Studie vorgestellt
Mehr als 2.000 Menschen haben in der Evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt erlebt, so eine Studie, die am Donnerstag vorgestellt wurde. Auch in Berlin-Brandenburg wurden Fälle bekannt, der älteste reicht bis 1925 zurück.
Mindestens 2.225 Betroffene und 1.259 mutmaßliche Täter hat eine Studie zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Diakonie für die vergangenen Jahrzehnte dokumentiert.
Das sei jedoch nur die "Spitze der Spitze des Eisbergs", sagte Studienleiter Martin Wazlawik von der Hochschule Hannover am Donnerstag bei der Vorstellung der ForuM-Studie [forum-studie.de]. "Das bitte ich bei der Einordnung der Zahlen und Befunde zu beachten."
Der Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), Christian Stäblein, sagte zu den Ergebnissen der Studie, das Ausmaß der Gewalttaten in der Evangelischen Kirche sei "furchtbar". Zudem sprach er von einem entwürdigenden Umgang mit betroffenen Menschen, die oft nicht gehört worden seien. Er begrüßte, dass die Stimme der Betroffenen endlich laut vernehmbar seien.
"Darum muss es jetzt und in Zukunft gehen, dass endlich nicht mehr die Institution gedeckt wird, sondern von sexualisierter Gewalt betroffene Menschen gehört werden und alle Hilfe und Unterstützung erhalten", so Stäblein. Am Freitag sagte er im rbb24 Inforadio, die Studie könne nur ein erster Schritt sein. Man müsse von viel mehr Fällen ausgehen. Die Dunkelziffer sei hoch. Deshalb müssten weitere Akten aufgearbeitet werden. Das föderale System innerhalb der Kirche sei dabei nicht hilfreich, fügte Stäblein hinzu.
Den Studienergebnissen zufolge wurden im Bereich der EKBO insgesamt 116 von sexualisierter Gewalt betroffene Personen und 41 beschuldigte Personen gemeldet. Unter den beschuldigten Personen seien 39 Pfarrer und zwei privatrechtlich angestellte Mitarbeiter der Kirche, in allen Fällen handele es sich um männliche Einzeltäter, hieß es in der Mitteilung. Einer der Fälle reiche bis ins Jahr 1925 zurück.
Betroffene mahnten an, die Aufarbeitung von Fällen und Strukturen stärker voranzutreiben - auch mithilfe des Staates. "Wir brauchen hier eine Verantwortungsübernahme des Staates. Denn es zeigt sich immer wieder, die Kirche ist für die Betroffenen kein Gegenüber", sagte Katharina Kracht, Vertreterin der Betroffenen und Mitglied im Beirat des Forschungsverbundes. Es brauche externe Fachleute und Beschwerdestellen, Aufarbeitung sei die Königsdisziplin. Aus ihrer Sicht fehle in den Landeskirchen aber Kompetenz und vermutlich auch Interesse, Fälle tatsächlich aufzudecken. "Wenn solche Nachforschungen nicht unternommen werden, bleiben Täter unentdeckt."
Die in der Studie ermittelten Fallzahlen von 2.225 Betroffenen basieren auf Akten der Landeskirchen und der Diakonie, außerdem flossen den Landeskirchen und diakonischen Werken bekannte Fälle ein. Die Wissenschaftler konnten aber nicht alle Personalakten aller Pfarrer und Diakone auswerten, sondern in erster Linie Disziplinarakten. Auf Grundlage ihrer Methode kamen die Experten auf eine geschätzte Gesamtzahl von 3.497 Beschuldigten. Die präsentierten Zahlen würden das Ausmaß aber "deutlich unterschätzen", sagte Wazlawik.
Die EKD hatte die Studie 2020 initiiert. Ziel war, evangelische Strukturen zu analysieren, die Gewalt und Machtmissbrauch begünstigen. Finanziert wurde die Untersuchung mit 3,6 Millionen Euro. Als Dachorganisation von 20 Landeskirchen vertritt die EKD bundesweit 19,2 Millionen evangelische Christinnen und Christen.
Der Psychiater Harald Dreßing als Teil der Forschungsgruppe kritisierte die "schleppende Zuarbeit der Landeskirchen". Dies habe zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung geführt, teils seien auch "qualitativ unzureichende Daten" übermittelt worden, sagte er.
Marion Eckerland
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Sendung: rbb24 Inforadio, 25.01.2024, 17:05 Uhr
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