Mehrere Lager auf Demonstrationen
Immer wieder mischen sich unter die Demonstranten für Vielfalt und Buntheit Gruppen, deren Demokratieverständnis zweifelhaft ist. Was bewegt sie? Unterwandern sie das Demokratie-Engagement? Von Thomas Bittner
Vor über einer Woche ruft das Bündnis "Buntes Lübben" zu einer Demonstration für Demokratie und Vielfalt auf. Shan Metz hat die Kundgebung angemeldet, sie ist Umwelttechnikerin, Künstlerin, Mutter von zwei Kindern. Mit 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmern rechnen die Organisatoren an jenem Sonntag, es kommen am Ende mehr als zehnmal so viele. Die gemäßigte, demokratische Bevölkerung habe sich bisher zurückgehalten und geschwiegen, sagt Metz. "Bisher hat man den Lauten das Feld überlassen. Ich bin froh, wenn das jetzt aufhört."
Am Rande des Geschehens steht an diesem Januar-Sonntag Rainer Gosdschan. Mit den Demonstranten auf dem Marktplatz der Kreisstadt verbindet ihn nicht viel. Er ist Unternehmer, betreibt mit seinem Sohn ein Sportgeschäft in Lübben. Vor einer ZDF-Fernsehkamera sprudelt es aus ihm heraus. Die Politik würde spalten, meint er. Als Beispiel nennt er das 49-Euro-Ticket: "Was wollen wir damit? Hier fährt kein Bus, hier fährt kein Zug, wir sind aufs Auto angewiesen." In Berlin zahle man für Diesel 22 Cent weniger als in Lübben, das habe er jüngst erst erlebt. Er habe gerade 30.000 Euro Steuern zahlen müssen. Das sei seine Altersvorsorge gewesen, ihm blieben jetzt nur noch 600 Euro Rente aus zehn Jahren Bergbau. Er habe keine Perspektive.
Es ist eine Mischung aus persönlichen Erfahrungen und Zukunftsängsten, aus der sich die Anti-Stimmung speist. Gegen die Grünen. Die seien heute Kriegspartei. Gegen die Ampelregierung. Die müsse zurücktreten. Gegen die CDU. Die hätte die Grenzen "einfach geöffnet und alles geflutet". Seitdem sei es für Gosdschan wirtschaftlich bergab gegangen. Er habe "die Schnauze voll".
Für einen differenzierten Blick auf Politik, Wirtschaft und deren Mechanismen ist da kaum Platz. Für Mutmaßungen über die, die auf der anderen Seite für ein buntes Lübben demonstrieren, ist dagegen viel Raum: Die seien doch nicht aus Lübben. Er habe gehört, dass die Demonstranten 60 Euro für die Teilnahme bekämen. Längst widerlegte Falschinformationen werden wiederholt. Andere in Gosdschans Nähe gehen noch weiter. Ein Bürgerkrieg drohe, wenn "Systemmedien" wie rbb und ZDF so weitermachen würden.
"Ich weiß nicht, warum die Leute so wütend sind", sagt Shan Metz am Dienstag, mehr als eine Woche nach der Demo. "Den Leuten geht’s hier gut. Was die für Autos fahren. Die meisten Leute leben in Einfamilienhäusern. Ich weiß nicht, wovor sie Angst haben, was ihnen weggenommen wird." Wenn es um Abschiebepläne gehe, gehe es doch nicht um die Leute, denen es gut gehe, sondern um Menschen, die man in der Demokratie schützen sollte.
Sie ist wieder beim eigentlichen Anlass der Vielfalts-Demo, dem Kampf gegen rechtsextreme Abschiebe-Masterpläne. Es wirkt, als würde man aneinander vorbeireden. In Lübben verabschieden sich nach der Demonstration die Protest-Bauern und -Unternehmer mit lautem Hupkonzert und aufgedrehten Lkw-Motoren.
Ortwin Renn, Soziologe und Risikoforscher, sieht zwei große Lager, die sich auf den Straßen die öffentliche Aufmerksamkeit im Wettbewerb teilen: Die mit der Ampelregierung Unzufriedenen bilden das eine, das andere Lager kämpft für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. "Im Prinzip sind beides demokratische Protestformen", sagt Renn im Interview mit rbb24 Brandenburg aktuell. Es sei absolut demokratisch, dass man auch gegen die Regierung demonstriert. Es gebe natürlich Kräfte, die versuchen, nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die Demokratie zu sein. "Aber das sind eher Randerscheinungen."
Unter den Handwerkern, Unternehmern und Bauern, die sich mit ihren großen Fahrzeugen und Anti-Ampel-Transparenten neben der Demo für ein "buntes Lübben" postieren, sind einige aus dem Umfeld der Bürgerinitiative "Unser Lübben". Für den Folgetag hat die Initiative selbst zu einer Demo aufgerufen. Um Agrardiesel oder Steuersubventionen geht es dabei schon lange nicht mehr, sondern inzwischen um mehr, um eine "Neuausrichtung der Politik". Auf den Demo-Aufrufen wird zwar erwähnt, dass man friedlich "ohne parteipolitische Ausrichtungen und / oder rechtswidrige Banner/Parolen" demonstrieren wolle.
Doch die gleiche Bürgerinitiative hat im letzten Sommer, als man sich gegen den Bau einer Flüchtlingsunterkunft in der Stadt positionierte, bei ihren Kundgebungen den AfD-Bundestagsabgeordneten Steffen Kotré und den AfD-Landtagsabgeordneten Dennis Hohloch sprechen lassen. Bei der Gründung war auch Hans-Christoph Berndt dabei, AfD-Fraktionschef und laut Verfassungsschutz erwiesener Rechtsextremist.
Immer wieder mischen sich unter die Demonstrationen für ein offenes Deutschland Menschen, die ein gespaltenes Verhältnis zur Demokratie haben, auch wenn sie das stets vehement von sich weisen.
Beispiel Kyritz: Landwirt Volker Wilke hat sich Ende Januar mit einem Transparent zur Demokratie-Demo in die 9.000-Einwohner-Stadt begeben. Auf schwarz-rot-goldenem Hintergrund steht "Gegen Rechts – Eure Bauern". Er darf sogar vor der versammelten Menschenmenge reden. Und geht mit einem guten Gefühl. Vor ein paar Wochen hat er noch an einer Straßenkreuzung eine Ampel symbolisch an einen Galgen gehängt. Das bereue er inzwischen. "Wir sind nicht rechts, wir sind nicht links. Wir wollen nur eine saubere, gesunde Politik haben", sagt er später in die Kamera der rbb-Reporterin. Sauber und gesund? "Wir wollen am liebsten ein Parteiensystem haben, das keine Parteien hat." Deutschland solle doch per Volksabstimmung regiert werden. Dass so etwas gegen das Grundgesetz verstoßen würde, scheint ihm nicht bewusst zu sein. Parteien und ihr Anteil an der Willensbildung sind in Deutschland verfassungsrechtlich geschützt.
Immer wieder blitzt ein Demokratieverständnis durch, das sich aus den Erfahrungen des Umbruchs von 1989 speist. Die Regierung habe auf "das Volk" zu hören, wenn es auf die Straße gehe. Nur: Auf welches Volk sollen die Regierenden denn hören? Dass sich neben ihnen plötzlich auch viele Menschen zu Wort melden, die von Ampel-Hass und System-Kritik wenig halten, irritiert die Trecker- und Laster-Demonstranten.
Es gebe unterschiedliche Sichten auf die Demokratie, meint Ortwin Renn. Auf der einen Seite gebe es eine autokratische Vorstellung von Demokratie. Jemand solle von oben sagen, was richtig sei. Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die die Entscheidungen gewählten Vertretern überlassen wollen. Verfechter einer deliberativen Demokratie wollen wiederum, dass viele Menschen eingebunden werden. "Alle diese Gruppen kommen hier teilweise zusammen, haben aber unterschiedliche Vorstellungen, was eine gute Demokratie ausmacht."
Beitrag von Thomas Bittner
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