Interview | Endometriosezentrum der Charité
Etwa zwei Millionen Mädchen und Frauen in Deutschland haben Endometriose. Sie leiden unter heftigen Regelschmerzen und weiteren Begleiterscheinungen. Sylvia Mechsner über den Leidensweg und den Ansturm auf ihr Institut an der Berliner Charité.
Endometriose zählt zu den häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Die Betroffenen haben gutartige, meist schmerzhafte Wucherungen aus gebärmutterschleimhautartigem Gewebe, das außerhalb der Gebärmutterhöhle wächst. Zwischen 7 und 15 Prozent aller Mädchen und Frauen im geschlechtsreifen Alter sollen von Endometriose betroffen sein.
rbb|24: Guten Tag, Frau Mechsner. Was genau ist Endometriose?
Sylvia Mechsner: Wir sprechen von Endometriose, wenn sich endometriumartiges Gewebe außerhalb der Gebärmutterhöhle ansiedelt. Klassisch sind ektope Herde im Bauchraum, im kleinen Becken auf dem Bauchfell. Oder auch in Form von Zysten. Selten kann das auch in Organe hineinwachsen. Die zweite Form von Endometriose ist das Vorkommen solcher Inseln in der Gebärmuttermuskelwand. Das nennt sich dann Adenomyose.
Da die Krankheit, die mit der Menstruation der Frauen zu tun hat, gilt sie als sehr schambehaftet und tabuisiert. Erleben Sie das auch so in ihrer Arbeit?
Als Anlaufstelle für die Patientinnen selbst sprechen wir natürlich ganz offen mit den Patientinnen. Aber die Frauen berichten meist von einer etwa zehnjährigen Diagnoseverzögerung. Es finden auch mehr und mehr Jugendliche ihren Weg zu uns. Viele kommen übrigens von sich aus und werden nicht unbedingt von ihrem behandelnden Arzt geschickt.
Zehn Jahre Leidensweg bis zur Diagnose ist ja eine wirklich lange Zeit.
Ja – und bei der Patientengruppe im Alter ab 30 Jahren liegt der Schnitt sogar bei 15 Jahren. Diese Frauen haben dann schon mindestens 15 Jahre lange Beschwerden. Das zeigt ja, wie tabuisiert die Krankheit ist.
Für die meisten Frauen beginnt der Leidensweg mit Regelschmerzen. Aber das wird meist abgetan. Ihnen wird – auch vom eigenen Umfeld - gesagt, sie sollen sich nicht so anstellen und das könne gar nicht sein. Mädchen wird auch gesagt, sie seien zu jung um Endometriose zu haben. Sie werden nicht Ernst genommen. Nur die Hälfte der Frauen sprechen das nach einer Umfrage von Plan International dann überhaupt an beim Frauenarzt. Und dort erfahren sie oftmals dann das gleiche: zu jung, kann nicht sein, da ist nichts. Oft wird ihnen geraten, Schmerzmittel oder die Pille zu nehmen.
Wie kommt das?
Frauenärzte haben leider extrem wenig Zeit für ihre Patientinnen. Sie sind auch nicht geschult darin, Schmerz-Anamnesen zu machen. Für eine gynäkologische Anamnese und eine Untersuchung kann ein Frauenarzt sechs Euro abrechnen. Das heißt, die Frauen müssen nach wenigen Minuten das Sprechzimmer verlassen. Hinzu kommt: 90 Prozent aller Frauen haben Regelschmerzen. Aber nicht alle von ihnen haben Endometriose. Die Differenzierung, was normal ist und was nicht, erfordert ein Gespräch. Und dafür sind die Frauenärzte nicht geschult. Es gibt insgesamt kaum Anleitungen, wie mit Regelschmerzen umzugehen ist. Sie werden komplett ignoriert.
Sind die Menstruationsschmerzen bei Endometriose vor allem Bauchschmerzen oder geht es über heftige Schmerzen im Bauchraum hinaus?
Menstruationsschmerzen sind erst einmal im Unterbauch lokalisiert. Es sind Krämpfe. Aber es geht auch darüber hinaus. Etwa 60 Prozent der Endometriose-Patientinnen haben schwerste Regelschmerzen. Wir im Endometriose-Zentrum fragen immer ab, wie stark die Schmerzen sind auf einer Skala bis zehn. Zehn ist dann der schlimmste vorstellbare Schmerz, ab drei mag man eine Schmerztablette nehmen.
Die über 400 jungen Frauen unter 22 Jahren, die hier bei uns im Zentrum betreut werden, haben im Mittel einen Schmerzwert von acht. Das kommt schon an Geburtsschmerzen heran. Viele von ihnen sind therapieresistent – das heißt, bei ihnen hilft eine Ibuprofen oder auch mehrere nicht. Auch leiden viele der Frauen auch unter Übelkeit, Erbrechen und Durchfall dabei. Sie haben vielfach auch eine Kollapsneigung und Schwindelgefühle. Das vermittelt ein enormes Krankheitsgefühl. Das macht die Situation behandlungsbedürftig – man sollte ja nicht zulassen, dass das so viele Menschen das ertragen müssen.
Wie bekommt man Endometriose?
Die meisten der betroffenen Frauen haben von Anfang an stärkste Regelschmerzen. Bei ihnen krampft die Gebärmutter, die ein beweglicher Muskel ist, stark. Die Veranlagung dafür, davon gehen wir aus, ist genetisch gegeben. Denn eine gut kontrahierende Gebärmutter ist eigentlich auch nichts Schlechtes, sondern sie hat früher das Überleben von Frauen gesichert, weil Geburten so besser geklappt haben. Und auch postpartal muss die Gebärmutter sich gut wieder zusammenziehen können, um die Gefäße wieder zu verschließen – sonst kann man ja verbluten. Eine gut kontrahierende Gebärmutter fördert auch das Zusammentreffen von Spermien und Eizelle.
So hatten die Frauen mit gut kontrahierender Gebärmutter vermutlich einen gewissen Überlebensvorteil. Und so häufig wie Endometriose heute ist, muss das evolutionsbedingt einen Vorteil gehabt haben. Doch heutzutage – durch Geburtenkontrolle, bessere Ernährung und soziale Sicherheit - bluten Frauen sehr viel häufiger als noch vor hundert Jahren. Damals haben Frauen 40 Mal in ihrem Leben geblutet, heute bluten sie 400 Mal.
Wenn man dann mit 30 Jahren schwanger werden möchte, hat die Gebärmutter schon 200 Blutungen hinter sich. Davon ausgehend, dass diese starken Bewegungen Scherkräfte auslösen zwischen Schleimhaut und Muskulatur, kommt es dann zu Mikrotraumatisierungsprozessen und zu Wundheilung. Das Gewebe, das sonst, wenn man schwanger wäre und stillt und wieder schwanger wäre und stillte, ruhen würde, ist deutlich aktivierter. So werden auch die Stammzellen aktiviert. Wenn die dann ihre Nische verlassen, können sie woanders hinwandern. In die Gebärmutterwand oder den Bauchraum.
Es gibt aber tatsächlich auch Frauen mit sekundärer Endometriose. Da ist erst alles super. Aber wir hören, dass nach einer Fehlgeburt und oder Ausschabung oder auch durch Kupfer-Spiralen, die in die Gebärmutter eingesetzt werden und die sich dort entzünden können, das Ganze losgetreten werden kann.
Die Folgen einer Endometriose sind nicht nur heftigste Schmerzen. Viele Frauen berichten auch von psychischen und von Kinderwunsch-Problemen. Ist das so?
Unbedingt. Die ektopen Herde verursachen auch Entzündungsreaktionen, Endometriose ist eine chronisch entzündliche Erkrankung. Wenn die Frauen menstruieren, bluten diese Herde in sich hinein. Das sieht man in Form von Zysten in den Eierstöcken. Deshalb haben die Frauen zyklische Beschwerden wie Unterbauchschmerzen, Schmerzen beim Wasserlassen und beim Geschlechtsverkehr. Mit der Zeit reagiert aber auch der Körper auf diese starken Schmerzen. Es kommt zu Fehl- und Schonhaltungen, der Beckenboden fängt an, sich zu verspannen. Das Nervensystem und das Schmerzgedächtnis reagieren auch. Sodass man mehr und mehr in ein chronisches Schmerzsyndrom rutschen kann. Mit zusätzlichen sich überlappenden weiteren Schmerzsyndromen. Das stresst die Frauen enorm und es kommt zu gestörter Cortisolausschüttung.
Wir wissen ganz sicher, dass diese chronische Schmerzsituation zu psychologischer Co-Morbidität führen kann. Gerne wird solchen Frauen dann eine Somatisierungsstörung [seelisch verursachte körperliche Beschwerden; Anm. d. Red.] attestiert. Das ist großer Quatsch. Denn die entwickelt sich im Rahmen der chronischen Schmerzen – und das würde jedem so gehen. Viele der Frauen entwickeln mit der Zeit Depressionen, Angststörungen und geraten in soziale Isolation. Es ist auch stressig für sie in der Ausbildung und sie verpassen Karrierechancen. Viele haben finanzielle Nachteile. Das hat weitreichende Folgen. Und natürlich entstehen vielfach auch partnerschaftliche Probleme.
Und ja, auch die Fertilität der Frauen kann auf vielfältigen Ebenen eingeschränkt sein. Durch die Entzündungen oder die Gebärmutter oder auch durch die Eierstöcke, wo es durch die Zysten zu schlechterer Eizellqualität und -reifung kommen kann. Auch Operationen an Eierstöcken können die Eizellreserve stark schädigen. Endometriose kann eine der Ursachen für einen unerfüllten Kinderwunsch sein – muss es aber nicht. Ich will da keine Angst verbreiten. Sehr viele Frauen mit Endometriose werden durchaus schwanger.
Sie leiten das Endometriose-Zentrum der Berliner Charite. Warum gibt es das Zentrum?
Es ist eines der ersten Endometriose-Zentren in Deutschland und wurde 2002 von Professor Ebert gegründet. Er ist ein sehr bekannter Endometriose-Pionier in Deutschland. Seine Idee war, die Endometriose auf Grundlagensicht zu untersuchen. Daher hat er als junger Oberarzt das erste Grundlagenforschungs-Labor dazu in Deutschland gegründet. Hinzu kam die Stiftung Endometriose-Forschung, die es immer noch gibt. Hier hat man festgestellt, dass Frauen mit Endometriose in den vielen Wald- und Wiesenkrankenhäusern nicht gut versorgt sind, weil jeder einfach machte, was er so dachte. Durch die Einführung der Zentren sollte das zentralisiert werden. Sodass die Frauen von Experten, die sich für ihre Erkrankung wirklich interessieren, behandelt werden.
Melden sich viele Frauen bei Ihnen?
Ja. Wir bekommen etwa 30 Anfragen pro Tag. Unsere Sprechstunden sind bis Mitte des Jahres ausgebucht. Trotzdem haben wir 900 – oder mittlerweile sicherlich auch schon wieder mehr – offene Anfragen. Wir versuchen, zu triagieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Inforadio, 05.03.2024, 14:50 Uhr
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