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Video: rbb|24 | 28.02.2024 | Quelle: rbb

Equal-Care-Day

"Ich glaube, du hast noch nie was zum Anziehen gekauft"

Staubsaugen, Kinder abholen und Geschenke organisieren: Care-Arbeit ist in Berlin und Brandenburg noch immer ungleich verteilt. Das Thema wird zwar immer präsenter, eine gleichberechtigte Beziehung zu leben, bleibt aber eine Herausforderung. Von Linh Tran

Anna König und Paul Hoepner hielten sich für ein aufgeklärtes und gleichberechtigtes Paar - bis sie vor zwei Jahren ihre Tochter Momo bekommen. Seitdem haben sich viele alte Rollenmuster eingeschlichen: Nach einer gemeinsamen Elternzeit von zwei Monaten bleibt sie zu Hause und kümmert sich um das Kind. Er arbeitet den ganzen Tag über an einem Bootsprojekt - mit dem er nicht nur eine gemeinsame Weltreise ermöglichte, sondern auch Geld verdient: Hoepner spricht und schreibt mit seinem Zwillingsbruder über gemeinsame Reisen als ungewöhnliche Abenteurer.

Bei der 33-Jährigen wächst das Gefühl, dass sie nicht nur mehr macht, sondern auch mehr organisiert. "Ich glaube, du hast noch nie was zum Anziehen für Momo gekauft, außer wenn ich sage: 'Kannst du ihr genau diese Hose einmal kurz kaufen gehen?'" Ihr 41-jähriger Partner sieht das ein.

Gleichberechtigung fordert viel "unglaublich viel Energie"

Eine faire Teilung von Care-Arbeit scheitert - wie bei König und Hoepner - bei vielen Paaren. "In der Forschung ist sehr gut belegt, dass es so eine Art Realitätsschock genau an der Stelle gibt, wenn Paare sich für Kinder entscheiden", sagt Sabine_ Hark, Soziolog:in und Professor:in mit den Schwerpunkten Geschlechterforschung und feministische Erkenntnistheorie. An der Technischen Universität Berlin leitet Hark das Zentrum für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung. "Auch die Studierenden, die mit Anfang 20 in meinen Lehrveranstaltungen sitzen und sagen 'Bei uns ist alles total gleichberechtigt', realisieren mit Ende 20: Die Pfade, die möglich sind, sind eben doch sehr unterschiedlich."

Care-Arbeit liegt nach wie vor zum großen Teil in der Verantwortung von Frauen. Unter Care-Arbeit versteht man die Sorgearbeit. "Das sind alle Tätigkeiten, die die Fürsorge für andere Menschen betreffen und alles, was drum herum passiert. Nicht nur auf ein Kind aufpassen oder sich um einen Angehörigen kümmern, sondern auch das Kochen, das Putzen und alles, was noch so anfällt”, erklärt Jo Lücke. Sie ist Trainerin für Equal Care und hilft Unternehmen, aber auch Paaren dabei, Care-Arbeit nicht zur aufzuwerten, sondern auch gleichberechtigter aufzuteilen. "Auch alles, was im Kopf stattfindet, gehört zur Care-Arbeit: den Alltag organisieren, die Familie koordinieren und logistische Prozesse planen." Letzteres kennt man auch unter dem Begriff "Mental Load".

Zur Person

Sorgearbeit liegt nach wie vor bei Frauen

Obwohl Hoepner und König das Problem sehen, ist es ein schleichender Prozess zurück zur traditionellen Rollenaufteilung: "50:50 ist eigentlich eine einfache Rechnung, aber man muss da im Alltag unglaublich viel Zeit und Energie reinstecken", sagt Hoepner. Er gibt zu, dass sie anfangs nicht gezielt nach Lösungen gesucht hätten. Heute diskutiert das Paar über mögliche Aufgabenaufteilungen: Welche Aufgaben vor allem an König kleben bleiben, welche Hoepner gut übernehmen kann – aber auch, in welchen Bereichen eine fifty-fifty Aufteilung einfach nicht klappen wird, weil einem bestimmte Aufgaben nicht liegen, oder schlichtweg nicht so wichtig sind wie dem anderen.

Die Aufteilung von Fürsorgetätigkeiten ist immernoch ungleich verteilt – auch in Berlin und Brandenburg. In Berlin beträgt die aufgewendete Zeit für Haushaltsführung und Familienbetreuung bei Männern im Schnitt 2:41 Stunden und bei Frauen 3:38 Stunden pro Tag. In Brandenburg sind die Unterschiede noch deutlicher: Hier wenden Männer im Schnitt 2:46 Stunden am Tag für Haushalt und Kinder auf, Frauen dagegen 3:57 Stunden. Das geht aus der aktuellen Zeitverwendungserhebung von diesem Mittwoch hervor, die das Landesamt für Statistik Berlin-Brandenburg alle zehn Jahre veröffentlicht. Zu den abgefragten Tätigkeiten gehörten unter anderem das Kochen von Mahlzeiten, Einkaufen, aber auch Gartenarbeit, Tierpflege oder Reparaturarbeiten am Haus.

Am 29. Februar ist Equal-Care-Day

Der Equal-Care-Day, also der Tag der gleichverteilten Sorgearbeit, will alle vier Jahre am 29. Februar auf dieses Ungleichgewicht aufmerksam machen. Der Schalttag ist symbolisch gewählt und soll zeigen, dass Männer weltweit ungefähr vier Jahre bräuchten, um so viel Fürsorgetätigkeiten zu leisten wie Frauen in einem Jahr. Deutsche Männer schneiden im internationalen Vergleich also verhältnismäßig gut ab. Im Vergleich zu Dänemark und den Niederlanden ist in Deutschland laut dem Gender Equality Index 2023 [eige.europa.eu] aber noch Luft nach oben .

Jeder zweite Vater findet, dass kleine Kinder genauso gut vom Papa betreut werden können wie von ihrer Mutter. Und viele wünschen sich eine partnerschaftliche Aufteilung bei der Kinderbetreuung. Das geht aus dem Väterreport 2023 des Bundesfamilienministreriums [bmfsfj.de] hervor. Jeder zweite Vater gibt an, gern die Hälfte der Betreuung übernehmen zu wollen. Tatsächlich umsetzen tun das aber nur 21 Prozent.

Zwar ist der Anteil der Väter, die in Elternzeit grundsätzlich gewachsen, die Dauer ist aber relativ kurz. Die meisten Väter, die in Elternzeit gehen, nehmen sich 2 Monate. Dass viele Väter nicht in Elternzeit gehen, hat auch finanzielle Gründe. Mehr als die Hälfte der Väter, die nicht in Elternzeit gegangen sind, begründen das mit potenziellen Einkommensverlusten. Aber auch Väter mit einem höheren Haushaltsnettoeinkommen geben finanzielle Gründe an. Gleichzeitig spielen Geschlechtererwartungen eine Rolle. Immerhin ein Drittel der Väter findet die traditionelle Aufgabenteilung von Hausfrau und Verdiener-Vater immer noch am besten. Unter Müttern ist ein Viertel dieser Ansicht.

Anna König und Paul Hoepner in ihrem Wohnzimmer in Berlin-Neukölln. | Quelle: rbb

Entscheidung, wer zu Hause bleibt, hat oft finanzielle Gründe

Der Gender Care Gap ist stark mit dem Gender Pay Gap verknüpft. Frauen verdienen im Durchschnitt noch immer weniger als Männer und sind meist auch in Berufen beschäftigt, die weniger zahlen. Auch deshalb entscheiden sich viele heteronormative Paare für das klassische Modell, das in aller erster Linie praktisch erscheint: Die Person, die mehr verdient, geht arbeiten.

"Ein Paar, was diese Entscheidung trifft, folgt ja durchaus auch eben einem ökonomischen Kalkül, einer ökonomischen Vernunft. Zu sagen, mein Beruf bringt auch mehr Einkommen, was uns als Familie wiederum ein besseres Leben ermöglicht”, erklärt Soziolog:in Hark. “Da sehen wir wieder, wie das ineinander greift. Wir können selbstbestimmte Entscheidungen nur innerhalb der politischen, kulturellen, rechtlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen treffen, in denen wir leben." Auch Paare, die sich also theoretisch für eine gleichberechtige Aufteilung entscheiden, können diese nur zu einem gewissen Maße auch in der Praxis umsetzen.

Gleichberechtigung fordert strukturelle Veränderungen

Was im Alltag eine pragmatische Lösung sein kann, hat langfristig fatale Folgen: Denn Sorgearbeit wird nicht bezahlt. So entstehen für Frauen finanzielle Nachteile: Sie arbeiten häufiger in Teilzeit, haben weniger Einkommen und später kleinere Renten. Auch psychische Folgen wie Depressionen oder Burnout können auftreten, wenn die Belastung zu groß wird.

Eine faire Aufteilung in Sachen Care-Arbeit kann demnach nicht nur für eine gleichberechtigte Partnerschaft sorgen, sondern auch für gleichberechtigte Chancen auf dem Arbeitsmarkt und innerhalb der Gesellschaft. Gleichzeitig sind verschiedene politische und strukturelle Veränderungen notwendig, um die mit dem Gender Care Gap verbundenen Nachteile für Frauen zu minimieren.

Aufgabenteilung hängt mit Stresslevel verbunden

Frau kümmert um sich die Baby-Klamotten, Mann ums Handwerk: Was nach Geschlechterklischees klingt, ist bei Anna König und Paul Hoepner schlicht Realität. Gewollt war das nicht. Hoepner, da sind sich beide einig, ist einfach besser im Handwerklichen, auch wenn König versucht hat, sich ein Grundwissen anzuschaffen. Diese Kompetenzunterschiede zwischen Frauen und Männern entstehen jedoch nicht auf “natürliche Weise”, sondern sind auch Folge von Erziehung und Sozialisierung. "Es gibt Studien dazu, dass Mädchen häufiger zu Haushaltsaufgaben herangezogen werden. Die müssen helfen, den Tisch zu decken, auf die Geschwister aufpassen, während es bei Jungs anders ist. Die kriegen auch eher mal fünf Euro in die Hand gedrückt, wenn sie mal den Rasen mähen”, so Lücke. Verkürzt gesagt lernen Mädchen und Jungen nicht nur geschlechtsspezifische Aufgaben, sie werden auch unterschiedlich dafür bewertet und belohnt. Die Aufgaben und Rollen, die die Kinder lernen, übernehmen sie dann später auch oft in der eigenen Beziehung wieder.

Heute versucht sich das Paar immer aktiver an einer fairen Aufgabenverteilung: Die Mama kümmert sich zwar immer noch ums Essen, die Baby-Kleidung oder um die Bettwäsche. Papa Paul bringt die Tochter dafür jeden Tag ins Bett, badet sie und kümmert sich um Anträge, wenn solche anfallen. Die beiden wollen das Ziel auch nicht aus den Augen verlieren, hinterfragen weiterhin ihre Rollen, um irgerndwann eine gleichberechtigte Aufteilung hinzubekommen.

"Im Laufe der Zeit wird's leichter"

Anna König und Paul Hoepner schaffen es nach langen Diskussionen immer besser, sich den Alltag mit ihrer Tochter aufzuteilen. “Wir sind alle in unsere Rollen reingewachsen”, sagt König. Zusätzlich werde es auch leichter, weil Momo älter werde. König hätte lernen müssen, Verantwortung abzugeben. Hoepner bringe sich nun immer mehr ein. Für beide sei eines der wichtigsten Erkenntnisse: “Man braucht sich nicht vorstellen, dass man das von vornherein perfekt umgesetzt kriegt, sondern das ist etwas, wo man immer wieder dran arbeiten muss. Und im Laufe der Zeit wird’s dann leichter.”

Sendung: rbb24 Abendschau, 28.02.2023, 19:30 Uhr

Beitrag von Linh Tran

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