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Quelle: dpa/Andreas Arnold

Zwangsprostitution

Der schwierige Weg raus aus Angst, Sex und Gewalt

Wie viele Menschen sich in einem Zwangsverhältnis prostituieren ist nicht bekannt. Zu groß ist bei vielen die Angst, ihren Fall anzuzeigen. Beratungsstellen können ihnen trotzdem helfen, sie unterbringen oder ihnen ein Flugticket nach Hause kaufen. Von Anna Bordel

Geholfen wird ihr, als das Schlimmste eigentlich schon vorbei ist. Über ihre Bordell-Chefin findet eine hochschwangere Frau den Weg zu Ban-Ying, einer Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel. Sie kommt in der Zufluchtswohnung unter, bekommt Hilfe bei der Geburt und mit dem Baby. Sogar den Vater können sie gemeinsam finden. So erzählt es Parichat Pai, Mitarbeiterin von Ban-Ying. Es sei ein Freier gewesen, der während Corona seine Kontaktdaten auf eine Liste schreiben musste und so aufgefunden werden konnte.

Interview | Staatsanwältin zu Zwangsprostitution

"Die Täter bedrohen die Frauen häufig, sodass sie sich nicht offenbaren wollen"

Die wenigsten Fälle von Zwangsprostitution werden von Opfern angezeigt. Wenn sie vor dem Landgericht Berlin landen, setzt sich Staatsanwältin Lilitha Sivarah für Betroffene ein. Um die Tat nachzuweisen, muss sie ihre Klientinnen sehr intim befragen.

Mehr als zehn Freier pro Tag

Schlimm war die Zeit davor. Die junge Frau wusste nicht, was ihr bevorstand, als man sie aus ihrem Heimatland, einem Land in Südostasien, mit einem Job in der Gastronomie nach Deutschland lockte. Da arbeitete sie nie, stattdessen wurde sie gezwungen, sexuelle Dienstleistungen in einem Bordell anzubieten. Mit ihrem Einkommen musste sie die Flugkosten zurückzahlen. Das alles erzählt Pai rbb|24 - belegbar sind die Erzählungen nicht. Aus diesem Bordell sei die junge Frau letztlich geflohen, wollte dem Zwang entkommen und zurück nach Hause. Um das Flugticket nach Hause bezahlen zu können, bot sie ihren Körper erneut für Geld in einem Bordell an. Dort wurde sie schwanger. Ihr Fall ist laut Pai beispielhaft für viele weitere.

Eine 35-Jährige wurde über eineinhalb Jahre lang zu Sex ohne Kondom mit bis zu zehn Freiern gezwungen. Sie wurde in der Zeit zwei Mal schwanger und brach beide Schwangerschaften ab. Eine 26-Jährige musste bis zu 20 Mal am Tag Sex mit Freiern in einem Erotikkino für je 30 Euro haben, 15 Euro durfte sie jeweils behalten. 25 ungarische Frauen mussten mindestens 150 Euro am Tag mit Sex in einer Wohnung verdienen - sonst wurden sie misshandelt. Das sind Fallbeispiele, die in den letzten Jahren am Landgericht Berlin verhandelt wurden.

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Bundesweit mehr Ermittlungsverfahren, berlinweit weniger

Vor Gericht kommen allerdings die allerwenigsten Fälle. Das geht aus Gesprächen mit den Beratungsstellen Ban-Ying und dem Frauentreff Olga sowie der Staatsanwaltschaft Berlin hervor. Ein Gerichtsverfahren anzustreben, kann für die Betroffenen sehr belastend sein. Die Aussicht auf lange Wartezeiten von mitunter mehreren Jahren sowie intime und intensive Befragungen schrecken viele ab. Wie viele, ist schwer zu sagen. Pai von Ban-Ying schätzt, dass nur etwa die Hälfte ihrer Klient:innen sich zu einem Gerichtsverfahren entschließt. Lonneke Schmidt-Bink vom Frauentreff Olga sagt, dass es nur sehr wenige tun. Das Dunkelfeld an Fällen, die nie vor Gericht verhandelt werden, dürfte sehr groß sein.

Bundesweit steigt die Zahl der abgeschlossenen Ermittlungsverfahren zu Menschenhandel mit sexueller Ausbeute laut Bundeskriminalamt (BKA) an. Während es im Vorjahr noch 298 Verfahren waren, sind es demnach in diesem Jahr 346 Verfahren. In Berlin gehen die Zahlen der beendeten Verfahren in den vergangenen Jahren den Angaben zufolge eher zurück. 2022 wurden in Berlin laut BKA 33 Ermittlungsverfahren abgeschlossen, 2021 waren es noch 48. In Großstädten gibt es dem BKA zufolge mehr Ermittlungsverfahren, weil es größere Rotlichtmilieus, darauf spezialisierte Polizeieinheiten sowie mehr Kontrollen in dem Bereich gibt. Da die Zahlen der vergangenen Jahre von vielen Faktoren wie Ermittlungserfolgen, der Pandemie und der wirtschaftlichen Jahre abhängig seien, könne man daran keinen Trend ablesen, so die Polizei Berlin.

Am Straßenstrich Kurfürstenstraße

Ein Ort des Geschehens ist die Kurfürstenstraße, Berlins berühmtester Straßenstrich. An einem richtig kalten Dezembermittag steht wochentags eine Frau mittleren Alters in Moonboots und Daunenjacke vor einer geschlossenen Kunstgalerie. Eine andere geht auf einen weißen Lieferwagen zu, aus dessen heruntergekurbelter Fensterscheibe ein Mann guckt, sie unterhalten sich. Beim nächsten Hinsehen sind Frau und Lieferwagen verschwunden. Die Frau in Moonboots steht weiter da, eine Tüte neben sich, mehr ist nicht los.

Gegenüber öffnet gerade der Frauentreff Olga. Das Mittagessen beginnt, heute gibt es Nudeln und Salat. Die Mitarbeiterinnen begrüßen die ersten Gäste sehr freundlich. Eine trans Frau möchte noch gar nicht essen, setzt sich einfach auf eine Bank und schaut aus dem Fenster.

Im Frauentreff können Frauen essen, schlafen, duschen und ihre Wäsche waschen. Hilfe dabei, aus ihrer Situation auf dem Straßenstrich zu kommen, bekommen sie, wenn sie danach fragen. "Wir müssen hier sehr behutsam vorgehen", erklärt Lonneke Schmidt-Bink, Leiterin des Treffs. "Der Vertrauensaufbau dauert oft sehr lange. Manchmal kommen neue Frauen und sind direkt sehr offen über ihre Situation, aber sehr oft sind Frauen über Monate hier und sagen nicht viel."

Diese Hinweise auf Zwangsprostitution gibt es

Etwa 80 Prozent der Frauen, die zu ihnen kommen, seien aus dem Ausland. Sie kämen mit der Aussicht aufs Geldverdienen nach Deutschland. Ihrer Erfahrung nach wissen die meisten, dass sie in der Prostitution arbeiten werden, aber vielleicht nicht genau, wie die Situation auf dem Straßenstrich ist.

Manchmal beobachten Schmidt-Bink und ihr Team auf der Straße Verhältnisse zwischen Frauen und ihren Zuhältern, die sie nicht gut finden. "Aber wenn die Frauen nicht bereit sind, mit uns darüber zu sprechen oder sich da zu öffnen, dann können wir nichts machen", so Schmidt-Bink. Dass es etwas nicht stimmt, merken sie und ihre Kolleg:innen daran, dass Frauen nicht mit ihnen sprechen wollen oder sehr verängstigt sind. Bei manchen klingelt das Handy dauernd. "Dann kann man davon ausgehen, dass jemand gerne kontrollieren möchte, mit wem diese Person spricht", so Schmidt-Bink.

Verschiedene Formen von Zwang

Sie sieht sehr viele unterschiedliche Formen von Zwang. Manchmal ist es per Gesetz Zwangsprostitution, die Frauen seien mit ihren Zuhältern aber zufrieden und wollten aus der Situation gar nicht raus. Andere dagegen sehr wohl. Einige berichten laut Schmidt-Bink von Gewalt durch den Zuhälter, andere von Gewalt in einer Beziehung mit dem Partner. Nicht alle äußerten den Wunsch, nicht mehr in der Prostitution zu arbeiten, aber manche auch das. Wie Pai von Ban-Ying erzählt, hätten viele Frauen, die bei Kontrollen durch die Polizei aufgegriffen würden, keine eigene Wohnung, weil sie in den Wohnungsbordellen lebten. Wieder andere leben mit ihrem Partner zusammen und würden von dem in die Prostitution getrieben.

Auch wenn es längst nicht alle sind, so öffnen sich manche Frauen, die gezwungen werden, sich zu prostituieren, irgendwann doch. Melden sich bei einer Beratungsstelle, bei der Botschaft ihres Landes oder direkt bei der Polizei. Viele von ihnen sind akut gefährdet, sobald sie ausgesagt haben. Sie müssen anonym untergebracht werden, zum Beispiel in der Zufluchtswohnung von Ban-Ying. Manche Frauen wollen einfach nur nach Hause, erzählt Schmidt-Bink vom Frauentreff. Denen würde sie das Flugticket zahlen. Sie kann den Wunsch verstehen, für viele sei das die beste Lösung.

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Leichterer Zugang zum Arbeitsmarkt als Hilfe

Helfen würde es den Betroffenen von Zwangsprostitution nicht, wenn Prostitution in Deutschland per Gesetz verboten würde, da sind die Sprecherinnen von Ban-Ying und vom Frauentreff Olga sich sicher. Das würde das Geschäft noch mehr ins Verborgene drängen und Prostituierte in prekären Situationen noch mehr hemmen, sich Hilfe zu holen. Vor allem den Frauen aus dem Ausland würde es nützen, wenn der Zugang zum Arbeitsmarkt einfacher wäre. "Einfache Arbeitsplätze in der Gastronomie oder im Einzelhandel sollten besser zugänglich sein", findet Pai von Ban-Ying.

Die schwangere Frau, die vorläufig bei Ban-Ying in der Zufluchtswohnung untergekommen ist, hat ihren Fall angezeigt und als Zeugin im Prozess gegen die mutmaßlichen Täter ausgesagt. Das Verfahren wurde eingestellt. Die Nachweise reichten für eine Verurteilung der Täter nicht aus.

Beitrag von Anna Bordel

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