Qualzuchten und Fehlhaltung
Entzündete Schlappohren, verformte Pfoten - im Tierheim Berlin landen zunehmend Tiere mit schweren gesundheitlichen Leiden. Auch die Psyche vieler Neuankömmlinge ist angeknackst. Nun zeigen sich die Folgen der Corona-Haustierkäufe auf dramatische Weise. Von Margarethe Neubauer
Mit beiden Armen trägt Tierpflegerin Celine Knörnschild eine Plastikkiste, randvoll mit Spänen und bunten Salatblättern. Hades und Megara erwarten sie schon. Die Widderkaninchen sind gerade im Katzenhaus zu Gast, denn die Station für die Nager ist voll belegt. "Die Flut an Kaninchen reißt nicht ab. Wir bekommen täglich Fundtiere, Tiere aus Sicherstellungen, Verwahrungen. Aus Platzmangel bringen wir sie jetzt hier unter, aber für die Katzen ist das natürlich Stress", sagt Celine Knörnschild, die sich vor allem um Mutterkatzen und Reha-Patienten kümmert.
Erst vor ein paar Tagen wurden 19 Kaninchen in das Tierheim in Berlin-Lichtenberg eingeliefert, sichergestellt in einer Einraumwohnung in Marzahn. Dort saßen die Nager dicht gedrängt im eigenen Kot. Insgesamt sind derzeit 1.300 Tiere auf dem Gelände des Tierheims untergebracht. Und der Andrang ist weiterhin groß. "Bei den Hunden zum Beispiel können wir keine Privatabgaben mehr annehmen", sagt Pressesprecherin Beate Kaminski. Rund 100 Hunde stünden zur Abgabe auf der Warteliste. "Das habe ich so noch nicht erlebt."
Seit etwa anderthalb Jahren hat sich die Situation im Tierheim verschärft. Die Tiere, die dort ankommen, sind oft krank oder verhaltensauffällig. Ein Problem: der illegale Welpenhandel. "In der Corona-Pandemie wurden viele kranke Tiere über das Internet vermittelt. Für die Besitzer kam dann die böse Überraschung", sagt Kaminski.
Auch werde es den Käufern zum Verhängnis, wenn sie ihr Haustier vor allem nach optischen Kriterien auswählen, sagt die Tierheim-Sprecherin. "Wenn ich als Laie nicht Bescheid weiß, habe ich dann einen Herdenschutzhund. Und der ist für die Zweiraumwohnung im vierten Stock ohne Aufzug natürlich nicht geeignet." Und landet dann etwa im Tierheim.
Im Kaninchenhaus trägt Pflegerin Nadine Lüdtke Transportboxen aus der Krankenstation herein. "Ein gesundes Paar haben wir hier nicht", sagt sie mit Blick in die Gehege. "Die Leute haben sich zur Corona-Zeit Tiere angeschafft und den Aufwand unterschätzt: Man muss Kaninchen zu zweit halten, auf mindestens 2,5-Quadratmetern, mit sechs Stunden Auslauf täglich. Und dann kommen noch die Tierarzt-Kosten hinzu." Insbesondere die wegen ihrer Schlappohren beliebten Widderkaninchen seien anfällig für Krankheiten: entzündete Ohren, Zahnfehlstellungen. Und das geht ins Geld. Erst für die Besitzer, nun für das Tierheim.
Auch Hades, der flauschige weiße Widder mit den bodenlangen Ohren, hat eine krankhaft abstehende Pfote und Zahnprobleme. Qualzüchtungen wie er werden besonders häufig im Tierheim abgegeben oder ausgesetzt, weil sie ihren Haltern zur Last werden. Ähnlich ist es bei den sogenannten Faltohrkatzen, die zwar niedlich aussehen, aber zu Gendefekten neigen. Für das Tierheim ist der Aufwand enorm, auch weil sich die Tiere schlecht vermitteln lassen. "Gerade ist das Problem, dass viele Tiere sehr lange hierbleiben", sagt Beate Kaminski. "Die Langzeitversorgung ist natürlich aufwendiger, weil wir gucken müssen, wie wir den Tieren gerecht werden können."
Rund zehn Millionen Euro kostet der Betrieb des Tierheims pro Jahr. Die Finanzierung erfolgt hauptsächlich durch Spenden, Mitgliedschaften, Nachlässe. Das Land Berlin gibt drei Millionen Euro dazu. Aber das Tierheim brauche mehr Unterstützung, so Sprecherin Kaminski. Etwa in Form einer Pauschale von einem Euro pro Einwohner, die das Land zahlen könnte. "Schließlich sorgen wir dafür, dass es in Berlin nicht so aussieht wie in Rumänien." Zu Präventionszwecken kümmert sich das Tierheim um die Kastration wildlebender Katzen. Eigentlich sind auch Halter verpflichtet, ihre freilaufenden Katzen zu kastrieren. Doch die Realität sieht anders aus.
Im Katzenhaus bereitet Pflegerin Celine Knörnschild die Futterschälchen vor. Tabletten für Diabetiker Mäxchen und die frisch operierte Bicky, Extra-Trockenfutter für die Faltohrkatzen. Noch schafft sie ihr Pensum auf der Reha- und Mutter-Kind-Station. Aber die kommenden Wochen werden hart. "Wir haben jetzt, Mitte März, einen Stand, den wir sonst von Mitte Juni kennen. Die Mütter mit ihren Babys sind schon da. Im Februar hatten wir über 90 Katzen auf der Krankenstation, das ist komplett ungewöhnlich."
Interessenten für die Katzenwelpen gibt es immer, bei Vierbeinern mit Auffälligkeiten ist es schwieriger. "Wir haben mehr verhaltensauffällige Katzen, was wir sonst eher von den Hunden kennen. Mehr Katzen, die zubeißen, kratzen, traumatisiert sind. Das macht die Vermittlung schwer", sagt Pflegerin Celine Knörnschild. Etwa 50 hauptberufliche Tierpflegerinnen und Tierpfleger arbeiten im Tierheim Berlin. Unterstützt von 500 Ehrenamtlichen. Die Tierpfleger schätzen auch ein, ob ein Tier zum Interessenten passt.
"Wir sind im Prinzip wie eine Partnervermittlung", sagt Beate Kaminski. "Eine Frau und ihre Töchter haben zum Beispiel auf unserem Tiktok-Kanal Welpen gesehen. Am Ende sind sie mit einer alten Hündin nach Hause gegangen, die nur ein Auge hatte. Ich will nicht jedem einen alten Hund mitgeben, aber es muss einfach passen." Deshalb gebe es zum Beispiel mit Hunden eine Probewoche. Auch bei Nagetieren werden vorab die Haltungsbedingungen geprüft. Aber nicht immer kommt ein Match fürs Leben zustande.
Gerade haben sich 50 Wellensittiche angekündigt. Wo die Vögel Platz finden werden, ist noch unklar. "Und selbst, wenn der Platz reicht, ist das keine Garantie, dass wir genügend Pfleger haben, um den Tieren gerecht zu werden", sagt Pflegerin Celine Knörnschild. Sie bereitet sich nun auf die Wurfsaison der Katzen vor. Dann wird sie auf jeden Fall eine Stunde eher zur Arbeit kommen.
Sendung: Wir wollen reden, 19.03.2024, 20:15 Uhr
Beitrag von Margarethe Neubauer
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