Überlastung und Personalmangel
Mit drastischen Worten warnen mehrere Berufsverbände der Kinder- und Jugendmedizin vor einer Überlastung der Versorgung. Die Entwicklung sei lange absehbar gewesen, heißt es.
Kinderarzt Jakob Maske behandelt in seiner Praxis in Berlin-Schöneberg mit seinem Team derzeit zwischen 150 und 200 Kinder am Tag. Es ist mal wieder Infektzeit. "Wir sehen gerade sehr viele Grippefälle. Insofern hat es heute morgen gleich um 8 Uhr schon ordentlich gebrummt in der Praxis" sagt Maske.
In der kommenden Woche starten die Winterferien in Berlin. Maske rechnet danach nochmal mit einem Anstieg der Infekte und damit auch mit einer noch volleren Praxis als heute schon. "Das ist dann keine gute Medizin mit viel Zeit, sondern das ist tatsächlich ein relatives Durchschleusen."
Den meisten Kindern kann Maske vor Ort in der Praxis helfen. Doch leidet ein Kind unter einer schweren Infektion, dann verweist er es an eine der acht Berliner Kinderkliniken. So weit die Theorie. Doch auch die Kinderkliniken sind überlastet.
"Und wenn uns alle sagen, dass sie kein Bett haben, dann wird es schwierig." Denn in diesem Fall muss sich der Kinderarzt selbst kümmern. "Wir sehen dann teilweise Kinder zwei- bis dreimal am Tag in der Praxis. Das ist eigentlich nicht leistbar", sagt Maske.
Zu wenig Personal, zu wenig Geld, zu viel Bürokratie - die medizinische Versorgung von Kindern und Jugendlichen stößt in Berlin auch in diesem Winter an ihre Grenzen - sowohl in der stationären, als auch in der ambulanten Versorgung in den Praxen. Charité, Vivantes und das Helios sprechen auf rbb-Anfrage von einer "sehr hohen Auslastung".
Bereits im vergangenen Herbst warnte die Ärztekammer Berlin davor, dass die Kinderversorgung in Berlin "massiv bedroht" sei, damals berichtete unter anderem der Tagesspiegel.
Nun ziehen mehrere Berufsverbände der Kinder- und Jugendmedizin nach, die in Berlin den Großteil der Kinder- und Jugendärzt:innen in der ambulanten und stationären Versorgung vertreten. In einer gemeinsamen Erklärung machen sie auf die sich immer weiter verschlechternde Versorgungslage aufmerksam - eine Entwicklung, die schon länger absehbar war.
"Schon im letzten Winter kam es zu gesundheits- und lebensgefährdenden Engpässen in der Versorgung von Kindern und Jugendlichen, diese mussten teilweise schwerstkrank über hunderte Kilometer verlegt werden, weil es keinen Platz mehr in einer Berliner Kinderklinik gab", so Professor Hermann Girschick vom Verband leitender Kinder- und Jugendärzte und Kinderchirurgen (VLKKD).
Aufgrund der angespannten Lage hätten die Berufsverbände und Gesellschaften versucht, gemeinsam mit der Politik gemeinsame Lösungen zu finden, um sich auf die aktuelle Krankheitssaison vorzubereiten.
"Heute müssen wir feststellen, dass die jetzige Ausgangslage schlechter war, als im letzten Winter. Es stehen noch weniger Betten für Kinder- und Jugendliche in der Regel- und Intensivversorgung zur Verfügung als im letzten Jahr. Die Folgen sind auch für Laien einfach absehbar", sagt Professor Klemens Raile, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin des Vivantes Klinikum Neukölln.
Konkret gibt es Kritik an der Berliner Gesundheitssenatorin Ina Czyborra (SPD). Es sei bislang vergeblich versucht worden, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Kinderärzte wie Jakob Maske fühlen sich deshalb alleine gelassen: "Wir wissen überhaupt nicht, ob das Problembewusstsein dort vorhanden ist und ob da schon Lösungswege angedacht sind. Wir haben den Eindruck, dass das überhaupt nicht auf dem Schirm der Gesundheitssenatorin ist."
Die Senatorin selbst widerspricht im rbb: "Wir sind in permanentem Kontakt mit den Versorgern in der Kindermedizin. Wir haben seit Oktober wieder entsprechende Gespräche geführt, auch über die Versorgung in den Kliniken. Und wir haben am 23. Februar eingeladen zum Runden Tisch Kinder- und Jugendmedizin."
Die Verbände und Gesellschaften der Kinder- und Jugendmedizin werden in ihrer aktuellen Erklärung nun deutlich konkreter und stellen Forderungen an die Berliner Politik. Diese betreffen vor allem die Ausbildung von medizinischem Personal und die Finanzierung der Versorgung.
Denn: Ein Hauptproblem liegt in der Ausbildung des Pflegepersonals in der Kinder- und Jugendmedizin. Wer sich zum Fachpersonal ausbilden lassen will, muss in der Ausbildung erst einmal zwei Jahre mit Erwachsenen arbeiten, erst danach mit Kindern. Viele wollen das aber gerne von Anfang an und nicht erst ab der Spezialisierung im dritten Jahr.
Das zeigt auch die Statistik: Seit diese "generalistische" Ausbildung vor einigen Jahren in Kraft tat, sank die Zahl der Absolventinnen und Absolventen von 240 auf nur noch 80 pro Jahr.
In ihrer Erklärung fordern die Medizinerinnen und Mediziner deshalb auch neue Wege in der Ausbildung: so könnten etwa Klinikträger zur Ausbildung verpflichtet werden, um genug Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen. Daneben müsse die Finanzierung für die Erste-Hilfe-Stellen der Kinderkliniken von Grund auf überarbeitet werden.
Natürlich spielen in Zeiten von Inflation und explodierenden Preisen auch die Löhne eine große Rolle. So wird eine angemessene Bezahlung des medizinischen Personals und eine auskömmliche Finanzierung der ambulant tätigen Mediziner:innen gefordert. Auch, um die Reallohnverluste der letzten Jahre auszugleichen.
Sendung: rbb24 Inforadio, 02.02.2024, 12:50
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