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Quelle: dpa/Charisius

Pietät oder Profit?

Was für und was gegen die Bestattungsform "Reerdigung" spricht

In 40 Tagen einen Leichnam zu Erde kompostieren: Das ist das Versprechen eines Berliner Startups. Bei Bestattern sorgt das für Skepsis. Am Montag hat der Senat das Bestattungsgesetz geändert, die "Reerdigung" war jedoch kein Thema. Von Jenny Barke

Asche zu Asche, Staub zu Staub, so heißt es bekanntlich schon in der Bibel. Mindestens so alt wie das Testament ist der Wunsch der Menschen, wieder in die Elemente zu zerfallen, aus denen der Körper nach christlicher Vorstellung entstanden ist. Vom Homo Sapiens zu Humus sozusagen. Ein Berliner Startup verspricht, diese Vorstellung umzusetzen. Neben der in Deutschland angebotenen Feuer- und Erdbestattung bietet es die "Reerdigung" an. Dabei wird der Leichnam in eine speziell dafür entwickelte Wanne gelegt, die mit feuchtem Grünschnitt und Stroh ausgelegt ist. Luftdicht verschlossen, soll so mit Hilfe der Mikroorganismen, die auf Körper und Pflanzen leben, der Leichnam - wie es auf der Webseite des Startups steht - in Erde "transformiert" werden.

Das Unternehmen "Meine Erde" hat in den vergangenen Monaten viel Aufmerksamkeit bekommen in Medien, Politik und Institutionen, die sich beruflich oder theologisch mit dem Tod beschäftigen. Auch rbb24.de hat über die neue Bestattungsform berichtet. In Zeiten, in denen Plätze auf dem Friedhof nicht mehr so gefragt sind und sich immer mehr Menschen möglichst nachhaltige und liberalere Formen der Bestattung wünschen, wirkt das Konzept der "Reerdigung" für viele attraktiv. Einer repräsentativen Umfrage unter 2.000 Bürgerinnen und Bürgern zufolge wünschen sich 27,4 Prozent für sich selbst oder ihre Angehörigen die Bestattungsform. Allein: In Auftrag gegeben wurde die Befragung von der Stiftung des Unternehmens selbst, durchgeführt wurde sie vom Hamburger Marktforschungsunternehmen Appinio im Mai 2023 [Umfrage-PDF].

Neue Bestattungsform "Reerdigung"

Vom Leichnam zu Blumenerde in 40 Tagen

Stirbt ein Mensch, stellt sich die Frage nach der Bestattungsform: Einäschern lassen oder im Sarg bestatten? Oder doch "reerdigen"? Bei dieser neuen Bestattungsmethode wird aus dem Leichnam fruchtbare Erde. Von Yasser Speck

Novellierung Bestattungsgesetz ohne "Reerdigung"

Trotz des breiten Interesses ist die Bestattungsform bisher nur im Bundesland Schleswig-Holstein geduldet. Bestattungsgesetze sind Ländersache. Erde, die über die "Reerdigung" in Schleswig-Holstein entstanden ist, darf zudem noch in Mecklenburg-Vorpommern und Hamburg beigesetzt werden. In Berlin ist die "Reerdigung" bisher nicht zugelassen. Doch das Land zeigt sich offen dafür: Mit Interesse beobachtet man das Pilotprojekt in Schleswig-Holstein, schreibt der Sprecher der Senatsgesundheitsverwaltung Oliver Fey auf rbb-Anfrage. Dort wird am Mittwoch, 24. Januar über einen von allen Fraktionen gemeinsame eingebrachten Antrag [landtag.ltsh.de] zur Erweiterung des Bestattungsgesetzes um eine Experimentierklausel zur Erprobung neuer Bestattungsformen (für Pilotprojekte bis zu fünf Jahre) entscheiden, teilt die Sprecherin der Stiftung Reerdigung, Olga Perov, mit.

Am Montag hat der Gesundheitsausschuss des Berliner Senats getagt. Dabei wurde auch der Beschluss zur Novellierung des Bestattungsgesetzes angenommen, den der Senat im November beschlossen hat. Darin vermerkt: Berlin wird die 48-stündige Wartefrist bis zu einer möglichen Beisetzung abschaffen. Auch Embryonen und Föten aus Schwangerschaftsabbrüchen können künftig auf Wunsch der Eltern bestattet werden.

Die neue Bestattungsform "Reerdigung" spielte bei dem neuen Bestattungsgesetz hingegen keine Rolle mehr. Dabei wurde sie beim ersten Entwurf im September noch benannt. Darin äußert sich auch der Anbieter von "Meine Erde", Pablo Metz. "Wir haben uns gefreut über die Ankündigung der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung vom Freitag, dass eine Modernisierung des Bestattungsrechts in Berlin angestrebt wird. Wir hoffen, dass bei einer Novellierung des Bestattungsrechts auch weitere Regelungen jenseits der Bestattungsfrist neu bewertet werden", heißt es.

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Pro- und Contra-Sprecher der "Reerdigung"

Der SPD-Abgeordnete Lars Düsterhöft ist enttäuscht. Ihm zufolge stehe die SPD im Senat zur "Reerdigung", doch der Koalitionspartner CDU sei in großen Teilen dagegen. Auf Anfrage teilt der ehemalige Bestatter und CDU-Abgeordnete Frank Luhmann dem rbb mit, dass er sich zu dem Thema nicht äußern werde, "da wir uns noch im Abstimmungsprozess innerhalb der Koalition befinden". Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU ist ein Pilotprojekt zwischen CDU und SPD nicht vorgesehen.

SPD-Politiker Düsterhöft hätte sich gewünscht, dass die "Reerdigung" künftig auch in Berlin als Bestattungsform zugelassen oder zumindest eine sogenannte Erprobungsklausel festgeschrieben wird. Dann hätte die Bestattungsform zumindest wissenschaftlich weiter untersucht werden können. Deshalb hat er sich an den rbb gewandt, um seine Pro-Haltung zu bekräftigen.

Ihm gegenüber steht die Bestatter-Innung von Berlin und Brandenburg. Deren Obermeister Fabian Lenzen ist selbst Bestatter und Lehrbeauftragter der Universität Regensburg für perimortale Wissenschaften (perimortal=Zeitraum um den Tod betreffend, Red.). Er steht der neuen Bestattungsform kritisch gegenüber. Das Für und Wider von Düsterhöft und Lenzen soll hier dargestellt werden.

Uni Leipzig: "Transformation" in 40 Tagen abgeschlossen

Bisher ist das Berliner Startup "Meine Erde" das einzige Unternehmen bundesweit, dass sich auf die Kompostierung innerhalb von 40 Tagen spezialisiert hat. Die Gründer sind überzeugt: Die Bestattungsform würde den Weg ins Jenseits "sanft" begleiten, sei nachhaltig und klimaneutral. Um diese Überzeugung auch wissenschaftlich zu untermauern, haben die Unternehmer bei der Universität Leipzig eine Studie in Auftrag gegeben [PDF].

Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Leipzig hat nach eigenen Angaben die erste wissenschaftliche Studie zur neuen ökologischen Bestattungsform Reerdigung veröffentlicht: "Die Forscher:innen kommen zu dem Ergebnis, dass die beschleunigte Transformation eines Verstorbenen zu Humus innerhalb von 40 Tagen abgeschlossen ist", heißt es. Allerdings: Für ihre Studie hat die Uni Leipzig nur zwei Verstorbene untersucht. Dabei seien "Knochen-, Erd- und Haarproben entnommen" und "mit molekularbiologischen, toxikologischen, morphologisch-osteologischen und bodenkundlichen Methoden untersucht" worden.

Für den SPD-Abgeordneten Düsterhöft ist das Ergebnis sehr aussagekräftig. "Die Untersuchung der Uni Leipzig belegt, die DNA ist nicht mehr zu identifizieren", so Düsterhöft. Der Bundesverband Deutscher Bestatter hält in einem offiziellen Statement dagegen: Auf der Basis von zwei untersuchten Leichnamen "lassen sich keine aussagekräftigen wissenschaftlichen Erkenntnisse sammeln". Und auch Bestatter Lenzen ist skeptisch: "Es bleiben spannende Fragen offen bei nur zwei untersuchten Leichnamen: Was hat der Verstorbene vor diesem Prozess für Marker? Hatte er eine Infektionskrankheit? Chemotherapie? Medikamente? Zwei Untersuchungen halte ich für keinen wissenschaftlichen Querschnitt."

Wie wird der Humus transportiert?

Düsterhöft hingegen ärgert die Frage nach den Schadstoffen. "Ich frage mich ernsthaft, was soll denn dabei rauskommen, wenn man Streu und Heu dazu gibt, wie soll sich der Leichnam da entwickeln? Also was soll da für eine bahnbrechende Untersuchung dazu kommen?" Für ihn sei einzig entscheidend, ob der Leichnam nach 40 Tagen zersetzt ist - das habe die Studie der Universität Leipzig gezeigt.

Für Lenzen gibt es dabei einen Unterschied: Während der Leichnam bei einer Sargbestattung unter der Erde verwest, würde bei der "Reerdigung" das nach 40 Tagen entstandene Endprodukt danach wieder aus dem Kokon entfernt und auf einen Friedhof gebracht werden. Dabei würde er in Kontakt mit Mitarbeitenden kommen. "Ist sichergestellt, dass keine Infektionsgefahr besteht?"

Hinzu kämen moralische Bedenken: "Man muss ja auch überlegen, wie dann eine Bestattungszeremonie aussieht. Das lose Material sollte vielleicht nicht mit der Schubkarre vom "Reerdigungs-Kokon" auf den Friedhof gebracht werden. Für das Mehrheitsempfinden ist das sicher nicht angemessen." Es handle sich immer noch um den Leib eines Verstorbenen.

Ökologische Verwesung?

Zusätzlich zum "sanften Verfahren" wirbt das Unternehmen mit der Nachhaltigkeit der neuen Beerdigungsform. Sie sei "ökologisch", "erdgasfrei und ohne Zusatz von Chemikalien", "im Kreislauf der Natur".

Bestatter Lenzen fehlen für diese markigen Werbesprüche die notwendigen CO2-Bilanzen und andere Nachweise. "Ich erkenne an, dass im Gegensatz zur Feuerbestattung weniger Energie beim Prozess verbraucht wird, da könnte ein Vorteil bestehen", räumt er ein. Rundherum sieht er allerdings viel verbrauchte Energie. Die Apparatur des sogenannten Kokons sei verhältnismäßig komplex und müsse erstmal hergestellt werden. In die Energiebilanz müsse zudem einberechnet werden, dass beim Prozess der Kokon bewegt wird, um die gesammelte Feuchtigkeit zu vermengen. "Außerdem sollen 70 Grad Temperatur im Inneren herrschen. Der Anbieter sagt, das passiert durch den Prozess selbst. Aber uns wurde auch gesagt, dass die Temperatur im Notfall auch von außen gesteigert wird." Ihm variierten die Angaben zu sehr.

Düsterhöft stellt die Gegenfrage: "Wie oft werden denn Särge wiederverwendet? Nämlich gar nicht." Tatsächlich braucht ein herkömmlicher Sarg bis zu 20 Jahre, um vollständig in der Erde zu verrotten.

Berlin

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Vorwurf des monetären Interesses von Bestattern

Hinter der rigiden Ablehnung durch den Bundesverband der Bestatter am neuen Verfahren vermutet Düsterhöft wirtschaftliches Interesse. "Einerseits gebe es weitere Anbieter, die den Bestattern Konkurrenz machen könnten. Und die fehlenden Sargverkäufe wären ein Problem. Und wenn ich mir anschaue, dass 27 Prozent in einer repräsentativen Umfrage Interesse an der "Reerdigung" bekunden, dann ist die Kritik meiner Meinung nach rein monetär betrieben."

In einigen Bundesländern sind Krematorien in privatem Besitz von Bestattern, die Verbrennung und Bestattung aus einer Hand anbieten. In Berlin allerdings befinden sich die zwei Krematorien in Landesbesitz.

Aus diesem Grund seien laut Lenzen - wenn überhaupt - monetäre Interessen des Lands Berlin tangiert. "Offen gestanden finde ich den Vorwurf des monetären Interesses einigermaßen befremdlich. Der Anbieter der 'Reerdigung' stellt den Bestattern ja großzügige Provisionen für das neue Verfahren in Aussicht. Ich kann aus Bestattersicht keinen finanziellen Nachteil sehen, der uns entsteht."

Testphase ja oder nein?

Auch der Bundesverband der Bestatter betont in seiner Pressemitteilung, dass er nicht prinzipiell gegen die Einführung der Humankompostierung sei.

Für Düsterhöft ist der Widerstand des Verbands jedoch "ein großer Motivationsfaktor", das Thema voranzubringen. Er hält die meisten Argumente gegen das Verfahren für "völlig absurd". Deshalb kündigt er an, dass die SPD sich vorbehalten wird, eine weitere Novellierung des Bestattungsgesetzes mit einem Antrag anzuschieben. "Wir hoffen auf eine offene Diskussion mit der CDU, bei der alle Bedenken gegenüber den positiven Argumenten abgewogen werden und man dann zu einer Entscheidung kommt.

"Dass in der Leipziger Studie nur zwei Leichname untersucht worden sind, finde ich ein starkes Argument für eine weitere wissenschaftliche Erprobung", so SPD-Abgeordneter Düsterhöft.

"Grundsätzlich, wenn man das machen will, muss man es untersuchen", erwidert Bestatter Lenzen. Dann sollte es aber anders laufen als in Schleswig-Holstein. Denn dort gab es 16 Reerdigungen, aber nur zwei Untersuchungen. Und die Studie ist vom Unternehmen selbst in Auftrag gegeben worden. "Das Verfahren ist nicht losgelöst von unternehmerischen Interessen angeschaut worden, sondern es gibt einen Anbieter, der ein ureigenes wirtschaftliches Interesse daran hat, diese Bestattungsform zu legalisieren."

Bei allen Argumenten für und wider einer "Reerdigung" - in einem sind sich Düsterhöft und Lenzen einig: Beide wünschen sich für eine ausgewogene Entscheidung eine bessere Studienlage.

Sendung: rbb24 Explainer, 17.08.2023, 09:27 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

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