Schäfer fürchten um Berufsstand
Statistisch gibt es in Brandenburg jeden Tag eine Wolfsattacke auf Nutztiere. Die Angst vor weiteren Angriffen ist bei den Tierhaltern enorm. Viele Schäfer machen sich zunehmend Sorgen um ihren Berufsstand, berichten Betroffene aus der Uckermark.
"Komm, komm, kommmm!" Mit lauten Rufen lockt Schäfermeister Jens Kath ein einzelnes Schaf über seinen Hof in Friedrichsfelde (Uckermark). Nachdem in der vergangenen Woche vermutlich Wölfe eine Herde im Angermünder Ortsteil Wilmersdorf angegriffen haben, war es verschwunden. "Wenn man genau hinguckt, sieht man, dass am linken Hinterlauf Wolle runterhängt", sagt Kath. "Da müssen wir genauer hingucken."
Dafür muss das Tier aber zunächst mit in den Stall. Vorsichtig tippelt es hinein und wird dort von Kath und zwei seiner Kollegen auf den Rücken gedreht. Akribisch prüfen sie das Fell. "Wenn man hier genau hinguckt, sieht man die Verletzung und hier ist alles geschwollen."
Jens Kath führt mit seiner Familie in Friedrichsfelde eine Lehrschäferei - inzwischen schon in der siebten Generation. Insgesamt 600 Schafe groß ist der Bestand. Wolfsattacken habe es immer wieder mal gegeben. Allein im vergangenen Jahr seien es fünf gewesen. "Aber der letzte war in seiner Art und Weise, in seiner Dimension, einzigartig. Wir holen bei Übergriffen den Rissgutachter und der sagte nur: In dieser Form hat er es auch noch nicht erlebt. Und der macht das schon elf Jahre."
Der Schäfer geht von gleich mehreren Wölfen aus, vor denen seine Schafe bis an die Bahnstrecke Berlin-Stralsund geflüchtet waren. Es hatte Beeinträchtigungen im Bahnverkehr gegeben und einen Großeinsatz von Bundespolizei, Polizeihubschrauber, Landwirten sowie Bahnmitarbeitern ausgelöst. Neben verletzten, hat es auch tote Schafe gegeben. Von den insgesamt 35 Tieren gingen 20 verloren, da sie in alle Richtungen geflüchtet waren. Trotz intensiver Suche fehlen auch eine Woche später noch immer 14 Schafe.
Für die Schäferei Kath bedeuten die zunehmenden Angriffe nicht nur einen wirtschaftlichen Schaden. Schließlich war die kleine Herde bei Wilmersdorf als Festessen für Ostern eingeplant. Den Kunden musste abgesagt werden. Darüber hinaus gebe es eine Gefahr für den Berufsstand, sagt Schäferin Julia Kath. Denn sie müssen immer mehr Aufwand in den Schutz der Tiere investieren.
Dass die Übergriffe auf Nutztierhaltungen tatsächlich zugenommen haben, belegen Zahlen des Landesumweltamtes (LfU) [lfu.brandenburg.de]. Laut Rissstatistik hat es allein im vergangenen Jahr in Brandenburg 358 sogenannte Schadensereignisse vermutlich durch Wölfe gegeben. Davon waren in 266 Fällen Schaf- und Ziegenhalter betroffen, bei denen 1.281 Schafen oder Ziegen getötet wurden. Zum Vergleich: 2015 wurden bei Übergriffen 483 Schafe und Ziege getötet.
Bei Wild oder Rindern gibt es hingegen im gleichen Zeitraum zum Teil deutliche Schwankungen. Zu den Zahlen von 2023 ließ das LfU allgemein verlauten: "Die anhaltenden Nutztierrisse erklären sich hauptsächlich durch noch immer nicht flächendeckend umgesetzte Herdenschutzmaßnahmen, insbesondere auch in den Gebieten, in denen es schon lange Wölfe gibt.“ So seien in zwei Drittel der Weidetier-Risse nur unzureichende und in 23 Prozent lediglich die Mindestschutzmaßnahmen umgesetzt worden.
Bei der Herde von Schäfermeister Kath seien die empfohlenen Herdenschutzmaßnamen getroffen gewesen. Geholfen hat es nichts. "Wenn es so weiter geht und wir keinen Weg finden, irgendwie mit den Wölfen zu leben, dann sehe ich schwarz", sagt Schäferin Julia Kath. Schäfermeister Jens Kath ergänzt: "Wir leben davon, haben die Schafhaltung auf einen rentablen Zweig geführt und dachten, wir sind für die Zukunft gut aufgestellt." Nun muss er erstmal auf das offizielle Gutachten warten, das ihm die Wolfsrisse bestätigt. So lange gibt es auch keine Entschädigungszahlungen.
Andere Schäfer in der Uckermark berichten, nach wiederholten Wolfsangriffen zunehmend die Motivation für ihren Beruf zu verlieren. Eine von ihnen ist Gunda Jung. Sie ist mit ihren rund 250 Pommernschafen auf Wanderschaft entlang der Oder und hat ebenfalls bei mehreren Übergriffen Tiere verloren - zuletzt im Februar.
Zumindest in dieser Saison gehe es aber weiter. So ist sie auf dem Weg zur sogenannten Landschaftspflege in den Nationalpark Unteres Odertal. Dafür hat die Schäferin noch einmal die Sicherheitsvorkehrungen ihrer mobilen Zäune verstärkt. Neben einer doppelten Zäunung und einer Höhe von 1,20 Meter - 90 Zentimeter sind die Mindestanforderung des Landes an den Wolfsschutz - wolle sie nun noch extra Stromkabel über den Zaun ziehen. Sollte aber auch das nicht helfen, denke sie ernsthaft darüber nach, ihren Hirtenstab an den Nagel zu hängen.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 11.03.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Riccardo Wittig und Tony Schönberg
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