Betreiber Domicil in der Kritik
Nach den jüngsten Vorfällen in einem Berliner Pflegeheim werden erneut Vorwürfe gegen den Betreiber Domicil laut. Auch eine andere Einrichtung des Betreibers ist negativ aufgefallen. Von Christina Fee Möbus und Andrea Everwien
Als ihre Mutter vor einem knappen Jahr in ein Domicil-Seniorenpflegeheim in Lichterfelde-West zog, war Jessika Sahr-Plut zufrieden: Ein freundlicher, hellgelber Bau. Von außen sauber und gepflegt. Ein parkähnlicher Garten lud im Innenhof zum Verweilen ein.
Auch die Gespräche, die die Angehörige mit den Mitarbeitenden vor Ort im Vorfeld führte, seien "nett" gewesen. Nachdem ihre Mutter nach einem Krankenhausaufenthalt und einer Reha-Maßnahme gesundheitlich abbaute, habe Sahr-Plut "händeringend" nach einer Unterkunft gesucht. "Im Großen und Ganzen hat alles einen super Eindruck gemacht", sagt die 55-Jährige.
Doch der erste gute Eindruck hielt nicht lang. Jessica Sahr-Plut bekam zunehmend das Gefühl, dass ihre 76-jährige Mutter in der Einrichtung verwahrloste. Fettige Haare, schmutzige Fingernägel, strenger Körpergeruch seien ihr immer wieder aufgefallen. Teils habe sie sich für ihr Familienmitglied geschämt, sagt die Frau aus Berlin-Schöneberg. Auf die Scham folgte nach und nach die Sorge.
Jessika Sahr-Plut berichtet von schockierenden Zuständen. Von Medikamenten, die ihrer demenzkranken Mutter - über mehrere Tage hinweg und entgegen den ärztlichen Vorgaben - nicht verabreicht worden seien. Von verschimmeltem Brot beim Abendessen. Und von einem medizinischen Notfall, bei dem ihre Mutter offenbar über einen längeren Zeitraum vergeblich auf Hilfe wartete, während sie in ihrem eigenen Erbrochenen lag.
Jessika Sahr-Plut hat Angst um ihre Mutter. Sie plagt das schlechte Gewissen, dass sie als Berufstätige mit zwei Kindern ihre Mutter nicht selbst pflegen kann. "Ich habe keine andere Wahl, ich wüsste nicht, wie ich sie pflegen und versorgen sollte. Pflegeplätze sind rar. Ich hatte große Probleme, etwas zu finden." Schlecht und hilflos fühle sie sich.
Jessika Sahr-Plut sagt, sie habe immer wieder versucht, auf Mängel hinzuweisen. Sie sprach mit den Pflegekräften, Ärzten, der örtlichen Heimleitung. Es folgten Entschuldigungen. Zum Positiven verändert hat sich aus Jessika Sahr-Pluts Sicht bisher trotzdem noch nichts.
Ihre Schilderungen ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Der rbb hat hierzu aber die Domicil-Unternehmensgruppe gefragt. Sie konnte zwar zu den konkreten Vorwürfen kurzfristig keine Angaben machen, verwies aber auf das hauseigene Qualitätsmanagement und teilte schriftlich mit: "...[Wir möchten festhalten], dass die von Ihnen geschilderten angeblichen Vorkommnisse individuellen Fehlverhaltens betroffen machen und unseren Werten und unserem professionellen Anspruch im Umgang mit den uns anvertrauten Menschen widersprechen. (...). [Wir stellen aktuell fest], dass die ordnungsrechtliche Fachkraftquote im ersten Quartal 2024 durchgehend erfüllt war. Hierbei wurde zwar auch Zeitarbeit eingesetzt, deren Einsatz durch erfolgte Neueinstellungen jedoch aktuell rückläufig ist."
Domicil war zuletzt in die Schlagzeilen geraten: Polizei und Feuerwehr waren angerückt, weil in einer Einrichtung in Berlin-Lichtenberg das nötige Pflegepersonal für die Nacht fehlte. In derselben Nacht gab es in der Lichtenberger Einrichtung offenbar einen Todesfall. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung gegen Unbekannt. Eine Woche nach den Vorfällen tauschte Domicil die örtliche Heim- und Pflegedienstleitung aus.
In vollstationären Pflege-Einrichtungen muss nach der Wohnteilhabe-Personalverordnung zu jeder Tages- und Nachtzeit mindestens eine Pflegefachkraft anwesend sein. So schreibt es die Heimaufsicht beim Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales auf Anfrage des rbb. In dem Domicil-Heim Lichterfelde-West sei im Jahr 2023 diesbezüglich kein Verstoß gegen gesetzliche Anforderungen festgestellt worden, schreibt die Behörde.
Allerdings dokumentierte die Kontrollbehörde in den letzten Prüfberichten immer wieder vereinzelt Mängel: Beispielsweise steht in einem Prüfbericht von Oktober 2023: "Die Pflege und Betreuung war bei mehreren Bewohnenden nicht an den individuellen Bedarfen ausgerichtet." Daraufhin wurde laut Bericht die Einrichtungsleitung beraten, wie sie die Mängel beheben könne. Gleichzeitig gingen bei der Heimaufsicht mehrere Beschwerden über eben diese von Domicil betriebene Einrichtung ein. Die Behörde kontrollierte daher mehrmals vor Ort.
Die Domicil-Gruppe betreibt nach Angaben der Heimaufsicht insgesamt 16 Einrichtungen in der Stadt – zur Hälfte dieser Einrichtungen gab es ein erhöhtes Beschwerdeaufkommen bei der Heimaufsicht. Das aus verschiedenen Gründen, sie beinhalteten aber unter anderem Hinweise auf "Defizite in der pflegerischen Versorgung, bei der Wundversorgung und Medikamentengabe sowie Beschwerden über einen hohen Anteil an Leasingpersonal."
Es gebe grundsätzlich große Unterschiede zwischen den Pflegeeinrichtungen, sagt Mara Rick von der Berliner Beratungsstelle "Pflege in Not": "Es liegt auch viel an der Kultur in der Einrichtung, der Haltung der Führungskräfte." Wenn Mitarbeitende sähen, dass es für Fehlverhalten keine Sanktionen gebe, könne es passieren, dass beim nächsten Mal wieder so gehandelt werde.
Unterschiede hat auch Martina Meyer [Name von der Redaktion geändert] wahrgenommen. Sie hat ihre 81-jährige Mutter, die unter Demenz leidet und Pflegegrad vier hat, in einem Heim der Domicil-Gruppe in Berlin-Reinickendorf untergebracht, nachdem sie mit einer anderen Einrichtung schlechte Erfahrungen gemacht hatte. Jetzt ist sie sehr zufrieden: "Es gibt nicht so eine hohe Personalfluktuation, die Pflegerinnen und Pfleger wissen, was meine Mutter braucht. Das Team kennt sich und arbeitet teilweise seit Jahren zusammen. Ich glaube, das ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal." Pflege in Not rät daher, sich vorab sehr gut zu informieren und Beratungsstellen zu nutzen, sollte ein Angehöriger in eine stationäre Pflegeeinrichtung ziehen müssen.
Jessika Sahr-Plut, deren Mutter in der Domicil-Seniorenresidenz Lichterfelde-West lebt, denkt aktuell nicht über einen Heimwechsel für ihre Mutter nach. Sie hat zwei Kinder und ist berufstätig und entsprechend auf eine Betreuung angewiesen. Ein Dilemma, wie Sahr-Plut sagt. "Einerseits bin ich jemand, der eine Lösung herbeiführen möchte. Und andererseits habe ich in der Situation jedes Mal die Sorge, dass das meiner Mutter irgendwelche Nachteile bringt, weil ich was gesagt habe." Die Berlinerin hofft nun, dass sie durch weitere Gespräche mit der Hausleitung die Lebensverhältnisse ihrer Mutter verbessern kann.
Sendung: Inforadio, 29.04.2024, 06:30 Uhr
Beitrag von Christina Fee Möbus und Andrea Everwien
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