Compliance-Vorwürfe
Ungereimtheiten bei Bauaufträgen, mögliche Dienstplan-Manipulationen: Vivantes steht unter Druck, Compliance-Vorwürfe aufzuarbeiten. Doch der Betriebsrat befürchtet, die interne Aufklärungsabteilung solle behindert werden. Von Tobias Schmutzler
"Wir verhalten uns vorbildlich." Und: "Wir gehen offen und konstruktiv mit Fehlern und Konflikten um." Diese Vorsätze stehen in den Führungsgrundsätzen, die sich der landeseigene Berliner Klinikkonzern Vivantes selbst gegeben hat. Doch aus Sicht unternehmensinterner Kritiker verletzt die Vivantes-Führung diese Grundsätze erheblich.
Laut einem Rundschreiben des Betriebsrats, das Mitte Februar an alle 18.000 Beschäftigten verschickt wurde, liegen der Arbeitnehmervertretung mehrere Beschwerden aus dem Compliance-Team vor. Diese Abteilung soll Missstände aufklären, bei denen Unternehmensregeln nicht eingehalten wurden, indem sie Hinweisen von Mitarbeitern nachgeht und intern ermittelt.
Mögliche Compliance-Fälle gibt es seit Monaten einige bei Vivantes. Die Vergabe von Bauaufträgen soll teils unsauber abgelaufen sein. Zudem steht der Vorwurf im Raum, Dienstpläne seien nachträglich manipuliert worden, um mehr Personal vorzutäuschen, als tatsächlich auf den Stationen gearbeitet hat. Damit könnten beispielsweise Stationsschließungen verhindert worden sein. Harte Vorwürfe für den landeseigenen Krankenhausverbund, der sich zudem seit Langem in einer sehr schwierigen finanziellen Lage befindet. 2024 könnte das Defizit nach aktuellen Berechnungen bei 175 Millionen Euro liegen.
In drei Fällen werden dem Rundschreiben des Betriebsrats zufolge schwere Vorwürfe gegen die Vivantes-Geschäftsführung und einen Ressortleiter erhoben. Dabei gehe es unter anderem "um Aussagen und Verhaltensweisen mit beleidigendem Charakter, oftmals würden An- und Nachfragen aber auch gänzlich ignoriert, während dem Compliance-Team zunehmend die Arbeitsgrundlagen verbaut würden". Auch von "verbalen Angriffen auf die Kolleginnen und Kollegen der Compliance-Abteilung" ist die Rede.
"Wir fragen uns auch, ob eine unabhängige und funktionierende Compliance überhaupt gewollt ist", schreibt der Betriebsrat in dem Rundbrief. Aufgrund der Vorkommnisse befürchtet die Beschäftigtenvertretung, "dass die wichtige Abteilung Compliance auf diese Art und Weise arbeitsunfähig wird und somit nur noch auf dem Papier existieren soll".
Die Abteilung war erst vor wenigen Monaten personell aufgestockt worden. Eine Mitarbeiterin, die im September ihren Dienst angetreten hatte, äußert sich gegenüber dem rbb, möchte aber anonym bleiben. Sie wurde Mitte Februar plötzlich während ihrer Probezeit gekündigt. Zunächst wurde dies mündlich damit begründet, ihr Lebenslauf passe doch nicht zur Neuausrichtung der Abteilung. Später lautete die schriftliche Begründung, sie habe die Erwartungen nicht erfüllt. "Das hat mich dann doch überrascht, weil die Rückmeldungen von meinem direkten Vorgesetzten – dem Compliance-Beauftragten – ganz andere waren", sagt die junge Frau.
"Die Kündigung ist entmutigend – nicht nur für mich, sondern auch für meine Kollegen im Compliance-Office – und für die Mitarbeiter, die sich bei uns gemeldet haben." Aus Sicht der gekündigten Mitarbeiterin beschädigt ihr unerwarteter Rauswurf die Vertrauensbasis, die die Compliance-Abteilung zu Hinweisgebern aufbauen muss. Diese zeigen Missstände oft unter hohem psychischem Druck an.
Aufgrund des Widerspruchs zwischen der schriftlichen Begründung für die Kündigung und den Aussagen ihrer Kollegen und ihres Vorgesetzten unterstellt das Betriebsratsmitglied Thomas Pottgießer der Vivantes-Führung, sie sei an interner Aufklärung wenig interessiert. "Das Lippenbekenntnis von Aufklärungswille ist natürlich in dem Moment unterlaufen, wo man versucht, die Aufklärer loszuwerden." Aus Pottgießers Sicht "ist das ein Versuch, die intern zuständige Abteilung, die versucht, Regelverstöße aufzudecken, in irgendeiner Weise wieder mundtot zu bekommen."
Das Unternehmen selbst widerspricht dieser Darstellung. "Die Geschäftsführung nimmt entsprechende anonyme Hinweise sehr ernst und unterstützt die interne Compliance-Abteilung", schreibt Vivantes auf Anfrage. Eine externe Anwaltskanzlei helfe inzwischen bei der Aufklärung, ein Ergebnis gebe es noch nicht. "Ein im Oktober vorgelegtes, sehr umfangreiches Gutachten einer externen Anwaltskanzlei gibt Hinweise auf Schwachstellen in der internen Corporate Governance und Compliance. Diese werden derzeit Schritt für Schritt abgearbeitet", so Vivantes.
Regelmäßig muss sich das Unternehmen auch im Unterausschuss für Beteiligungsmanagement und -controlling des Berliner Abgeordnetenhauses erklären, der vertraulich tagt. Tobias Schulze, der für die Partei Die Linke im Ausschuss sitzt, stärkt der Vivantes-Führung den Rücken: "Ich habe einen guten Eindruck von der Aufarbeitung der Compliance-Vorwürfe. Die Prozesse scheinen ordentlich zu laufen – da haben wir keine anderen Erkenntnisse." Auch Silke Gebel von den Grünen sagt: "Mein Eindruck ist, dass Vivantes einen Prozess mit externen Partnern aufgesetzt hat, damit strukturelle Compliance-Verstöße gefunden und beseitigt werden."
Die verhärteten Fronten innerhalb des Unternehmens sind allerdings für den SPD-Politiker Jörg Stroedter ein Problem. "Ich erwarte von der Geschäftsführung insgesamt, aber insbesondere von der Personal-Geschäftsführung, dass man sich da mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Betriebsräten so auseinandersetzt, dass ein vernünftiges Arbeiten miteinander möglich ist", so der stellvertretende Vorsitzende des Beteiligungsausschusses.
Die gekündigte Compliance-Mitarbeiterin hofft indes, dass sie vielleicht doch noch ins Unternehmen zurückkehren kann. "Ich möchte eigentlich gerne weiterarbeiten, ich möchte in meiner Tätigkeit bleiben. Ich möchte meine Fälle weiterbearbeiten." Beim Betriebsrat hat sie Beschwerde gegen ihre Kündigung eingereicht.
Sendung: rbb24 Abendschau, 23.02.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Tobias Schmutzler
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