Große Autos in Berlin und Brandenburg
Beim Thema SUVs gibt es hierzulande meist nur zwei Lager: die Liebhaber und die Hasser. Vor allem im urbanen Raum prallen die Ansichten aufeinander. Warum kochen die Emotionen gerade beim "Sport Utility Vehicle" so hoch? Von Sylvia Lundschien
Es tut sich was bei den "Sport Utility Vehicles": In der französischen Hauptstadt Paris sollen Fahrerinnen und -Fahrer von SUV künftig höhere Parkgebühren zahlen als die kleinerer Fahrzeuge. In Deutschland, aber auch in anderen europäischen Städten, stehen die Geländelimousinen ebenfalls schon länger im Fokus: Unbekannte lassen immer wieder die Luft aus den Reifen von großen Autos und begründen ihr Handeln als politische Tat für mehr Klimaschutz.
Am "Sport Utility Vehicle" entzündet sich heftiger Streit. Wer ihn fährt, liebt ihn oft für elegantes Design und höhergelegte Bauart, dafür, dass er bequem und geräumig ist. Wer ihn hasst, verspottet die Wagen auch mal als "Stadtpanzer" oder "Familienbomber". Ganz von der Hand weisen lässt sich das nicht: Historisch sind die Fahrzeuge entfernt verwandt mit Militärmaschinen.
Eher auf die zweckmäßige Nutzung schauen wohl Försterinnen, die mit Geländewagen durch den Wald brettern, oder Landwirte, die auf der Weide nach dem Rechten sehen müssen und dafür über schlammige Feldwege müssen. Aber in der Stadt erscheint das Ganze eher eine Show zu sein: Vielen SUV-Modellen fehlt es an den technischen Fähigkeiten eines echten Geländewagens. Wozu also das Theater?
In Ballungsgebieten wie Berlin wird unter anderem die Größe als Problem empfunden. Allerdings sind einer Studie zufolge Autos in den vergangenen Jahrzehnten insgesamt länger geworden: seit den 50er Jahren um 60 Prozent. Die maximale Autolänge beträgt demnach aktuell 6,80 Meter. Auch die Breite der Autos nimmt zu: Im Schnitt betrage diese mehr als 2,10 Meter mit Spiegel, heißt es. Heikel wird es dann manchmal an Baustellen, auf Parkplätzen und in Parkhäusern. Hier ist der Standard seit Jahrzehnten oft nur knapp zwei Meter Breite.
Die Größe von SUVs und ähnlichen Autos birgt noch ein weiteres Problem: Die Vehikel verbrauchen als Verbrenner - im Vergleich zum Beispiel wie zu einem Kleinwagen wie einem Renault Clio - in der Spitze bis zu 13 Liter Sprit pro 100 Kilometer. Durch ihre Bauart haben SUVs viel Gewicht und einen größeren Luftwiderstand, der dem Motor mehr abverlangt und den Spritverbrauch steigen lässt.
Und noch ein weiteres Argument wird gegen die SUVs ins Feld geführt: Bei einer Kollision zwischen Mensch und SUV kann es zu schwereren Verletzungen kommen, da mehr Masse auf zum Beispiel Becken und Oberkörper treffen – kleine Kinder sind besonders gefährdet. Dass SUVs in mehr Unfälle verwickelt wären, lässt sich allerdings nicht durch die Unfallstatistik belegen.
Doch trotz dieser Negativpunkte ist der Boom der SUVs ist ungebrochen. 2023 waren von allen zugelassenen Neuwagen mehr als 855.000 neue SUVs. Das sind rund 30 Prozent aller Neuzulassungen und 10 Prozent mehr SUVs als 2022.
Paris will sie nun aber genauso wenig wie E-Roller auf der Straße haben. Und auch Hannover, Tübingen und Bern denken über Maßnahmen nach, große Autos aus der Innenstadt fernzuhalten. In Berlin wiederum sind derzeit keine Sonderparkgebühren für große SUV-Fahrzeuge nach dem Vorbild von Paris geplant. Es gebe keine Überlegungen in diese Richtung, sagte eine Sprecherin der CDU-geführten Verkehrsverwaltung kurz nach der Entscheidung in der französischen Hauptstadt.
Wer sich hier vehement von SUVs gestört fühlt, kommt also kaum gegen ihre Omnipräsenz an – und greift vielleicht deshalb zu radikaleren Mitteln als Gegenwehr. So wird seit November 2021 in "SUV-Brennpunkten" wie Berlin-Pankow, Reinickendorf, Charlottenburg-Wilmersdorf sowie Steglitz-Zehlendorf Luxuswagen immer wieder Luft aus den Reifen gelassen.
Laut Polizei Berlin sind deswegen insgesamt 1.455 Strafanzeigen in den Jahren 2022 und 2023 gestellt worden, bis zum 22. Januar 2024 waren es 24 Anzeigen. Ermittelt wird wegen Sachbeschädigung, festgenommen wurde bisher eine tatverdächtige Person. Die Polizei Brandenburg hat offiziell zwischen Juni und Dezember 2023 sieben derartige Fälle aus Potsdam und zwei weitere Fälle aus dem östlichen Brandenburg registriert.
Die Vorgehensweise ist simpel und hinterlässt keine Schäden – außer eben den nervigen, weil unerwarteten Platten. Eine der Gruppen, die so operieren, nennt sich "Tyre Extinguishers". Auf ihrer Webseite führen sie die Gründe für ihr Handeln auf: SUVs seien ein "Klimadesaster" und fräßen CO2-Einsparungen durch Elektrofahrzeuge wieder auf. Auch das Umweltbundesamt [umweltbundesamt.de] unterstreicht die durch große Autos bröckelnden Klimaziele: Seit 1990 ist demnach der Anteil des Verkehrs an den Gesamtemissionen von rund 13 Prozent auf 19,4 Prozent im Jahr 2021 gestiegen. Zwar sei die Abgastechnik heute effizienter, auch die von SUVs, doch Autos würden heute beispielweise schneller als noch vor 30 bis 40 Jahren fahren. "Der Trend zu größeren und schwereren Fahrzeugen ein Grund für die Zunahme der CO2-Emissionen", bilanziert das Umweltbundesamt. Der VW-Abgasskandal weckt zudem Zweifel an offiziellen Abgaswerten, denn diese waren durch manipulierte Anlagen oder geschönte Papiere falsch ausgewiesen.
Im Streit um die SUVs scheinen die Ansichten verhärtet – die einen kaufen weiter große Autos, andere kleben sich auf Straßen fest, um ihnen den Weg zu versperren, oder lassen gleich die Luft raus. Doch geht es wirklich nur um diesen einen Autotyp?
Andreas Knie, Sozialwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung gGmbH (WZB), sieht den Konflikt als Teil einer größeren Entwicklung. "Verhärtungen sind Antwort auf die Politik, die wir seit den 50er Jahren haben: Nämlich mehr Autos auf die Straße zu bringen", sagt Knie. Aus seiner Sicht sind "Autos eine große Belastung, SUVs sind nochmal eine größere Belastung". Die Autoindustrie gelte dennoch immer noch als bedeutendster Industriezweig Deutschlands, verfüge über eine große und mächtige Lobby und werde vom Staat privilegiert behandelt – als Stichworte nennt Knie das Dienstwagenprivileg, Dieselsubventionen, Entfernungspauschalen oder kostenlose Parkplätze im öffentlichen Raum. Zwei Drittel aller neu zugelassenen SUV-Fahrzeuge seien Dienstwagen, so Knie. "Arbeitgeber versuchen über die Bereitstellung von diesen Autos zu locken und zu halten."
Und wer hat, dem wird gegeben: Von einem Dienstwagenprivileg profitiere man, wenn man schon eher wohlhabend ist, sagt Knie. Menschen in unteren Einkommensklassen würden oft gar kein Auto besitzen, mit dem sie derartige Privilegien wahrnehmen können.
Dass der SUV Sinnbild in einem sozialen und ökonomischen Konflikt geworden ist, macht sich inzwischen bemerkbar. Knie verweist in dem Zusammenhang auf eine Gruppe, die er vage als "urbane Eliten" zusammenfasst. Diese lebten zum Beispiel in Berlin und Hamburg, seien wohlhabend, könnten sich locker einen SUV leisten und würden auch gerne fliegen. Doch das eigene Auto verliere hier an Strahlkraft, denn gerade dieses urbane Milieu störe sich an zu viel Verkehr in der Innenstadt. Jene Gruppe fahre lieber teure Fahrräder, nutze Car-Sharing, bestelle sich Taxis oder ein Uber. Hier gebe es eine "Bewusstseinserweiterung", sagt der Wissenschaftler, wenn auch noch keine "Bewusstseinsveränderung". Doch "es fängt langsam an, zu kippen", so Knie.
Nicht so sehr auf dem Land, wo Autos an vielen Orten alternativlos sind. Dass der Öffentliche Nahverkehr hier für viele Menschen keine Option ist, bewiesen nicht zuletzt 9-Euro-Ticket oder Deutschlandticket. Der Bus kommt vielerort nur einmal pro Tag - oder gar nicht.
Im urbanen Raum verschärfen Autos jedoch schlichtweg aufgrund der schieren Menge Konflikte unter den Verkehrsteilnehmenden. Am Image des Autos wird gekratzt - und das vor allem in den Städten. Das Auto gehört zum deutschen Selbstbild und am Selbstbild zu kratzen, tut weh.
Sendung: Antenne Brandenburg, 10.02.2024, 12:42 Uhr
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Beitrag von Sylvia Lundschien
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