Kommentar | Jüdische Gemeinde Berlin
Die Jüdische Gemeinde zu Berlin und der Zentralrat der Juden sind seit geraumer Zeit uneins. Jetzt wurde der Gemeinde das Stimmrecht in den Gremien des Zentralrats entzogen. Ein Tritt vors Schienbein. Nicht mehr. Aber es wurde Zeit. Von Ursula Voßhenrich
Der Haussegen hängt schon lange schief, viele Tassen und Teller sind zerdeppert. Wer sie runtergeschmissen hat, darüber gehen die Meinungen zwischen dem Zentralrat der Juden und dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, weit auseinander. Die Wahlen zur Repräsentantenversammlung in der Jüdischen Gemeinde haben für den Zentralrat das Fass jedenfalls zum Überlaufen gebracht.
Gideon Joffe ist für den Zentralrat der Juden, den Dachverband von bundesweit etwa 100 Gemeinden und 90.000 Mitgliedern, so etwas wie ein widerspenstiges Kind. Vor den Wahlen zum Gemeindeparlament im letzten September hatte Joffe neue Spielregeln eingeführt: eine neue Wahlordnung, die ihm und seinem Wahlbündnis wie auf den Leib geschneidert war.
Menschen über 70 Jahren und Mandatsträger bestimmter jüdischer Organisationen durften nicht kandidieren - es sei denn, sie gehörten schon seit der letzten Wahlperiode zum Gemeindeparlament. Und das bestand ohnehin nur aus dem Joffe-Wahlbündnis. Willkür, urteilte das Unabhängige Gericht beim Zentralrat der Juden über die Wahlordnung und untersagte schon im Vorfeld die Abstimmung.
Doch Gideon Joffe bestritt die Zuständigkeit des Gerichts und führte die Wahlen unbeirrt durch. Bei der Wahl setzte sich unter anderem eine 90 Jahre alte Repräsentantin durch, während die 77 Jahre alte frühere Gemeindevorsitzende Lala Süsskind von der Wahl ausgeschlossen war. Zum neuen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde zu Berlin ist schließlich der alte gewählt worden: Gideon Joffe.
Der Zentralrat hob den Zeigefinger, versuchte es mit Bitten und Drohen, doch Joffe verbat sich den Angriff auf die Autonomie seiner Gemeinde, fühlte sich vom Zentralrat schlecht behandelt.
Abmahnungen und Geldstrafen in fünfstelliger Höhe konnten die Jüdische Gemeinde zu Berlin nicht zum Einlenken bewegen. Sie berief sich auf das gemeinde-interne Schiedsgericht, das die Wahlordnung als rechtmäßig beurteilte.
Schon einmal, 2016 - der Gemeindevorsitzende hieß damals Gideon Joffe - gab es den Vorwurf der Wahlmanipulation in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Auch damals drohte der Zentralrat mit Konsequenzen – bis hin zum Rauswurf der Gemeinde. Doch er scheute diesen Schritt. Wie heute.
Schließlich würde der Zentralrat damit eine der drei größten jüdischen Gemeinden in Deutschland und knapp zehn Prozent der organisierten Gemeindemitglieder verlieren. Und gerade jetzt, in Zeiten eskalierenden Judenhasses wäre eine starke und einige Vertretung der Jüdinnen und Juden in Deutschland enorm wichtig.
Rausgeschmissen hat der Zentralrat die Jüdische Gemeinde zu Berlin nun also nicht. Nur das Stimmrecht wurde ihr für ein Jahr entzogen. Redeverbot auf Zeit. Die Reaktion des Gemeindevorsitzenden Joffe gegenüber dem rbb lautete am Dienstag trotzig: Die Stimme der Jüdischen Gemeinde zu Berlin werde jetzt erst recht und noch viel lauter zu hören sein, innerhalb wie außerhalb des Zentralrats.
Auf der Nase herumtanzen lässt sich der Zentralrat trotzdem nicht mehr. Ein Jahr lang kann die Jüdische Gemeinde ihren Einfluss nicht mehr im Zentralrat geltend machen, nicht mehr über personelle und politische Fragen mitentscheiden. Und auch ein anderes Spielfeld hat der Zentralrat der Jüdischen Gemeinde entzogen: die Ausbildung der Rabbinerinnen und Rabbiner in Potsdam.
Auch hier hatte Joffe sein eigenes Spiel gespielt, nach den Skandalen um Machtmissbrauch an den Potsdamer Rabbinerseminaren die Trägerschaft der beiden Rabbinerkollegs an sich gezogen - ohne Absprache mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland – immerhin ein wichtiger Zuwendungsgeber der Ausbildungsstätten. Auch dies für den Zentralrat der Juden ein Affront.
Nun wird die Rabbinerausbildung neu aufgestellt - raus aus der Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde zu Berlin – hinein in eine neue Stiftung, die noch in Gründung ist. Noch lebt die Jüdische Gemeinde unter dem Dach des Zentralrats wie ein Familienmitglied, das immer nervt. Eine tolle WG wird das nicht mehr. Blessuren gibt es schon jetzt auf beiden Seiten.
Die Berliner Gemeinde verliert an Einfluss, Renommé und zudem immer mehr Mitglieder – wegen Überalterung oder aus Frust über die nicht enden wollenden Auseinandersetzungen. Der Zentralrat auf der anderen Seite läuft Gefahr, die Berliner Gemeinde zu verlieren.
Trotzdem kann der Zentralrat der Juden in Deutschland nicht zulassen, dass eine Mitgliedsgemeinde agiert und die Spielregeln ändert, wie es ihr passt - und wenn es bis zum Rauswurf der Jüdischen Gemeinde zu Berlin geht.
Noch vor Kurzem hatte Gideon Joffe dem rbb gesagt, seine Gemeinde sei nicht abhängig von der Gunst des Zentralrats. Finanziell würde es der Jüdischen Gemeinde zu Berlin auch nicht wehtun, aus dem Zentralrat ausgeschlossen zu werden, denn das Taschengeld verteilt jemand anderes: der Berliner Kultursenat. Gut elf Millionen Euro bekam die Gemeinde im letzten Jahr auf der Grundlage des Staatsvertrags. Dazu knapp sechs Millionen für Sicherheitsmaßnahmen.
Der Berliner Senat hat damit einen wirksamen Hebel in der Hand, könnte vielleicht die widerspenstige Gemeinde in die Schranken weisen. Aber in diese sensiblen Familienstreitigkeiten möchte sich der Senat lieber nicht einmischen. Er ist ein gebranntes Kind. Schon einmal hatte der Senat Gelder an die Gemeinde nicht ausgezahlt, damals wegen unterschiedlicher Ansichten über die Auslegung des Staatsvertrags. Der Senat unterlag 2016 gegen die Jüdische Gemeinde zu Berlin vor Gericht. Der damalige Vorsitzende der Gemeinde war - Gideon Joffe.
Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, der Senat habe "wegen intransparenter Buchführung" Gelder nicht ausgezahlt. Dies haben wir korrigiert. Es ging um "unterschiedliche Ansichten über die Auslegung des Staatsvertrags".
Sendung: rbb24 Abendschau, 27.02.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Ursula Voßhenrich
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