Kammerjäger im Einsatz
In Berlin leben schätzungsweise mehrere Millionen Ratten - in Parks, aber auch in Kellern und Häusern. Genau da werden sie zum Problem. Toleranz und weniger Müll können im Umgang mit den Tieren helfen - los, wird man sie aber nur mit Gift. Von Anna Bordel
Er sucht nicht nach den Tieren, sein Blick gilt den schwarzen Boxen. Wenn er die öffnet, weiß er, wie viele Ratten es in diesem Hinterhof in Berlin-Mitte wirklich gibt. Kammerjäger Florian Kraft hat vor einer Woche hier mehrere Giftboxen aufgestellt und prüft jetzt, wie sehr die Köder angefressen wurden - ein Indiz für den Rattenbefall.
Die Köder, das sind lila Wachsblöcke mit Weizen versetzt. Und mit Gift. Die erste, an einer Hauswand befestigte Box öffnet er mit einem Spezialschlüssel und stellt fest: keine Köder mehr da.
Kraft meint, Berlin hat definitiv ein Problem mit Ratten. Jeden Monat hat er mehrere Einsätze, die sich um die vielerorts unerwünschten Nagetiere drehen. "Das kann man aber wahrscheinlich für jede Stadt sagen. Aber ich habe das Gefühl hier werden sie noch mehr gefüttert", so Kraft. Zum Beispiel mit Vogelfutter oder Brötchen in Parks und Gärten.
Ratten leben da, wo es für sie etwas zu fressen gibt. In Berlin ist das längst nicht nur in der Kanalisation, sondern in Parks, auf den Straßen und auf Spielplätzen der Fall. In den üppig gefüllten Spielplätzen, wo auch schon mal was daneben liegt, finden sie mehr als genug zu fressen. Genaue Zahlen dazu, wie viele Ratten in Berlin leben, gibt es nicht. Die Berliner Wasserbetriebe haben aber 2015 geschätzt, dass es 2,2 Millionen sein könnten, damals waren es gut zwei Drittel der Bevölkerung.
Aktuellere Zahlen gibt es vom Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) in Berlin darüber, wie häufig Bezirke Kammerjäger beauftragen mussten, um einen Rattenbefall zu bekämpfen. 2022 war das demnach mit 1.553 Maßnahmen am häufigsten in Marzahn-Hellersdorf der Fall, berlinweit waren es mehr als 8.000 Bekämpfungen. Am wenigsten waren es übrigens in Charlottenburg-Wilmersdorf, für Unruhe sorgen die Tiere in dem Bezirk dennoch. Im letzten Jahr musste der Bezirk bis Herbst zwei Spielplätze zeitweise sperren, weil sie mit Ratten befallen waren.
Wer bei sich im Hof, im Garten oder sogar im Haus Rattenbefall feststellt, ist verpflichtet dies beim jeweiligen Bezirk zu melden. Wenn es sich um öffentliches Gebiet handelt, muss der Bezirk handeln, wenn es auf privatem Boden ist, der Eigentümer selbst. Ein Befall ist übrigens ab der ersten Ratten nachgewiesen.
Das Lageso empfiehlt, darauf zu achten den Ratten kein Fressangebot zu machen, dann würden sich die Tiere auch nicht derart stark vermehren oder überhaupt an bestimmten Orten ansiedeln. Liegengelassene Lebensmittel in Parks sind demnach die Hauptnahrungsmittel der Tiere an öffentlichen Plätzen. Ratten sind deshalb vielerorts unerwünscht, weil sie über ihre Exkremente oder ihren Speichel Krankheiten an Menschen übertragen können. Außerdem nagen sie viele Gegenstände an und beschädigen sie dadurch.
Wenn Ratten irgendwo auftauchen, hilft laut Kammerjäger Kraft auch wirklich nur eine Bekämpfung mit Gift. Fallen nutzt er in der Regel nicht. Damit lasse sich lediglich gegen einzelne Tiere vorgehen, nicht aber gegen viele Tiere. Das Gift, das Kammerjäger für die Rattenbekämpfung nutzen, wirkt bei den Ratten nach zwei bis sieben Tagen, dann verbluten sie innerlich. Wenn irgendwo Giftboxen aufgestellt werden, müssen Kammerjäger mit Hinweisschildern darauf aufmerksam machen, erklärt Kraft. Die Köder befestigen sie in fest verschlossenen Boxen, damit Haustiere oder Kinder nicht an sie herangelangen.
Kraft prüft auch die anderen Boxen im Hinterhof. Eine hat er im Gebüsch, direkt neben sichtbaren Rattenbauten aufgestellt. "Hier sieht man es schön: da liegt der Müll, die Zwiebeln, die alten Taschentücher. Das liegt hier alles in der Gegend rum, für Ratten das Paradies". Bevor er diese Box öffnet, klopft er vorher an, inflagranti erwischen möchte er niemanden. Wenn ihm beim Öffnen einen Ratte entgegenspringt, erschrickt er sich jedes Mal, wie er sagt.
Die Box ist leer. Das ist kein gutes Zeichen, sondern spricht für viele Tiere, meint er. Und da, wo viele Ratten sind, bleiben sie in der Regel nicht im Hof, so Kraft.
"Im Haus und im Keller ist es warm, da gehen sie rein. Sie fressen Kabel an oder ich finde in irgendwelchen Kartons mit liebgewonnen Babyklamotten Rattenkacke, da freut sich keiner drüber". Geschweige denn, wenn sie in den eigenen vier Wänden landen. Auch das hat Kraft schon mal erlebt. Einmal hatte er einen Einsatz bei einer älteren Frau, die der Meinung war, die Ratten seien ihre Haustiere, erzählt er. Das sei einer seiner schwersten Einsätze gewesen, weil er nicht nur die Ratten beseitigen musste, sondern auch die Frau davon überzeugen musste, dass sie nicht weiter mit ihnen zusammen leben kann.
Auch wenn sie im Haus natürlich nichts verloren haben, gibt es doch zumindest einen Berliner, der meint, Ratten gehören zu uns Menschen dazu, und haben ihre Daseinsberechtigung. "Die Stadt ist groß, da ist auch Platz für Ratten und Menschen da", meint Wildtierexperte Derk Ehlert vom Berliner Senat. Deswegen ist er auch nicht der Meinung, dass Berlin ein Problem mit Ratten hat. Ihm zufolge sei es zumindest draußen sehr unwahrscheinlich sich durch eine Ratte mit einer Krankheit zu infizieren. Sie würden eben dort leben, wo wir Menschen sind, als sogenannte Kulturfolger. Ehlert meint, ein wenig Toleranz den Tieren gegenüber, wäre nicht schlecht, zum Beispiel wenn sie sich in Gebüschen oder Beeten tummeln.
Da, wo Kammerjäger Kraft auftaucht gibt es schon mal keine Toleranz. Er befüllt im Hinterhof alle leeren Boxen mit neuen Giftködern. Die kontrolliert er regelmäßig alle paar Tage. Das macht er solange, bis sie nicht mehr abgefressen werden, dann gibt es nämlich keine Ratten mehr, die die Köder abfressen können. Tote Ratten findet er übrigens selten, wie er erzählt. Zum Sterben würden sie sich meist in Nischen oder dunkle Ecken zurückziehen. Entsorgen muss er die toten Tiere also fast nie.
Beitrag von Anna Bordel
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