht sollte man das auch nicht, weil es für viele Frauen ja auch eine wichtige Einnahmequelle ist.
Was sollte noch passieren, damit sich die Situation für die Betroffenen verbessert?
Aufklärung ist da wahrscheinlich eine große Hilfe. Dass den Betroffenen klar gemacht wird, dass sie rechtlich abgesichert sind, welche Möglichkeiten sie haben und vor allem auch, dass Prostitution legal ist und sie sich bei Problemen an die Polizei wenden können.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Anna Bordel, rbb|24.
Beitrag von Anna Bordel
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