Interview | Viadrina-Präsident zu Ukraine-Zentrum
Die Europa-Universität in Frankfurt (Oder) hat den Zuschlag zur Schaffung eines Ukraine-Zentrums erhalten. Im Interview erklärt Viadrina-Präsident Eduard Mühle, welche Bedeutung das hat und wie die Zusammenarbeit in Kriegszeiten funktioniert.
rbb|24: Herr Mühle, ist der Forschungsverbund eher eine Einrichtung, verbunden mit einer symbolhaften Geste unter dem Motto "Solidarität mit der Ukraine" oder gibt es tatsächlich eine Notwendigkeit?
Eduard Mühle: Ich würde sagen, es ist eine Notwendigkeit. Die deutsche Gesellschaft bedarf einer intensiveren Kenntnis der Ukraine. Und das erfordert wissenschaftsfundierte Kenntnis und die generieren Wissenschaft und Forschung. Dann muss sie auch an die jüngere Generation vermittelt werden. Dafür ist die Lehre da, und das genau ermöglicht dieser Verbund, zusätzlich zu dem, was wir schon machen.
Wenn die Bundesregierung sagt, wir stehen an der Seite der Ukraine und wir wollen die Forschung zur und mit der Ukraine auch weiter unterstützen, sind dann 2,5 Millionen Euro vom Deutschen Akademischen Austausch Dienst (DAAD) viel oder wenig?
Es ist für uns schon ein beachtlicher Betrag, denn wir sind durchaus auch schon unterwegs und besitzen einige Ressourcen (Forschungsprogramme, Kooperation mit und zur Ukraine, Anm. d. Red.). Die werden jetzt zusätzlich gestärkt. Und wir können damit schon eine Menge machen. Also ich würde es jetzt nicht klein reden wollen.
Im Gesamtkontext anderer Zusammenhänge sind 2,5 Millionen Euro vielleicht nicht viel, wenn man an die Milliarden denkt, die für militärische Zwecke ja im wahrsten Sinne des Wortes verballert werden. Aber 2,5 Millionen Euro sind viel Geld, und die müssen wir als Viadrina und mit unseren Kooperationspartnern erstmal sinnvoll zielgerichtet einsetzen und verwenden. Und das werden wir tun. Wir werden damit schon eine ganze Menge erreichen.
Sie haben erwähnt, es könnten knapp 400 Personen von dem jetzt auferlegten 4-Jahresprogramm profitieren. Wie berechnet sich das?
Diese Zahl kommt zustande, indem ich zusammengezählt habe: Was haben wir an Stipendienmöglichkeiten beantragt und jetzt bewilligt bekommen? Das sind neun dreijährige Promotionsstipendium, 20 Kurzaufenthalte, 40 Mittelfristaufenthalte, Gastdozenturen, Forschungsstipendien. Insgesamt, wenn man sich das so vor Augen führt, sind es knapp 400 Personen, die wir mit den Mitteln des DAAD jetzt in den nächsten vier Jahren nach Frankfurt einladen können.
Mit welchen Unis und wissenschaftlichen Einrichtungen in der Ukraine arbeiten Sie derzeit zusammen - und unter welchen Umständen ist das möglich?
Wir haben vertragliche Beziehung mit sieben Universitäten, Hochschulen - von Lemberg über Kiew, Cherkasy bis nach Charkiw. Und wir können da ganz konkret zusammenarbeiten, auch mit Unterstützung des DAAD: zum Beispiel über die Unterstützung digitaler Lehre, über die Unterstützung von Studierenden, die in der Ukraine mit Surplus-Stipendien in die Lage versetzt werden, ihre Arbeiten abzuschließen. Da wird ihnen auch geholfen, da gibt es Kooperationen, indem man gemeinsam daran arbeitet "Wie schreibt man Abschlussarbeiten". Wir können ukrainische Studierende in einem gewissen Rahmen mit Stipendien hierher nach Frankfurt einladen. Wir können gemeinsame Online-Kurse, Lehrangebote entwickeln. Da ist schon einiges möglich.
Aber natürlich hindert das Kriegsgeschehen eine intensivere Kooperation. Wir haben unlängst im Januar eine Online-Konferenz mit ukrainischen Universitäten durchgeführt, zu der die Universität Warschau und die Viadrina eingeladen waren, um gemeinsam auszuloten und zu diskutieren: "Wie kann die Kooperation weiter intensiviert werden?"
Nun dauert der Krieg schon seit über zwei Jahren an. Was kann denn Wissenschaft in diesem Konflikt überhaupt erreichen oder vermitteln?
Was wir versuchen können zu vermitteln, ist ein Verständnis und Hintergrundinformationen, dass man versteht, wie es zu diesem Konflikt gekommen ist und, dass man versteht, was es bedeutet, mit ihm umzugehen und wie wichtig es ist, die Ukraine in diesem Konflikt zu unterstützen; und zwar massiv zu unterstützen.
Gibt es aus der wissenschaftlichen Perspektive schon konkrete Ableitungen oder Handlungsempfehlungen für diejenigen, die darüber zu entscheiden haben?
Ja, es ist die Frage, worauf das zielt, welche Handlungen angeleitet werden sollen. Also man kann sicher jetzt nicht aus der konkreten Forschung, die wir betreiben, die wir weiterentwickeln wollen, irgendwelche Vorschläge, Handlungsmaßgaben jetzt für das militärische Geschehen ableiten. Aber für den politischen Umgang mit der Krise, kann man daraus schon einige Schlüsse ziehen, aus dem, was die historische Kenntnis, die soziologische, politologische Einschätzung der Entwicklung bietet.
Momentan ist es schwierig mit Forschungsaufenthalten in der Ukraine. Gleichzeitig suggerieren sie, dass das irgendwann möglich ist. Glauben Sie daran?
Ich hoffe sehr, dass ich da mal wieder hinkomme. Ich bedauere es sehr, dass ich als Präsident der Viadrina nicht die Möglichkeit habe, jetzt die Kollegen und Kolleginnen in den ukrainischen Universitäten zu besuchen. Das wäre mir sehr wichtig. Aber es geht aus technisch-praktischen Gründen eben nicht. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Ukraine hierher kommen, was sie tun. Sie waren im November hier in einem großen Saal versammelt, bei unserer Eröffnung des VCPU (Viadrina Center of Polish and Ukrainian Studies, Anm. d. Red.). Und wir können nur hoffen, dass wir eher früher als später diese Möglichkeit wieder haben werden. Im Moment ist leider nicht absehbar, wann sie eintreten wird.
Vom schlechtesten Szenario gehen Sie aber nicht aus, dass die Ukraine vielleicht in der Form gar nicht weiter existiert?
Man kann das nicht völlig ausschließen. Da haben Sie recht. Wenn man schaut, wie zögerlich Europa sich verhält. Und wenn man bedenkt, dass möglicherweise ein anderer Präsident in den USA demnächst regieren wird, kann man da schon große Sorgen entwickeln. Und auch für diesen Fall, der hoffentlich nicht eintreten wird, aber den man nicht ausschließen kann, wird die Viadrina und wird auch dieser Kompetenzverbund eine Rolle spielen. Denn was passiert denn, wenn tatsächlich die Ukraine besiegt würde, von Putin? Dann würden wir doch eine große Zahl von Immigranten, Flüchtlingen haben, die nach Deutschland und nach Europa kämen. Und auch dann müssten natürlich Vorkehrungen getroffen werden, wie man damit umgeht, was man daraus macht, auch dann in Hinblick auf eine hoffentlich bald eintretende, bessere Zukunft. Die Menschen müssen dann weiter auch ausgebildet werden, auch weiter forschen. Und da würde die Viadrina sicher auch eine wichtige Rolle spielen.
Das Interview für rbb|24 führte Stefan Kunze.
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