Tarifstreit
Der sechstägige Lokführerstreik legt den Zugverkehr in Deutschland lahm. Güter- und Personenverkehr stehen bis auf kleine Ausnahmen fast völlig still. Die Bahn hat zwar einen Notfahrplan aufgestellt, doch die wenigen Züge helfen den meisten kaum.
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) bestreikt seit der Nacht den Fern- und Regionalbahnverkehr. Der Ausstand ist diesmal für sechs Tage angekündigt. Ein Notfahrplan für einen kleinen Ersatzbetrieb mit wenigen Zügen für Berlin und Brandenburg ist laut Deutscher Bahn "regulär angelaufen".
Seit zwei Uhr am Mittwochmorgen wird der Personenverkehr im gesamten Bundesgebiet bestreikt, dazu zählt auch die S-Bahn Berlin. Im Güterverkehr hatte der Ausstand bei der Bahn-Tochter DB Cargo bereits am Dienstagabend begonnen. Bis kommenden Montag um 18 Uhr soll der Streik diesmal andauern.
Eine letzte Möglichkeit zur Einigung zwischen der GDL und der Deutschen Bahn war noch am Dienstagabend gescheitert. Der Bayerische Rundfunk hatte berichtet, dass die GDL einen Vorschlag gemacht hatte, der sich an den Bedingungen bei privaten Betreibern orientiert habe [br.de]. Die Deutsche Bahn lehnte dies kurz darauf ab. "Das ist kein Einigungsvorschlag, das ist die Wiederholung altbekannter Maximalforderungen, die so nicht umsetzbar sind", sagte ein Bahn-Sprecher dem BR.
Betroffen sind von dem Ausstand neben Fernverkehrszügen auch Regionalzüge in Berlin und Brandenburg. Der private Anbieter Odeg will nach eigenen Angaben versuchen, sein Angebot aufrecht zu erhalten [odeg.de]. Gleichwohl muss auch hier mit Einschränkungen gerechnet werden, da die Odeg die Infrastruktur der Deutschen Bahn benutzt.
Die BVG und der Nahverkehr in Brandenburger Kommunen sind von den Streikmaßnahmen erneut nicht betroffen. Die BVG warnte aber, dass ab Mittwoch mit längeren Wartezeiten sowie volleren Bussen, U- und Straßenbahnen als bei den vorherigen Bahnstreiks zu rechnen ist. Aufgrund der Länge des Streiks, der fast sechs Tage dauern soll, sei mit einer stärkeren Nachfrage bei der BVG zu rechnen als bei vergangenen Aktionen, hieß es. In den Fahrzeugen dürfte es also noch voller werden als zuletzt.
Bis zu 80 Prozent der Fernzüge sollen laut Bahninformationen ausfallen. Bereits am Montag hatte das Unternehmen mitgeteilt, dass einige Verbindungen in der Region ersatzlos gestrichen werden. Betroffen sind voraussichtlich die Linien: FEX, RE11, RE13, RB20/22, RB21, RB23, RB24, RB32, RB49 und RB55.
In weiten Landesteilen kommt nur noch sporadisch ein Zug. Unter anderem fällt jeder dritte RE 2 und RE7 aus, beim RE3 kommt jeder zweite nicht. Der RE10 kann kommen, muss aber nicht. Nur der RE1 von der Odeg fährt nach Plan.
Die Züge von Odeg oder der Niederbarnimer Eisenbahn fahren - wenn nicht das Stellwerk durch Bahnmitarbeiter bestreikt wird. Auf anderen Linien werde versucht, Züge in unregelmäßigen Abständen einzusetzen oder einen Ersatzverkehr mit Bussen einzurichten, hieß es.
Bei der Berliner S-Bahn fahren die Linien S1, S2, S26, S41/42 (Ringbahn), S45, S47, S7, S75, S8 und S85 während des Streiks nicht. Im 20-Minuten-Takt gibt es bei einigen Linien einen Notfahrplan. Das gilt für die S46 zwischen Königs Wusterhausen und Schöneberg und die S9 zwischen Friedrichstraße, Schöneweide und Flughafen BER. Die S3 zwischen Erkner und Ostbahnhof und die S5 zwischen Strausberg Nord und Ostbahnhof fahren unter der Woche bis 21 Uhr im 20-Minuten-Takt, danach bis Betriebsschluss alle 40 Minuten.
Am Wochenende von Freitag auf Samstag und Samstag auf Sonntag läuft der 20-Minuten-Takt bis 1 Uhr. Danach fahren die Linien halbstündig.
Der ohnehin geplante Bus-Ersatzverkehr zwischen Südkreuz und Gesundbrunnen findet laut Bahn wie vorgesehen statt. Grund sind Bauarbeiten im Nordsüdtunnel der S-Bahn.
Viele Fahrgäste weichen im Fernverkehr offenbar auf Flüge aus. Der Lufthansa-Konzern verzeichnet wegen des Lokführer-Streiks eine höhere Nachfrage auf den innerdeutschen Strecken, wie das Unternehmen bekanntgab. Es gebe für den Streikzeitraum "einige zusätzliche Buchungen". Man setze auch größere Flugzeuge ein, um möglichst vielen Kunden eine Reisemöglichkeit anzubieten. Die Tochtergesellschaft Eurowings stellte ebenfalls eine sprunghaft gestiegene Nachfrage auf ihren innerdeutschen Strecken fest.
In diesen Tagen verzeichne man die höchsten Buchungseingänge der vergangenen vier Jahre, erklärte ein Sprecher. An gößeren Flughäfen wie Düsseldorf, Hamburg, Berlin, Köln/Bonn oder Stuttgart gibt es aber dem Unternehmen zufolge noch freie Plätze. Zwischen Berlin und Düsseldorf seien deshalb ab Donnerstag zusätzliche Flüge buchbar.
"DB Cargo versucht mit allen Kräften, die Folgen für die Kunden in der Wirtschaft und Industrie abzumildern", teilte die Bahn zuvor mit. "Insbesondere versorgungsrelevante Züge stehen im Fokus - gemeinsam mit Kunden wird dazu jeweils nach individuellen Lösungen gesucht." Der 144-stündige Streik im Güterverkehr wirke sich unmittelbar auf Industrie-Lieferketten aus, hieß es.
Laut den Unternehmensverbände Berlin Brandenburg (UVB) wird etwa ein Fünftel aller Güter über die Schiene transportiert. Der Streik im Güterverkehr werde entsprechend deutliche Auswirkungen auf die Wirtschaft haben, sagte UVB-Sprecher Carsten Brönstrup auf rbb-Anfrage. "Wir rechnen damit, dass gesamtwirtschaftlich in Berlin und Brandenburg über die ganzen sechs Tage dieses Streiks ein Schaden von mindestens 100 Millionen Euro insgesamt entstehen wird."
"Es wird Unternehmen geben, die versuchen werden auf die Straße auszuweichen. Da die Kapazitäten der Logistiker begrenzt sind, dürfte das dazu führen, dass die Preise ein wenig steigen", sagte er. "Das ist ein volkswirtschaftlicher Verlust, den wir ohne diesen Streik nicht hätten." Bundesweit sei eine Schadenshöhe von bis zu einer Milliarde Euro nicht unrealistisch, wie eine Sprecherin des Bundesverbands der Deutschen Industrie sagte.
Der sechstägige Streik ist der längste in der Geschichte der Deutschen Bahn, so eine Bahnsprecherin. Er umfasse auch erstmals ein komplettes Wochenende. Die GDL hat für die nächsten Tage zu mehreren Streikkundgebungen aufgerufen, unter anderem auch am Freitag in Berlin.
In einem Brief an die Bahn hat die GDL ihre Tarifforderungen am Mittwochmorgen erneuert und manche konkretisiert. "Die Vorschläge orientieren sich an den Tarifabschlüssen, die wir in den vergangenen Wochen mit unseren Tarifpartnern erzielen konnten", heißt es.
So wird etwa ein konkreter Zeitplan für die geforderte Reduzierung der Wochenarbeitszeit für Schichtarbeiter von 38 auf 35 Stunden ohne finanzielle Einbußen bis 2028 vorgeschlagen. Es ist die Kernforderung der Gewerkschaft und der Knackpunkt im Tarifkonflikt.
Die Bahn lehnte die Vorschläge der GDL als Grundlage für weitere Verhandlungen ab. Es handele sich lediglich um die "Wiederholung altbekannter Maximalforderungen", sagte eine Sprecherin am Mittwochmorgen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 24.01.2023, 6 Uhr
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