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Audio: rbb24 Inforadio | 18.04.2024 | Lukas Kuite | Quelle: dpa/Oliver Berg

Personal-Lage in Pflegeheimen

"Wenige Fachkräfte auf viele pflegebedürftige Menschen - das ist eher die Regel"

In einem Pflegeheim müssen Polizei und Feuerwehr anrücken, weil keine Pflegefachkraft für den Nachtdienst erscheint. Der Fall verdeutlicht die oft prekären Arbeitsbedingungen. Doch der Bedarf nach guter Pflege steigt. Von Jonas Wintermantel

"Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf eine an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete, gesundheitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und Behandlung." So steht es im Artikel 4 der Pflege-Charta, einem Rechtekatalog für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland, der als Leitlinie für die Versorgung dienen soll.

Ein Vorfall, der sich vor Kurzem in Berlin-Lichtenberg ereignete, wirft jedoch wieder ein Schlaglicht auf die Zustände in der Pflege: Eine Pflegerin rief die Feuerwehr, weil sie die nächste Schicht nicht ausreichend kompetent besetzt sah. Ein Extremfall, der zeigt, wie weit die Realität oft entfernt ist von einer qualifizierten Pflege, die sich ein reiches Land wie Deutschland eigentlich auf die Fahnen geschrieben hat.

"Wir müssen leider konstatieren, dass wir in Deutschland derzeit keine vollständige, gute und bedarfsorientierte professionelle Pflege haben" sagt Heike Prestin, Geschäftsführerin des DBfK Nordost, dem Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe.

Ein so dramatischer Fall wie der in Lichtenberg, bei dem offenbar keine einzige Pflegefachkraft mehr für den Nachtdienst verfügbar war, das sei zwar eine Ausnahme. Aber: "Dass sehr wenige Pflegefachpersonen für sehr viele pflegebedürftige Menschen zuständig sind und deren Versorgung übernehmen und das mitunter auch weit über ihre Kräfte geht, das ist tatsächlich eher die Regel als die Ausnahme", so Prestin.

Umfrage verdeutlicht schlechte Betreuungslage

Der DBfK hat im vergangenen Jahr in einer bundesweiten Umfrage [dbfk.de] das Pflegepersonal nach der Situation im Nachtdienst in der Langzeitpflege gefragt. Die Umfrage ist nicht repräsentativ, 981 Pflegefachkräfte aus der Langzeitpflege haben teilgenommen – 54 davon aus Berlin und Brandenburg. Und doch reicht ein Blick auf die optionalen Antworten, die die Befragten im Freitext geben konnten, um einen Eindruck zur aktuellen Lage zu bekommen.

"Wenn es zwei Notfallsituationen gibt, kann man nur bei einer dabei sein" heißt es in einer Antwort, "allein in einer Pflegeeinrichtung und das nachts, wie kann Frau sich da sicher fühlen?", in einer anderen. "Kein Ersatzpersonal bei Ausfällen verfügbar, keine Ansprechperson im Hintergrund" drückt es eine Dritte aus.

Fast ein Fünftel der Befragten war demnach in ihrem letzten Nachtdienst für 80 oder mehr Bewohner:innen zuständig – fast alle (93 Prozent) gaben zusätzlich an, dass das der Normalfall sei. Unterstützung durch eine andere Pflegefachperson sei die Ausnahme. Über ein Drittel der Befragten gab an, in der Nachtschicht alleine für die Bewohner:innen zuständig zu sein. Etwa die Hälfte gab an, zumindest Unterstützung durch eine Hilfsperson, also eine nicht examinierte Pflegekraft, bekommen zu haben.

Seniorenheim in Berlin-Lichtenberg

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Gewerkschaft Verdi fordert verpflichtende Notfallpläne

Laut Mitteilung der Domicil-Unternehmensgruppe, die das Heim in Lichtenberg betreibt, waren hier für die Nacht eine Fachkraft und drei Hilfskräfte eingeteilt. Laut Domicil wären diese vier für 142 Bewohnerinnen und Bewohner aller Pflegestufen verantwortlich gewesen.

"Der Fall zeigt exemplarisch zwei Grundprobleme, die häufig auftreten", sagt Gisela Neunhöffer, stellvertretende Landesfachbereichsleiterin für Berlin und Brandenburg mit Zuständigkeit für die Altenpflege bei der Gewerkschaft Verdi. "Erstens: Die geplante Personalausstattung mit nur einer Pflegefachkraft im Dienst ist viel zu gering." Aus Sicht der Gewerkschaft müssten "immer mindestens zwei Pflegefachkräfte im Dienst sein". Wichtig sei dabei: "Es braucht eine verbindliche, bedarfsgerechte Vorschrift, wie viele Fach- und Hilfskräfte für wie viele Bewohner:innen pro Schicht da sein müssen, eine Personalbemessung."

Dieses System müsse aber auch abgesichert werden, sagt Neunhöffer. "Zweitens: Es braucht ein gut geplantes Ausfallmanagement, das heißt, es muss schon im Dienstplan geklärt sein, wer kommt, wenn jemand ausfällt. Dafür gibt es zum Beispiel Rufbereitschaften, Springerpools und andere Modelle."

Ähnlich sieht das Heike Prestin vom DBfK. Eine Pflegefachkraft für über 140 Menschen - das sei zu wenig. Auch aus pflegewissenschaftlicher Perspektive müssten immer mindestens zwei Fachkräfte vor Ort sein. "Und zwar, egal wie viele Menschen dort sind und egal welchen Pflegegrad sie haben", so Prestin.

Gerade in Berlin setze man verstärkt auf den Einsatz von Leiharbeiterinnen und Leiharbeitern. Das bringe zwar auch Vorteile - etwa mehr Felixibilität und verlässliche Arbeitszeiten für die Pflegenden. Doch es berge auch Risiken, wenn vor allem Externe für die Pflege eingeteilt werden: "Wenn mehr als die Hälfte der Belegschaft gar nicht aus der Einrichtung selber kommt, ist das auch ein Gesundheitsrisiko für die Bewohnerinnen und Bewohner dort. Weil die sich gar nicht so gut auskennen können wie diejenigen, die dort regulär arbeiten."

Pflegeberuf müsse aufgewertet werden

Die schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege führen schon lange zu Nachwuchsproblemen, wie Prestin weiß. Viele stiegen aus dem Beruf aus. Gleichzeitig fehle es an Auszubildenden und an Studierenden für die Pflegeberufe. "Und das führt natürlich zu einem Teufelskreis: Je mehr Menschen den Beruf verlassen, desto größer wird der Arbeitsaufwand für diejenigen, die noch im Beruf bleiben."

Ziel müsse es deshalb sein, den Pflegeberuf wieder aufzuwerten, sagt Prestin. "Es gibt eine politische Verantwortung, es gibt eine Management-Verantwortung und es gibt meiner Meinung nach auch eine gesellschaftliche Verantwortung, die Pflege und die Arbeit von Pflegenden wertzuschätzen und das nicht abfällig zu betrachten."

Eine Möglichkeit sieht Prestin auch darin, dem Pflegepersonal wieder mehr Kompetenzen zuzugestehen, um den Job wieder attraktiver zu machen. "Wir haben immer noch ein System - und das ist weltweit einzigartig -, das so arztdominiert ist, dass Pflegefachpersonen kaum fachliche Entscheidungen selber treffen dürfen. Da muss sich ganz dringend was ändern."

Oberhavel

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Zahl der Pflegebedürftigen wird steigen

Die Zeit drängt offensichtlich, denn in den nächsten Jahrzehnten werden es die geburtenstarken Jahrgänge der Baby-Boomer sein, die auf eine gute Pflege angewiesen sind.

Laut Berechnungen der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege wird sich die Zahl Pflegebedürftiger nach den Kriterien der gesetzlichen Pflegeversicherung in Berlin von 185.528 zum Jahresende 2021 voraussichtlich auf mindestens rund 205.000 im Jahr 2030 und mindestens rund 208.000 im Jahr 2040 vergrößern. Für den Zeitraum 2021 bis 2030 entspräche das einer relativen Zunahme von gut 10 Prozent.

In Brandenburg rechnet das zuständige Gesundheitsministerium mit einem Anstieg der pflegebedürftigen Personen mit Pflegegrad 2 bis 5 von etwa 17 Prozent. Waren es 2021 noch etwa 143.500, rechnet man hier für das Jahr 2030 mit über 168.000 Pflegebedürftigen.

In Berliner Pflegeeinrichtungen aller Einrichtungstypen waren Ende 2021 47.891 Personen beschäftigt - etwa 2.000 mehr als noch 2019. Etwa 40 Prozent davon haben eine Ausbildung zur Pflegefachkraft - zum Beispiel als staatlich anerkannte Altenpfleger:in oder als Gesundheits- und Krankenpfleger. Auch in Brandenburg ist die Zahl der Beschäftigten in der Pflege laut Gesundheitsministerium gestiegen: von 40.286 im Jahr 2019 auf 41.828 im Jahr 2021.

Sendung: rbb24 Inforadio, 18.04.2024, 09:10

Beitrag von Jonas Wintermantel

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