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Audio: rbb24 Inforadio | 11.03.2024 | Oda Tischewski | Quelle: imago images/funke

Interview | Jugendberufsberater

"Wichtig ist, dass die Eltern ihre Kinder bei dem Berufswahlprozess begleiten"

Der Schulabschluss rückt näher – und dann? Manche Jugendliche haben nur eine vage oder auch gar keine Idee, welchen Beruf sie dann ergreifen wollen. Der Berliner Jugendberufsberater Lajos Balogh über Beratungsangebote und die Rolle der Eltern.

rbb: Herr Balogh, Sie arbeiten in Berlin-Moabit in der Jugendberufsagentur – und zwar im Bereich Sekundarstufe I. Zu Ihnen kommen also diejenigen, die die Schule voraussichtlich mit dem Hauptschulabschluss (Berufsbildungsreife) oder dem Mittleren Schulabschluss (MSA) verlassen werden. Kommen zu Ihnen auch Jugendliche, die gar keine Idee haben, wie es dann weitergehen soll, nicht mal eine grobe Richtung? Und wie können Sie denen weiterhelfen?

Lajos Balogh: Das ist Tagesgeschäft in der Berufsberatung, dass Jugendliche kommen und keine Idee haben. Und da haben wir natürlich dann schon Möglichkeiten, mit denen zusammenzuarbeiten und das herauszufinden. Also, das Einfachste zu Beginn: Auf planet-beruf.de haben wir 15 Berufsfelder. Mit Bildern, die einfach für Berufsgruppen stehen. Da gibt es Bau, Elektro, IT, Sozialpädagogik – um nur einige zu nennen. Und dann sollen sie entscheiden, ob da ein Bild dabei ist, was für sie passt. Dahinter sind die Berufe noch mal gegliedert nach Tätigkeiten oder Funktionen. So kann man sich näher rantasten.

Wichtig ist auch, wenn die Jugendlichen in der Schule ein Praktikum gemacht haben. Das ist verpflichtend, da lernen sie auch Berufe kennen. Und da können sie ja auch schon entscheiden: Was hat mir Spaß gemacht, was nicht? Und am schönsten ist es natürlich immer für uns in der Beratungssituation, wenn die Eltern dabei sind, denn die kennen ihre Kinder am besten.

Lajos Balogh, Berufsberater bei der Jugendberufsagentur Berlin | Quelle: rbb/Yasser Speck

Welche Fragen können sich denn Jugendliche selbst schon im Vorfeld solch einer Beratung stellen, um einer Idee ein bisschen näher zu kommen?

Die einfachste Frage ist – wenn die Person zum Beispiel ein Hobby hat – was macht sie gerne, was für Talente, was für Neigungen hat sie? Und daraus kann man ja auch einen Berufswunsch ziehen oder einen Studiengang. Wenn jemand zum Beispiel gerne fotografiert, dann gäbe es den Ausbildungsberuf des Fotografen oder der Fotografin. Aber dann gibt es auch noch andere Berufe, in denen man mit Bildern arbeitet: Mediengestalter Digital und Print. Oder es gibt dieses Jahr zum Beispiel einen neuen Beruf, das ist der Gestalter für immersive Medien. Die konstruieren unter anderem 3D-Welten für virtuelle Brillen.

Wann beginnt im Teenageralter sinnvollerweise eine Auseinandersetzung mit der Frage: Was will ich eigentlich beruflich machen?

Sinn macht es drei Jahre vor Schulabschluss, dass man so langsam mal anfängt, darüber nachzudenken.

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Wie genau kann das aussehen, auch parallel zur Schule?

Die Eltern sollten mit ins Boot kommen und auch mal fragen: Was würdest du denn gerne machen? Das ist ganz wichtig. Und dann sollte man natürlich auch den Kontakt zur Jugendberufsagentur suchen: Wir bieten unser Angebot ja auch an Schulen an. Wir sind vor Ort sichtbar und haben regelmäßig Sprechstunden. Und da können wir die Jugendlichen so langsam an die Arbeitswelt heranführen. Dann ist das Praktikum sehr gut. Da hat man die Möglichkeit, Berufe kennenzulernen und auszuprobieren. Und dann bieten wir auch Berufsorientierung für Schulklassen bei uns im BIZ (Berufsinformationszentrum).

Auf der Webseite der Jugendberufsagentur gibt es ein Tool namens Check-U – was ist das? Wie können Jugendlichen damit ihrer beruflichen Vorstellung ein bisschen näher kommen?

Bei Check-U [arbeitsagentur.de] haben die Jugendlichen vier Tests, die sie machen. Das ist einmal der Fähigkeiten-Test – also was kann ich? Die sozialen Kompetenzen, welche Eigenschaften habe ich? Dann die Interessen und schließlich die beruflichen Vorlieben. Da müssen sich die Jugendlichen selbst einschätzen und den einen oder anderen Test machen. Das dauert, wenn man es hintereinander macht, etwa zwei Stunden. Und dann bekommen sie ein Ergebnis: Berufsvorschläge, die zu diesen Vorlieben und Fähigkeiten passen.

Wenn Sie die Jugendlichen beraten, was ist dabei das Ziel? Hilfe zur Selbsthilfe, damit er oder sie danach selbständig weitermachen kann? Oder ist das eher eine langfristige Sache, kommen die Leute mehrmals und lassen sich längerfristig unterstützen?

Das ist individuell. Also es gibt Jugendliche, die brauchen bloß eine Beratung und organisieren sich dann selbst weiter. Aber es gibt dann aber auch Jugendliche, die kommen öfters zu uns und die beraten wir länger, bis sie so weit sind. Die Erstgespräche dauern in der Regel 45 Minuten und die weiteren etwa eine halbe Stunde.

Welche Rolle spielen Eltern dabei, wenn sich ihr Kind für eine berufliche Laufbahn entscheidet oder für eine Ausbildung?

Die Eltern haben eine wichtige Rolle, weil sie ihre Kinder ja auch begleiten. Und seit damals, als die Eltern ihre Ausbildung gemacht haben, hat sich ja viel weiterentwickelt, es entstehen neue Berufe. Während der Berufsberatung haben wir das alles auf dem Schirm und können auch das eine oder andere noch ergänzen, was die Eltern einfach nicht wissen. Aber wichtig ist, dass die Eltern ihre Kinder bei dem Berufswahlprozess begleiten, bis zum Ende, also bis sie einen Ausbildungsvertrag haben.

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Es gibt sicher auch Eltern, deren Vorstellungen, wo sie ihr Kind gerne sehen möchten, sich vielleicht nicht hundertprozentig deckt mit der Vorstellung des Kindes. Oder die sich andere Gedanken über Zukunftsaussichten und Gesundheitsrisiken machen, wo der Sohn oder die Tochter vielleicht nur an Spaß oder Gehaltshöhe denken.

Ja, das gibt es auch. Das kommt vor und da muss man halt dann vermitteln. Es gibt auch neue Errungenschaften. Auf der Baustelle zum Beispiel kann man jetzt auch schon mit Exoskeletten arbeiten. Also Über-Kopf-Arbeiten werden dann einfacher. Es gibt Häuser, die kommen aus dem 3D-Drucker. Auch da werden neue Berufsbilder entstehen. Da sind Eltern oft überrascht, was wir schon alles wieder für neue Berufsbilder haben.

Und da ist die Aufgabe der Berufsberatung zu zeigen, was kann man aus so einem Beruf auch noch machen, wie kann man den entwickeln? Man bleibt ja nicht stehen nach der Ausbildung, sondern hat ja die Möglichkeit, sich nach oben zu qualifizieren oder auf eine Expertenebene weiterzubilden. Oder wie das Leben so spielt, vielleicht am Ende etwas ganz anderes zu machen.

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Sie beraten hier zu circa 340 Ausbildungsberufen. Glauben Sie, dass die Berufswahl heute schwieriger geworden ist, weil es immer mehr Möglichkeiten gibt? Und dass viele vielleicht deswegen auch wieder auf Unterstützung von außen zurückgreifen, zum Beispiel durch die Eltern?

Es kann auch die Biografie der Eltern helfen bei der Berufswahl. Auf planet-beruf.de haben wir einen einfachen Fragebogen entwickelt, 'Deine Familie im Interview', wo die Jugendlichen ihre Eltern befragen können: Welchen Beruf hast Du? Wo arbeitest Du? Was sind Deine Aufgaben? Arbeitest Du mit Geräten oder Maschinen? Alleine oder im Team? Wie bist Du auf den Beruf gekommen? Was sind Deine Stärken, die man in dem Beruf braucht? Was gefällt Dir daran am besten?

Wenn man keine Idee hat, dann ist es wirklich ein weiter Weg, sich in der beruflichen Orientierung voranzutasten und dann eine Entscheidung zu treffen. Aber wenn man eine Richtung hat, zum Beispiel über das Praktikum schon einiges ausprobiert hat und dann auch Selbstvertrauen bekommt, dann ist die Entscheidung nicht mehr so schwer. Und dann muss man halt einfach mal machen.

Herr Balogh, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Oda Tischewski.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.03.2024, 07:10 Uhr

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