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Quelle: rbb/Miriam Keuter

Halbzeitbilanz Smartphone-Fasten

Den faltbaren Stadtplan habe ich wieder aufgegeben

Sieben Wochen ohne Smartphone. Geht das? rbb-Reporterin Miriam Keuter macht den Selbstversuch. Seit Aschermittwoch liegt das Smartphone in der Schublade. Kein WhatsApp und kein Google Maps. Drei Wochen sind nun fast rum. Eine Halbzeitbilanz.

"Na, wie geht's Dir ohne Dein Smartphone?", fragen die Kollegen und Kolleginnen alle paar Tage. Dass ich mich unabhängig und frei fühle, das wäre vermutlich etwas übertrieben, aber ich bilde mir zumindest ein, wieder etwas aufrechter zu gehen. Hat die Wissenschaft vielleicht recht? Bekommen wir alle Haltungsschäden, weil wir ständig den Blick nach unten aufs Smartphone richten?

Ich vergleiche die letzten drei Wochen mit der Zeitumstellung. Von Winter- auf Sommerzeit. Während alle anderen ihren Zeiger eine Stunde vorgestellt haben, verharre ich im Wintermodus, weil es mir da gefällt. Ja, mir geht es gut. Social Media fehlt mir gar nicht. Im Gegenteil, ein Segen, wenn nicht immer und überall Nachrichten und Emails auf meinem Handy aufploppen. Bildschirmzeit? Gibt es nicht mehr. Ich schätze mal, dass ich pro Tag nur noch zehn Minuten mit meinem Handy beschäftigt bin. Zu 90 Prozent am Telefon. Viel mehr geht auch nicht mit meinem Nokia 501. Eine Neuanschaffung für 23 Euro, damit ich nicht in Versuchung komme. Und die Versuchung ist groß.

Selbstversuch Handy-Fasten

Gibt es ein Leben ohne Smartphone?

Am Aschermittwoch startet die Fastenzeit. Seit einigen Jahren gibt es den Trend zum Klima-Fasten: sieben Wochen auf das Auto verzichten oder weniger konsumieren. Unsere Kollegin Miriam Keuter will in dieser Zeit auf das Smartphone verzichten.

Bücher anstatt Katzenvideos

All die kleinen Momente vermeintlicher Langeweile: Warten auf den Bus, Warten beim Arzt, Warten auf die Verabredung, aber vor allem vorm Schlafengehen. Im Bett liegen und noch mal alles durchscrollen, vor allem Instagram. Nicht selten bin ich noch eine gute Stunde in der Algorithmen-Blase hängen geblieben. Ich habe Menschen und Dinge gesehen, die ich eigentlich nie sehen wollte.

Und mal ehrlich, wie viele Katzenvideos, Pranks und Schminktipps braucht man vor dem Einschlafen? Ich habe die Blase platzen lassen, um im Bild zu bleiben und jetzt liegen neben meinem Bett wieder Bücher und Magazine. Und neben meinem Kopfkissen tickt ein alter Funkwecker.

Kampf mit dem faltbaren Stadtplan

Die Sache mit dem faltbaren Stadtplan habe ich wieder aufgegeben. Es ist nicht nur unpraktisch, denn meine ersten Auftritte in der U-Bahn waren verdammt peinlich, als ich die Karte über einer Breite von zwei Sitzplätzen aufklappen musste. Ich mache es jetzt wie Mitte der 2000er. Ich gucke mir die Route im Internet an und schreibe mir Straßen und Wegbeschreibungen auf einen Zettel. Aber ich bin ehrlich. Google Maps fehlt mir sehr, sehr.

Diese Erfindung ist einfach genial. Damit unterwegs zu sein, ist so wunderbar einfach und bequem. Überhaupt, mobil im Internet sein zu können, ist eine Errungenschaft. Darauf verzichte ich ungern. Wie oft stehe ich in den letzten Tagen vor verschlossenen Türen, weil ich nicht eben mal kurz die Öffnungszeiten checken kann.

Ohne Smartphone ein Problemfall

Was mir gar nicht fehlt ist WhatsApp. Allerdings bin ich durch meine freiwillig auferlegte Abstinenz für einige meiner Bekannten zu einer Art Problemfall geworden. Diskussionen um Treffen und Treffpunkte erreichen mich nicht mehr. Wer mich kontaktieren will, muss mich anrufen oder eine SMS schicken. Diese Extrabehandlung empfinden einige tatsächlich als Zumutung. Das wirft wiederum Fragen meinerseits auf.

Interview | Cyberkriminologe

"Wenn ein Account Privatbilder postet und 200 Follower hat, ist das nicht privat"

Thomas-Gabriel Rüdiger leitet das Institut für Cyberkriminologie in Oranienburg. In einem Interview redet er darüber, welche Informationen man mit der Veröffentlichung persönlicher Fotos im Netz preisgibt und wer diese Daten nutzen könnte.

"Ich weiß gar nicht wie ich Dich jetzt erreichen kann?", empört sich kürzlich ein Kollege am Telefon. Äh? Per Telefon? Mein Smartphone-Fasten stößt auf unerwartet wenig und zu Teilen negative Resonanz. Ob ich jetzt auch nicht mehr Auto fahren und nie mehr fliegen will, fragt mich ein Freund, als ich mein Tasten-Handy in einem Restaurant auf den Tisch lege.

Neun von zehn Deutschen besitzen laut Statistiken mittlerweile ein Smartphone. Die zehn Prozent ohne habe es schwer, stelle ich fest. Dass Online-Banking ohne Smartphone gar nicht mehr geht, das habe ich bei der Umstellung damals, zugegeben, ganz unkritisch hingenommen. Ich hatte schließlich ein Smartphone.

Robin Hood der "Nicht-Smartphone-Besitzer"

Die extreme Abhängigkeit vom Smartphone während der Corona-Pandemie ist mir noch zu gut im Gedächtnis. Da ging fast nix mehr ohne Smartphone, aber das ist ein anderes Kapitel. Es drängen sich Fragen auf, seit ich mich ohne Smartphone durch die Tage navigiere. Steuere ich auf ein gesellschaftliches Abseits zu? Und was ist mit den Menschen, die vielleicht nicht so technikaffin sind und deshalb auf ein Smartphone verzichten oder aufgrund ihres Alters es nicht richtig nutzen können?

Social Media ist das eine, aber wenn man nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilhaben kann, dann sollte uns das doch zu denken geben, sage ich zu meinem Freund im Restaurant und spiele mich ein bisschen wie Robin Hood der "Nicht-Smartphone-Besitzer" auf.

Ach, übrigens, in das Restaurant gehe ich nicht mehr. Zumindest in den nächsten vier Wochen. Hier kann man die Speisekarte nur mit dem QR-Code übers Smartphone lesen.

Sendung: rbb88,8, 13.02.2024, 16:10 Uhr

Beitrag von Miriam Keuter

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