Interview | Fünf Jahre nach dem Verschwinden von Rebecca - "Seitdem gab es keinen vergleichbaren Fall in Berlin"
Seit fünf Jahren wird Rebecca aus Neukölln vermisst. Bis heute fehlt von dem Mädchen jede Spur. Die Ermittler gehen inzwischen von einem Tötungsdelikt aus. Warum dieser Fall einzigartig ist, erklärt Heiner Prötzig, Kommissar in der Vermisstenstelle in Berlin.
Die damals 15-jährige Rebecca verschwand am Morgen des 18. Februar 2019 im Ortsteil Britz im Bezirk Berlin-Neukölln. Nach Angaben der Familie und der Polizei verbrachte das Mädchen die Nacht im Haus der Schwester und des Schwagers. Bis heute wurde sie weder lebend noch tot gefunden. Seit damals ermittelt eine Mordkommission des Berliner Landeskriminalamtes (LKA). Unter Verdacht steht weiterhin der Schwager Rebeccas.
Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte der Deutschen Presse-Agentur: "Es gibt im Fall Rebecca keine Neuigkeiten." Als Beschuldigter werde nach wie vor der Schwager geführt. Weiteren Hinweisen aus der Bevölkerung, die gelegentlich eingingen, werde nachgegangen. "Bislang hat sich da aber noch nichts als zielführend erwiesen", so der Sprecher. Ein weiterer Zeugenaufruf sei derzeit nicht geplant, das Thema beschäftige die Öffentlichkeit ohnehin.
rbb: Herr Prötzig, nun sind seit Rebeccas Verschwinden fünf Jahre vergangen. Rechnen Sie noch damit, dass der Fall gelöst wird?
Heiner Prötzig: Es ist schwer zu sagen und es liegt ja auch nicht mehr in der Hand der Vermisstenstelle. Dadurch, dass die Mordkommission den Fall übernommen hat, geht man ja offensichtlich davon aus, dass sie nicht mehr lebt.
Was macht diesen Vermisstenfall auch nach fünf Jahren so interessant, auch wenn Sie jetzt nicht mehr direkt daran beteiligt sind?
Wann verschwindet hier in Berlin schon mal ein Kind? Seit 2000 gibt es sehr wenige Kinder, die verschwunden sind, wie zum Beispiel Sandra Wissmann. Der Fall Georgine Krüger wurde nach vielen Jahren durch verdeckte Ermittler aufgeklärt.
Ist es realistisch, dass es nach so langer Zeit immer noch aktive Hinweise gibt?
Ja, na klar. Es gibt immer Leute, die jemanden gesehen haben. Da bekommen wir auch Hinweise, dass da sozusagen was passiert, aber das ist immer die Frage, wie glaubwürdig die sind.
Wie sicher sind diese Zeugenaussagen, die es nachträglich gibt?
In meinen Augen ist es sehr selten, dass da was dran ist. Das sind Leute, die die Person gar nicht kannten und das ist auch unser Problem bei Presseveröffentlichungen, bei Vermissten-Sachen, dass sozusagen Hinweise kommen, die einfach nicht plausibel sind. Und was sich auch im Nachhinein herausstellt, das stellen wir auch immer wieder fest, wenn der Vermisstenfall sich geklärt hat, dass der Hinweis einfach nicht brauchbar war.
Sie haben ständig mit Vermisstenfällen zu tun. Wie oft bleiben solche Fälle ungeklärt, so wie bei Rebecca?
Bei Kindern und Jugendlichen ist es die absolute Ausnahme, weil 99,9 Prozent wieder nach Hause zurückkehren. Das ist der Normalfall. Bei Erwachsenen ist die Quote vielleicht etwas höher, die nicht zurückkehren, aber hier liegt die Quote vielleicht bei 99,8 Prozent.
Sie haben beruflich automatisch mit traurigen Geschichten zu tun. Wie schafft man es denn, nach Feierabend dann abzuschalten und das im Büro zu lassen?
Nicht jeder Fall ist so dramatisch wie der Fall Rebecca. Der Normalfall des Vermissten ist der Dauerausreißer, der das fünfte, sechste, zwanzigste Mal aus seiner Kriseneinrichtung abgehauen ist. Das ist ja sozusagen unser Butter- und Brotgeschäft hier.
Der Fall Rebecca ist aber immer noch in Erinnerung von vielen Leuten und das ist bereits fünf Jahre her. Seitdem gab es keinen vergleichbaren Fall in Berlin.
Begleitet man gedanklich die Kollegen, die damit beschäftigt sind?
Ja, klar, man erkundigt sich ja auch mal bei den Kollegen. Wir sitzen im gleichen Haus und dementsprechend fragt man ja auch mal nach, ob es irgendwie was Neues gibt. Wobei das jetzt nach fünf Jahren auch nicht zu erwarten ist, dass es was Neues gibt.
Haben Sie es auch schon erlebt, dass nach sehr langer Zeit doch Licht ins Dunkel kam?
Klar, das gibt es immer wieder. Das sind aber auch seltene Fälle, wo zumindest die Leute wieder lebend auftauchen, weil viele nicht die Energie haben, ein neues Leben anzufangen, wie man sich das so vorstellt. Dass man zum Zigarettenholen geht, nicht mehr wiederkommt, ins Ausland geht und dort eine ganz neue Identität, ein neues Leben startet.
Das haben wir vielleicht einmal in drei Jahren oder fünf Jahren, dass sowas passiert. Dementsprechend ist die Lösung oft eine nicht so positive, eine Totauffindung, dass dann die Klärung über eine Identifizierung erfolgt.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Heiner Prötzig führten Catharina Zanner und Sebastian Mehrheim, Antenne Brandenburg.
Sendung: rbb24 Abendschau, 18.02.2024, 19:30 Uhr