Interview | Asteroidteile im Havelland
Der Asteroid verglühte auf dem Weg nach Brandenburg gemächlich, Schaulustige filmten den sinkenden Feuerball über dem Havelland. Astrophysiker Axel Schwope erklärt, was Schatzsucher und Hobbyastronomen über "2024BX1" wissen müssen.
rbb|24: Herr Schwope, ist überhaupt sicher, dass Teile von "2024BX1" in Brandenburg niedergegangen sind - oder kann das Ding auch komplett verglüht sein?
Axel Schwope: Es ist möglich, dass er komplett verglüht ist, aber es ist auch möglich, dass man noch Steine findet. Die können so groß wie ein Daumen, wie eine Faust oder sogar noch etwas größer. Das ist aber momentan Spekulation.
Was ist der Unterschied zu einer gewöhnlichen Sternschnuppe? Einfach die Größe?
Ich darf vielleicht einmal die Begrifflichkeiten erklären: Es gibt die Kometen, die Asteroiden, die Meteoriten und Meteore und dann die Sternschnuppen. Das geht vielleicht etwas durcheinander. Kometen kommen von ganz weit außen in unserem Sonnensystem, jenseits der bekannten Planetenbahnen. Sie bestehen wahrscheinlich im Wesentlichen aus Eis. Das ist nicht unbedingt Wassereis, sondern Methaneis und Kohlendioxideis und alles Mögliche, mit steinernen Einschlüssen. Asteroiden sind Gesteinsbrocken, nicht gewordene Gesteinsplaneten, die kommen aus dem Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Und die kleineren dieser Kameraden, und die Grenze ist da fließend, die nennt man dann Meteoriden, mit einem "d".
Solche kleinen steinernen Körper können sich durch Störungen, dadurch, dass sie zusammenstoßen oder dass größere Stücke mal zerbrochen sind, auf den Weg Richtung Erde machen. Wenn sie dann auf der Erde aufkommen, dann gibt es erstmal eine Leuchterscheinung. Und die nennen wir Meteor. Wenn dann noch etwas Steinernes übrig bleibt am Erdboden, dann nennen wir das Meteorit, mit einem "t".
Die Sternschnuppe ist nun typischerweise entweder ein Mini- oder Mikrometeorit oder auch der Rest eines Kometen. Irgendetwas Kleines, vielleicht Millimeter groß, das mit großer Geschwindigkeit auf die Erde trifft und dann in der Erdatmosphäre verglüht. In diesem Fall hier haben wir die Kleinstausgabe eines Meteoriten, eines Asteroiden oder eines zerbrochenen Kometen.
Sie haben vorhin gesagt, der Übergang zwischen Meteorid und Asteroid ist fließend. Kann man eine Richtgröße sagen?
Die liegt bei ungefähr einem Meter Durchmesser. Von dieser Größe geht man auch bei "2024BX1" aus.
Woher könnte denn der Asteroid kommen?
Wenn man nur ein einziges Ereignis hat, ist das natürlich schwer zu sagen. Man kann die Leuchtspur jetzt nachverfolgen und die Nasa hat ja auch einige Stunden vor dem Aufprall den Körper verfolgen und eine Bahn berechnen können. Aber deswegen weiß man im Moment trotzdem noch nicht genau, wo er jetzt herkam, weil es zu Bahnstörungen kommen kann. Aber wenn es sich um ein Gesteinsobjekt handelt, wovon man im Moment wegen der Helligkeit in Erdnähe ausgehen kann - dann liegt der wahrscheinliche Ursprungsort im Asteroidengürtel, zwischen Mars und Jupiter.
Nach Berechnungen der Nasa könnten die Teile bei Nennhausen im Havelland heruntergegangen sein. Wo fange ich am besten mit der Suche an?
Ich würde sagen, das Tauwetter kam einen Tag zu früh. Ansonsten wären die Chancen nicht so schlecht gewesen, einen Stein, der auf dem Schnee liegt zu finden. So findet man übrigens auch viele Meteoriten in der Antarktis. Aber hier ist es leider die Nadel im Heuhaufen. Das wird vielleicht irgendwann ein Zufallsfund werden, es sei denn, es machen sich jetzt sehr viele Leute auf den Weg, um die Region abzusuchen.
Wonach sucht man?
Es ist eine unregelmäßig geformte Gestalt, zum Teil sehr glatt und wegen der Hitze beim Eintritt in die Atmosphäre schwarz. Er hat eine vernarbte Oberfläche, vielleicht auch noch mehrere Bruchstellen. Die können dann auch helleres Gestein zeigen. Man kann den Stein auch bedenkenlos anfassen, er ist nicht giftig und auch nicht mehr heiß.
Was kann die Wissenschaft mit so einem Gesteinsbrocken anfangen?
Das Objekt hier ist sicher nett, aber nicht so ausschlaggebend. Aber ich denke, die Forschung an Meteoriten wird dadurch wichtig und relevant, dass man viele findet und untersucht. Dadurch kann man erfahren, was die typische chemische Zusammensetzung ist, was das typische Alter ist. Das Interesse der Forschung an diesen Objekten rührt daher, dass man mit dem Material einen Blick in die Frühgeschichte unseres eigenen Sonnensystems wirft. Sie haben ihre chemische Zusammensetzung über Milliarden Jahre konserviert. Und das macht sie interessant.
Es heißt, die Bröckchen wären wertvoll. Was heißt das?
Das Material selber hat keinen großen Wert. Da findet man vor allem Eisen und Kohlenstoff, das ist wirklich kein Goldnugget. Es ist wie mit einem seltenen Buch oder Gemälde: Das ist dann so viel wert, wie einer meint, dass es ihm wert sei - wenn es dafür einen Markt gibt.
Kommen wir zurück zur Geschichte dieses Asteroiden. Man sagt, dass es erst der achte war, der vorhergesagt werden konnte. Warum ist das nur so selten möglich?
Man führt seit einigen Jahren intensive Suchprogramme durch, weil wir aus unserer Erdgeschichte wissen, dass es sehr selten zu katastrophalen Einschlägen kosmischer Körper auf die Erde kommen kann.
Diese Programme tasten den Himmel jede Nacht nach irgendetwas ab, was leuchtet und sich gegenüber dem Sternenhimmel bewegt. So hat man mittlerweile Hunderttausende von Asteroiden gefunden und katalogisiert und verfolgt ihre Bahn so lange, bis man weiß: Aha, der kann der Erde nicht gefährlich werden. Je kleiner ein Körper wird, desto schwerer ist er natürlich zu entdecken. Das kann man nur, wenn er in der Nähe der Erde ist, weil er dann besser anfängt zu leuchten. Deswegen hat man auch dieses Objekt relativ spät entdeckt: Es ist klein und leuchtet nicht intensiv – und es kam aus Richtung der Sonne, deswegen ist man da geblendet.
Für welchen Zeitraum können Astronomen momentan gesichert ausschließen, dass kein größeres und gefährlicheres Objekt runterkommt?
Man soll ja nie, nie sagen, aber solche katastrophalen Kollisionen sind derzeit auszuschließen. Es gibt eine öffentlich einsehbare Datenbank, die von der Nasa gepflegt wird [cneos.jpl.nasa.gov]. Dort wird für die Objekte, die der Erde am nächsten kommen, vorausgesagt, wann diese maximale Erdannäherung ist, wie groß diese Körper sind und so weiter. Da ist nichts am Horizont, was der Erde in den nächsten Jahrzehnten gefährlich werden kann.
Ab welcher Größe werden die Dinger gefährlich?
Gefährlichkeit muss man natürlich auf verschiedenen Skalen betrachten. Wenn wir die ganze Erde sehen: Beim Einschlag des Asteroiden in Yucatán vor 65 Millionen Jahren, der zum Aussterben der Dinosaurier führte, reden wir von Brocken von einigen zehn Kilometern [ardalpha.de]. Das merkt man dann weltweit – da gibt es dann Verdunkelung, quasi einen "Fallout".
Dann gibt es kleinere Vorfälle wie das sogenannte Tunguska-Ereignis [ardalpha.de]. Da kam Anfang des 20. Jahrhunderts ein Asteroid über der sibirischen Taiga runter, da sind plötzlich 80 Millionen Bäume umgefallen. Der hatte ungefähr einen Durchmesser von 60 bis 100 Metern und zerbrach wohl schon in mehreren Kilometern Höhe. Kein Mensch hat das wirklich gesehen, weil es eben so weit entfernt war. Aber die Spuren konnte man deutlich erkennen.
Ein anderes Beispiel: Vor knapp elf Jahren kam ein Meteorit in der Nähe des russischen Tscheljabinsk runter [deutschlandfunk.de]. Der hatte vielleicht einen Durchmesser von nur 10 oder 20 Metern. Er ist in der Erdatmosphäre zerbrochen. Es gab keine direkten Schädigungen von Menschen, aber einen enormen Überschallknall. Deshalb sind ganz viele Scheiben in der Umgebung von Tscheljabinsk zerbrochen – und an dem splitternden Fensterglas haben sich dann Menschen verletzt (1.491 Verletzte, 43 davon mussten stationär im Krankenhaus behandelt werden, Anm. d.Red.). Das war das bisher letzte bemerkenswerte Ereignis, das viele Menschen gesehen haben und betroffen hat. Durch die Folgen eines Einschlags zu Tode gekommen ist unseres Wissens in den letzten einigen Tausend Jahren niemand.
Der Asteroid fiel vergleichsweise langsam und zerbrach bei einem Tempo von wenigen Kilometern pro Sekunde. Was passiert, wenn so ein Gesteinsteil davon mich trifft?
Um mal bei unserem "2024BX1" zu bleiben: Natürlich wäre es katastrophal, wenn einem so ein faustgroßer Stein auf den Kopf fällt. Aber das ist so unwahrscheinlich - da möge sich bitte niemand Sorgen machen. Da ist die Wahrscheinlichkeit zigmal höher, dass einem ein Ziegelstein auf den Kopf fällt, wenn man unter einem Baugerüst durchgeht.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Jenny Barke.
Die Raumfahrtbehörde Nasa hat den Feuerball schon vor seinem Verglühen für 1:32 Uhr (MEZ) am Sonntagfrüh bei Nennhausen westlich von Berlin angekündigt. Entdeckt hatte ihn der ungarische Astronom Krisztián Sárneczky. Zu sehen war das Verglühen noch weit entfernt bis Leipzig und Prag. Der Himmelskörper erhielt nach seinem Entdecker den vorläufigen Namen "Sar2736", inzwischen wird er als "2024BX1" geführt.
Gewarnt hatte auch der Leiter der Asteroidenabwehr bei der europäischen Raumfahrtorganisation Esa, Richard Moissl. Er schrieb auf X: "Ankommend! In der nächsten halb Stunde erreicht der ein harmloser Himmelskörper die Erdatmosphäre und hinterlässt einen schönen hellen Feuerball." Einer ebenfalls von ihm auf X geposteten Grafik zufolge befindet sich der wahrscheinlichste Absturzort etwa 70 Kilometer von Berlin entfernt: in der Nähe der Gemeinde Nennhausen im Havelland.
Der Asteroid ist nahe des Monds mit steilem Winkel in die Atmosphäre eingetreten und war dabei recht langsam: Nur mit wenigen Kilometern pro Sekunde zerlegte er sich am sternenklaren Himmel. Nach bisheriger Erkenntnis der Polizei hat der abstürzende Asteroid keinen Schaden an Mensch, Tier oder Gebäuden hinterlassen. Somit gibt es auch keine Informationen über den genauen Standort möglicher Einzelteile.
Laut des Vereins Arbeitskreis Meteore sind bereits Meteoritensucher auf den Feldern bei Nennhausen unterwegs. Auch Mitarbeiter des Berliner Naturkundemuseums und Privatleute hatten sich laut Museum bereits auf die Suche gemacht. "Es sind auch professionelle Meteoritensucher aus den USA bereits auf dem Weg nach Deutschland", sagte Andreas Möller vom Verein der Deutschen Presse-Agentur am Montag.
Das Gebiet bestehe aus großen Feldern, die noch leicht mit Schnee bedeckt waren, der aber aktuell abgeschmolzen sei. "Das ist das ideale Suchgebiet. Die Felder sind nicht gepflügt und die Vegetation sehr niedrig", erklärte Möller. "Die Woche über sind wir wieder unterwegs und werden die Felder systematisch absuchen", ergänzte er. Die Reste des Asteroiden können laut Experten des Naturkundemuseums und des Berliner Planetariums zwischen einem halben Zentimeter und einem halben Meter groß sein - genauer kann das momentan niemand sagen.
Wenn solche Teile auf öffentlichem Land gefunden werden, gehören sie dem Finder oder der Finderin. Liegen sie auf einem Privatgrundstück, gehören sie dem Eigentümer.
Andreas Asmus aus Potsdam-Babelsberg ist seit den 1990er Jahren Meteoritensammler und hat das Ereignis verfolgt, wie er sagt. Der Durchmesser des Asteorid wurde auf etwa einen Meter geschätzt, wie der Sternenpark Westhavelland meldet. "Bei der Größe werden schon ein paar Meteoriten angekommen sein. Die werden dann, wenn man Glück hat, ein paar Kilo schwer sein und die würde ich taxieren auf Hunderttausend Euro aufwärts", sagte Andreas Asmus am Montag dem rbb.
Sendung: Brandenburg Aktuell, 21.01.2024, 19:30 Uhr
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