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Audio: rbb|24 | 23.01.2024 | Ton aus dem Interview mit Henriette Pfeifer | Quelle: picture alliance/photothek/F.Gaertner

Interview | Arbeitsmedizinerin

"Schichtarbeit wird immer zu Langzeitfolgen führen"

Schichtarbeit - insbesondere in der Nacht - führt unweigerlich zu Schlafentzug, Schlafmangel und meist auch zu Schlafstörungen. Das kann krank machen. Deshalb müssen Arbeitgeber und -nehmer vorsorgen. Wie, verrät eine Arbeitsmedizinerin.

rbb|24: Frau Pfeifer, würden Sie als Arbeitsmedizinerin sagen, Schichtarbeit ist eher was für jüngere Menschen?

Henriette Pfeifer: Es ist tatsächlich so, dass Schichtarbeit - durch Schlafentzug, Schlafmangel und daraus resultierende Schlafstörungen – von jüngeren Menschen oft besser toleriert wird. Denn die Regenerationsfähigkeit nimmt ja im Alter ab. So können durch den Wechsel im Tagesrhythmus bei der Schichtarbeit Schlafstörungen zunehmen. Jüngere Menschen können dieses Arbeiten gegen die biologische Uhr oft besser kompensieren.

Wer ist für Schichtarbeit definitiv nicht geeignet? Und: Welche Arten von Schichtarbeit gibt es?

Per se kann man nicht sagen, dass es Menschen gibt, für die Schichtarbeit komplett ausgeschlossen werden kann. Man muss das als Arbeitgeber immer individuell mit dem Mitarbeiter zusammen entscheiden – am besten auch in Zusammenarbeit mit einem Betriebsarzt. Und genau dabei muss man auf die unterschiedlichen Arten von Schichtarbeit eingehen.

Es gibt ja verschiedenste Modelle von Schichtarbeit. Es gibt die Wechselschichtarbeit, es gibt die Wechselschichtarbeit mit Nachtschicht und es gibt permanente Schichtarbeit. Die Wechselschicht gibt es beispielsweise ganz klassisch im Einzelhandel als Früh- und Spätschicht. Wechselschicht mit Nachtarbeit gibt es oft in Pflegeberufen, aber auch bei der Feuerwehr und der Polizei. In permanenter Schichtarbeit arbeiten beispielsweise Dauernachtwachen, wie man sie aus dem Sicherheitsdienst kennt.

Zur Person

Henriette Pfeifer

Sie haben Schlafstörungen als etwaige Auswirkung von Schichtarbeit schon erwähnt. Was macht Schichtarbeit mit den Menschen und auch ihren Familien und Freunden?

Mit den Folgen von Schichtarbeit setzen sich schon seit vielen Jahren Arbeitswissenschaftler, Arbeitsmediziner und Arbeitspsychologen auseinander. Denn in den Schichten wird ja – gerade bei der nächtlichen Arbeit - entgegen der körperlichen Taktung und der inneren Uhr gearbeitet. Und an dieses nächtliche Arbeiten kann man sich nicht gewöhnen. Es gibt da keinen Gewöhnungseffekt für den Körper. Man kann ihn nur für eine gewisse Zeit austricksen. Aber die Schichtarbeit wird immer zu Langzeitfolgen führen.

Das Austricksen der inneren Uhr führt dann zu einem chronischem Jetlag-Syndrom. Denn durch die Schlafdefizite kommt es auch zu Ein- und Durchschlafstörungen. Selbst wer das Gefühl hat, nach einer Nachtschicht gut schlafen zu können, muss bedenken, dass der Körper im Tagesrhythmus die Verdauung, die Körpertemperatur und die Erholung reguliert. Da geht es nicht immer darum, wie lange jemand schläft. Sondern darum, wie die Qualität des Schlafs ist. Wenn man am Tag schläft, verkürzen sich die Tiefschlafphasen und auch ihre Häufigkeit nimmt ab. Dadurch kann es zu einer geringeren Erholung kommen und zu einem Blutdruckanstieg kommen. Das wiederum kann zu einer Herz-Kreislauf-Erkrankung führen.

Und nicht nur der Schlaf ist ein Problem, sondern eben beispielsweise auch die Verdauung. Diese ist in der Nacht minimiert. Wer da arbeitet, hat auch seine Hauptnahrungsaufnahme in der Nacht. Das kann zu Verdauungsproblemen, Magenbeschwerden oder Appetitlosigkeit führen.

Auch die soziale Komponente ist sehr wichtig. Wer sich nicht gut abspricht mit Familie und Freunden, erfährt schnell weniger soziale Teilhabe. Das kann zu sozialer Isolation führen und diese zu innerem Stress und depressiver Verstimmung.

Das klingt, als wäre Schichtarbeit unter Umständen richtiggehend gesundheitsgefährdend. Für welche Berufsgruppen wird es besonders kritisch, wenn sie die Folgen spüren und trotzdem arbeiten?

Die körperlichen Auswirkungen von Schichtarbeit sind für jeden einzelnen gefährlich. In den Bereichen, in denen nachts gearbeitet wird, egal ob in der Metallindustrie an schweren Maschinen oder Busfahrer und Ärzte, sehen wir natürlich ein erhöhtes Fehler- und Unfallrisiko. Denn die Leistungsfähigkeit nimmt ja ab. Da gibt es beispielsweise das klassische nächtliche drei-Uhr-Tief.

 

Was sollten Arbeitgeber tun, um die Schichtarbeit so gut wie möglich zu gestalten?

Die Empfehlungen von Arbeitswissenschaftlern sind da ganz klar. Schichtpläne sollten möglichst vorwärts rotierend gestaltet werden. So kommen sie dem natürlichen Bio-Rhythmus entgegen. Man beginnt also mit Frühschicht, wechselt in die Spätschicht und wechselt dann in die Nachtschicht. Im Anschluss folgen Freizeitblöcke. Die Schichtsysteme sollten dabei schnell rotieren. Also beispielsweise arbeitet der Arbeitnehmer in allen Schichten zwei Tage und dann folgen drei bis vier freie Tage.

Außerdem sollten die Schichten nicht länger als acht Stunden – so wie es das Arbeitszeitgesetz vorgibt – dauern. In manchen Bereichen – beispielsweise der Ärzteschaft – sind zehn Stunden üblich. Das sollte nicht weiter ausgereizt werden. Gern gesehen sind zwei, maximal drei Nachtschichten hintereinander. So kann man dem Körper gute Schlafphasen antrainieren. So können Arbeitgeber die Fehlerquote ihrer Mitarbeiter reduzieren. Auch sollten Freizeitblöcke wiederkehrend auf den Wochenenden liegen, sodass ein größerer Erholungseffekt eintritt, weil der Arbeitnehmer Freunde und Familie sehen kann.

Jenseits davon: Welche Tipps gibt’s für Schichtarbeiter selbst, um besser klarzukommen?

Man sollte sich eine gute Schlafhygiene aneignen. Mithilfe von Entspannungsübungen, mit Hörbüchern oder ähnlichem. Wer von der Nachtarbeit kommt, sollte sich nicht gleich dem Fernsehen oder digitalen Medien widmen. Man sollte auch möglichst das Tageslicht etwas meiden. Eventuell hilft es, mit einer Sonnenbrille nachhause zu gehen. So kann man einen gewissen Dunkelheits-Effekt erreichen. Die Schlafqualität verbessert sich durch gute klimatische Bedingungen zuhause. Dunkle, kühle Räume und Lärmvermeidung sind da hilfreich.

Wer nachts arbeitet, sollte nicht zu viel Koffein und andere aufputschende Substanzen während der Schicht konsumieren. Dann kann man danach besser runterfahren.

Auch die Ernährung während der Schicht spielt eine Rolle. Sie sollte nicht zu reich- und fetthaltig sein. Gegessen werden sollte auch nicht direkt vor dem Schlafen gehen, um die Verdauung nicht noch mehr zu belasten.

Je mehr man sich bewegt, umso besser ist auch der Schlaf. Wichtig ist auch, dass man sich weiter mit Freunden verabredet und sich dort in Erinnerung bringt.

Es hilft auch, sich selbst zu vergegenwärtigen und mit dem Arbeitgeber abzusprechen, welcher Chrono-Typ man ist. Manchen liegen eher die frühen, manchen die Spät- und Nachtschichten.

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Hat Schichtarbeit auch Vorteile für Arbeitnehmer?

Viele Arbeitnehmer sind gerne im Schichtdienst, weil sie die Flexibilität schätzen. Sie finden gut, dass sie auch unter der Woche freie Tage haben, die sie für Verabredungen, Arzt- oder Behördentermine nutzen können. Manche Arbeitnehmer können Familie und Beruf so besser vereinbaren. Sie können ihre Kinder beispielsweise am Nachmittag sehen oder sie morgens zur Schule oder in die Kita bringen.

Auch der monetäre Effekt ist durch Schichtzulagen und mehr Urlaubstage nicht zu vernachlässigen. Außerdem gibt es oftmals Abwechslung im Aufgabengebiet, wenn man in verschiedenen Schichten arbeitet. Manche mögen es auch, in wechselnden Teams zu arbeiten.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24

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