Osterfeierrituale
Es wird gebrannt, gebadet und hinter rollenden Eiern hergelaufen - all das findet bei vielen in Berlin und Brandenburg ganz ohne Kerzen und wie selbstverständlich ohne Gebet und Andacht statt. Einfach nur Ostern eben. Von Stefan Ruwoldt
Die Tage rund um Ostern tragen eine Art Stempel. Sie heißen eben nicht "1. Osterfeiertag" und "2. Osterfeiertag", sondern sie sind ein bisschen rätselhaft bezeichnet mit Silben, die vage andeuten, was an diesem Tag zu erwarten ist - oder woran erinnert wird.
Der Start ist Gründonnerstag, gefolgt von Karfreitag, Karsamstag, Ostersonntag und Ostermontag. Ein paar Tage später folgen Ostersamstag und Weißer Sonntag. Um diesen Tagen die Glaubensroutinen sowie die großen und kleinen Rituale und Feierlichkeiten treffgenau zuordnen zu können, brauchen Atheisten ein bisschen Anleitung.
Selbst für Einserabsolventen der Christenlehre ist die korrekte Datumsermittlung und die Abfolge der Kirchenfeiertage eine anspruchsvolle Rechenaufgabe. Die meisten verlassen sich dafür auf die Daten im Netz oder im vorgedruckten Kalender. Es klingt wie eine blasphemische Pseudoerkenntnis: Ostern kann man sich nicht erglauben. Man braucht den Mond.
Der erste Sonntag nach dem ersten Vollmond nach dem Frühlingsanfang - das ist Ostern. Wer sich das notiert und freigehalten hat, wird belohnt mit einem reichhaltig bestückten Eventkalender, der christliche und vorchristliche Erinnerungen begleitet, illustriert oder untermalt und so hilft, erlebnisreich innezuhalten.
Die Kirche aber, die dieses Fest so groß gemacht hat, verliert in Deutschland seit Jahren an Einfluss, die Gemeinden melden anhaltend Austritte und schwindende Mitgliederzahlen, auf den Pfarrer und die Ostertermine der Gemeinde also verlassen sich immer weniger.
Viele aber, die keinen Glauben wollen, sind trotzdem scharf auf Zelebrationen und Gemeinschaft. Auch sie suchen nach Ritualen, die sie durchs Jahr begleiten. Ostern eignet sich da besonders, denn das Land bietet kleine und große Osterroutinen ganz ohne Glockengeläut und Andacht.
Die Oma und alle, die noch älter sind, und natürlich jene, die ihr und dem Opa genau zugehört haben, wissen: Der Osterspaziergang findet am Ostersonntag statt. Da wird dann gerne Goethe zitiert, der Ostern den Frühling bedichtet. Weil aber Goethe kein Brandenburger war und der Donnerstag und der Freitag in Brandenburg und Berlin weitgehend trocken bleiben sollen, gibt es hier die Empfehlung: Die Osterwoche startet mit einem ausgedehnten Spaziergang, ein Gang zu Ostern hin, sozusagen.
Und direkt nach dem Spaziergang geht es zur Wärme: Die Brandenburger Osterfeuer sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten zu einer Art Homecoming-Veranstaltung der fortgezogenen Generationen geworden: Ostern geht es zurück in die ostdeutsche Heimat und am großen Osterfeuer bei einem Extra-Tropfen kann man dann hören, was der Toralf und die Sybille so machen und ob sie vielleicht doch zurückkommen.
Es sind also nicht unbedingt christliche Feuer die rund um Berlin und besonders in der Lausitz lodern, auch wenn die Pfarrerin teilnimmt. Die meisten sind wohl eher Freudenfeuer, an denen darauf angestoßen wird, dass eben endlich mal wieder so viele zurück sind in der Heimat und dass es nun endlich wieder wärmer wird.
Der Klagesamstag dann ist in den wenigsten Gemeinden und Wohnblocks in Berlin und Brandenburg wohl eher nicht besonders still. Die Geschäfte sind offen. Die meisten Menschen haben frei. Und so ist der Karsamstag eher dem Einkaufsbummel gewidmet.
Fast ebenso gefeiert und fast schon verehrend bewundert ist das rituelle Anbaden im Wannsee alljährlich an diesem Tag. Und weil für die meisten die Stille an diesem Tag keine Rolle mehr spielt, hat der Tag bei ihnen auch keinen richtigen Namen. Ostersamstag nennen ihn viele und ignorieren damit, dass "Ostersamstag" eigentlich der Samstag nach Ostern heißt.
Endlich wieder Eier und Fleisch. Nach der Fastenzeit. Ab Sonntag ist das erlaubt und weil sich Fleisch nicht so gut anmalen lässt und auch ganz schmutzig wird, wenn man es im Gras vergräbt, werden stellvertretend die Eier bemalt, im Gebüsch versteckt und später sauber abgepellt verspeist.
Natürlich gibt es da eine ausgesprochen klare christliche Geschichte, die hinter den bemalten und verschenkten und versteckten Eiern steckt, aber die ist blutig und darum nicht so richtig jugendfrei und für die Ungläubigen eher irritierend.
"Warm, wärmer, heißheißheiß" oder "Kalt, ganz kalt" - das sind keine Bibelzitate und dafür muss man auch nicht gefastet haben, aber diese "warm"- und "kalt"-Ansagen gehören zu Ostern wie der besoffene Urgroßonkel zum weihnachtlichen Festtagsbraten.
Der Ostermontag ist Ausflugstag für alle. Nicht nur Goethe muss herhalten für die Begründung des Spaziergangszwangs. Auch die testamentarische Erzählung wird benutzt als Motivation: Emmausgang werden die Osterspaziergänge in bibelfesten Kreisen vor allem im tieferen katholischen Süden genannt. Dieser Gang erinnert an die biblische Erzählung, nach der zwei Jünger Jesu am Montag nach der Kreuzigung in die Stadt Emmaus wanderten und dabei dem auferstandenen Jesus Christus begegnen - aber das erst später begreifen.
Ganz unchristlich aber lässt sich der Ostermontagsspaziergang auch damit begründen, dass man nach den Eiern sucht, die beim Eiertrudeln [reisland-brandenburg.de] am Sonntag - etwa in Brandenburg an der Havel oder in Manker (Fehrbellin, Ostprignitz-Ruppin) oder in Altfriedland (Märkisch-Oderland) im tiefen Gras liegen geblieben sind.
Vier christliche Erinnerungstage liegen bei diesem Abschlussspaziergang schon zurück. Und weil der christliche Kalender gnädig ist mit seinen weniger christlichen Osteranhängern, gibt er ihnen nach dieser Karwoche mit der am Ostermontag startenden Weißen Woche Gelegenheit, nachzulesen, womit sie dieses Fest verdient haben. Weißer Sonntag und der dazu gehörige auch kirchlich so genannte Ostersamstag ist die Zeit für die Neugetauften ihre weißen Gewänder zu tragen. Gläubig oder nicht: Das Wochenende nach Ostern ist für alle wieder höchste Zeit das Tanzbein zu schwingen. Alle dürfen wieder. Vereint.
Beitrag von Stefan Ruwoldt
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