Interview | "Dry January"
Aus England kommend ist der "Dry January" inzwischen auch hier Trend. Wer dabei war, hat für die ersten vier Wochen im Jahr auf alkoholische Getränke verzichtet. Was das bringt und für wen so eine Aktion Risiken birgt, erklärt eine Suchtberaterin.
rbb|24: Guten Tag, Frau Schadt. Der sich dem Ende zuneigende "Dry January" - also im Januar keinen Alkohol trinken - ist ja eine Modeerscheinung, eine Art kollektives Event. Oder doch mehr?
Christina Schadt: Die Aktion ist auf jeden Fall mehr als nur eine Modeerscheinung oder ein Trend. Denn das Trinken von Alkohol ist ja keine Mode-, sondern eine Alltagserscheinung. Und Deutschland ist ein Hochkonsumland. Es wird also viel Alkohol getrunken. Dementsprechend hat es schon eine Wirkung, eine kollektive Pause davon zu machen. Das hat eine Wirkung - sowohl, was das Soziale als auch, was die körperlichen Erleichterungen und Entlastungen betrifft.
Was macht es mit Körper und Psyche derjenigen, die jetzt für vier Wochen keinen Alkohol getrunken haben?
Man kann nach den vier Wochen schon eine Veränderung merken. Diese Zeit bringt eine Reduzierung von Kalorien, entlastet aber beispielsweise auch die Leber. Denn da werden durch den Alkoholkonsum Fette eingelagert und die können auch in diesem recht kurzen Zeitraum schon abgebaut worden sein. Außerdem sinkt der Blutzuckerspiegel, man kann besser schlafen und ist leistungsfähiger. Auch das Hautbild verändert sich. Für viele ist es ein echtes Erfolgserlebnis, vier Wochen keinen Alkohol zu trinken.
Kann die Aktion auch eine Langzeitwirkung entfalten?
Dieses Event fand so ja nicht das erste Mal statt – auch wenn es in England eine längere Tradition hat. In diesem Jahr hat der "Dry January" aber in Deutschland deutlich stärker Fuß gefasst. Die Aktion bringt mehr Menschen dazu, darüber nachzudenken. Das ist eine Entwicklung, die wir uns wünschen. Alle wollen ja gesund sein und gesund bleiben. Und wenn man weiß, dass Alkohol ein Zellgift ist, dass der Körper nur in Maßen verträgt, ist es immer gut, mal eine Pause zu machen. Und wenn man merkt, dass das mehr Leute machen, steigt die Motivation dafür. Dann ist man Teil einer Bewegung und nicht allein damit. Es macht auch die Argumentation leichter, wenn jemand fragt, warum man nicht mittrinkt.
Ist ein "Dry January" auch eine Option, um herauszufinden, ob man "schon" ein Alkoholproblem hat? Und heißt es, wenn man den Verzicht problemlos hinbekommen hat, dass man keins hat?
Mit der Aktion wird angeregt, darüber nachzudenken. Wenn man sich damit beschäftigt, kommt man auch zu der Frage, wie es einem selbst mit Alkohol geht. Man fängt an, sich zu fragen, wann und in welchen Situationen man wieviel trinkt und welche Gefühle das auslöst. Sich das zu überlegen, ist nicht alltäglich. Da ist der "Dry January" ein toller Anlass, um ins Gespräch zu kommen.
Vielen fällt es schwer, an ihrem Verhalten dann etwas zu verändern. Man sollte aber nicht den Mut verlieren und denken, dass man es sowieso nicht schafft. Wenn jemand in dem Monat festgestellt hat, dass er oder sie es wirklich keinen Tag lassen kann, zu trinken, ist es ja ein guter Moment, um hinzuschauen. Denn man sollte im Alltag nicht jeden Tag Alkohol trinken.
Im Grunde ließe sich der "Dry January" auch nachholen und zu einer anderen Zeit im Jahr einlegen. Für wen ist das ein geeignetes Vorhaben - wer sollte das lieber lassen?
Es ist für alle ein gutes Thema, um sich erstmal Gedanken um den eigenen Alkoholkonsum zu machen. Für Menschen, die sehr viel trinken, kann es ein Risiko sein, von Vollkonsum auf Null zu gehen. Da empfiehlt sich eine professionelle Begleitung.
Warum wird man gerade beim Alkoholtrinken von anderen oft so vehement animiert mitzutrinken?
Viele Menschen trinken gerne in Gesellschaft. Und das heißt in dem Fall, dass sie die anderen mitunter auch animieren, mitzutrinken. Viele wissen ja, dass sie bei zu viel Alkoholgenuss Verhaltensweisen an den Tag legen, die auffälliger oder ulkiger sind. Da ist es offensichtlich angenehmer, wenn die anderen mittrinken. Es ist aber natürlich höchst unfair, wenn man dazu verleitet wird, obwohl man gar nicht trinken will. Das ist in unseren Beratungen ein großes Thema. Viele lassen sich überreden. Wir fordern deshalb auch einen Umgang mit Alkohol, der nichts oder wenig trinken akzeptiert – und zwar nicht als Ausnahme, sondern als Regel.
Gibt es eine Faustregel, wie viel Alkoholkonsum problematisch ist?
Es gibt Mengen, die als risikoarm gelten. Das bietet schon Orientierung. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist das ein kleines Glas (0,1 Liter) Wein für Frauen am Tag oder zwei Bier à 0,33 Liter für Männer. Wichtig ist aber auch da, dass es mindestens zwei Tage ohne Alkohol in der Woche gibt.
Ein hohes Risiko entsteht, wenn Frauen zweieinhalb Gläsern Wein von 0,2 Litern und Männer fünf Flaschen Bier à 0,33 Liter trinken. Aber das sind nur Zahlen und Orientierungswerte.
Wenn jemand merkt, dass er oder sie täglich und an erster Stelle an Alkohol denkt, wenn man merkt, dass man seinen Alltag um das Trinken herum organisiert hat und wenn man schwindelt oder ausweicht, wenn man gefragt wird, wieviel man trinkt, sind das Anzeichen für einen etwaigen problematischen Konsum. Da sollte man genauer hinschauen und auch eventuell ein Tagebuch zu führen, um herauszufinden, wie viel es wirklich ist.
Inzwischen gibt es ja viele antialkoholische Getränkealternativen. Könnten Sie sich vorstellen, dass diese sich durchsetzen? Oder stehen zu viele auch auf den Rausch?
Es gibt vermehrt diese vielen schönen antialkoholischen Getränke, weil es eine Nachfrage danach gibt. Es gibt den Wunsch, zwar alkoholfrei zu sein, aber trotzdem die entsprechenden Getränke zu konsumieren. Alkoholische Getränke werden ja beispielsweise auch bei Cocktails oft sehr schön angerichtet. Das gibt für viele Menschen den Ausschlag, ob sie Lust bekommen, Alkohol zu trinken. Deshalb ist es gut, wenn es eine breitere Palette an attraktiven antialkoholischen Alternativen gibt.
Gleichzeitig gibt es Menschen, und diese wird es immer geben, die nach dem Rausch suchen, die Alkohol trinken, um zum Beispiel lockerer zu werden. Deshalb weisen wir auch immer wieder daraufhin, dass Alkohol nicht unreflektiert konsumiert wird. Sondern dass man weiß, welche Risiken man da eingeht. Auch, dass man genau überlegt, wo Alkohol hingehört und wohin nicht. Man sollte sich auch beim Feiern mit Alkohol überlegen, wie viel für einen selbst in Ordnung und wo die Grenze ist. Die sollte man dann auch kommunizieren und mit den anderen Teilen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb 88.8, 27.01.2024, 10:00 Uhr
Artikel im mobilen Angebot lesen