Interview | Sexuelle Gewalt im Internet
Im Brandenburger Landtag werden aktuell Arbeiten von Kindern gezeigt, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Darknet-Experte Daniel Moßbrucker sagt: "Es werden tendenziell mehr Täter." Wie kann man Kinder schützen - im Netz und in sozialen Medien?
rbb: Herr Moßbrucker, welche Entwicklungen gibt es derzeit bei Tätern, die im Internet und in sozialen Medien Kinder als Opfer suchen?
Daniel Moßbrucker: Entwicklung gibt es definitiv in der Pädokriminalität. Das Internet schafft auf Täterseite die Möglichkeiten, sich zu vernetzen und sich Kindern nicht nur im realen Leben zu nähern, sondern auch in der digitalen Welt. Corona war da noch mal ein richtiger Schub, weil alle im Homeoffice waren. Schulen wurden digitalisiert, Unterricht fand digital statt, sodass Kinder auch im sehr jungen Alter schon mit Videotelefonie in Berührung kamen. Die Täter haben das genutzt. Es sind wirklich große Massen an Material entstanden, wo Kinder in Chats gelockt wurden und dann per Webcam sich selbst gefilmt haben, wie sie sich zum Beispiel ausgezogen haben. Dies schneiden die Pädokriminellen dann auf ihrer Seite mit und veröffentlichen das dann zum Beispiel in Darknet-Foren.
Führt das Internet auch dazu, dass es heute mehr pädokriminelle Täter gibt als früher, weil die Barrieren niedriger sind?
Ich fürchte, dass niemand genau weiß, ob es mehr Täter sind als früher. Meine Prognose wäre: Tendenziell ja, denn es ist schon etwas anderes aus Täterperspektive, ob ich wirklich einen realen physischen Missbrauch eines Kindes vollziehe oder ob ich das "nur" digital mache. Damit möchte ich nicht verharmlosen, was es für die Betroffenen bedeuten kann. Aber natürlich erschließt das einen anderen Täterkreis: Vielleicht diejenigen, die im normalen Leben nie Zugang zu Kindern haben, weil sie nicht in dem Bereich arbeiten, weil sie keine Familie haben, keine freundschaftlichen Beziehungen zu Familien mit Kindern und so weiter. Die haben natürlich durch das Internet eine Möglichkeit gefunden, sich jetzt auch Kindern zu nähern. Deswegen wäre meine Prognose nach allem, was ich auch in den letzten Jahren so recherchiert habe: Es werden tendenziell mehr Täter. Es werden aber auch andere Täter. Aber auch beim realen physischen Missbrauch bleiben die Zahlen leider relativ konstant.
Welche Ziele verfolgen die Täter – und welche Strategien, um diese Ziele zu erreichen?
Es ist wirklich schwierig, Pädokriminelle da über einen Kamm zu scheren. Es gibt manche, die suchen "nur" harmlose Kinderfotos, wo Kinder irgendwie am Strand spielen und auf denen die Kinder vielleicht sogar angezogen sind. Andere dagegen wollen sehen, wie Kinder penetriert werden. Das sind wirklich ganz verschiedene Interessen. Und insofern ist potenziell durch das Internet jedes Kind betroffen. Das soll jetzt kein Alarmismus sein und keine Panikmache.
Ich glaube, das größte Risiko, betroffen zu werden, haben diejenigen, wo die Familien denken: Das wird uns nicht passieren, denn das ist genau das, worauf Täterinnen und Täter setzen. Dass das nahe Umfeld damit nicht rechnet, dass die eigenen Kinder sowas machen, dass sie vielleicht mit Fremden chatten, dass sie Grenzen, die die Eltern gesetzt haben, überschreiten. Und ich glaube, wer naiv ist und glaubt, uns passiert das nicht - das sind sicherlich die, die das größte Risiko haben. Umgekehrt gut geschützt sind diejenigen, wo die Kinder eine gute Medienbildung haben, die aufgeklärt werden, die vor allen Dingen ein gutes Verhältnis zu den Eltern haben. Die wissen: Egal, was ich tue, selbst wenn ich Mist baue, selbst wenn ich genau das gemacht habe, was Mama und Papa immer gesagt haben, was ich auf keinen Fall tun soll, nämlich zum Beispiel mit Fremdem im Internet chatten, dann darf ich das trotzdem meinen Eltern anvertrauen. Und die sind mir da nicht böse, sondern die helfen mir. Wenn es so ein Verhältnis gibt, dann ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass es zumindest nach Anbahnungsversuch im Internet dann noch zu weiteren Folgetaten kommt.
Das heißt: Harte Regeln zur Mediennutzung allein helfen kaum weiter?
Das sagen tatsächlich alle Fachleute, mit denen ich gesprochen habe: Wir können viel über Technik reden, über Regulierung - das ist alles wichtig. Aber wenn ich es nicht schaffe, eine Vertrauensbasis zu meinen Kindern herzustellen, wo diese eben wissen, selbst wenn was passiert, bekomme ich dort Hilfe und werde nicht schräg angeguckt und vielleicht sogar ausgeschimpft. Wenn mir das nicht gelingt, dann kann ich so viele Apps nutzen und Überwachung und irgendwelche Regeln aufstellen, dann ist das Risiko einfach sehr hoch. Man muss klar sagen: Dass Kinder irgendwann mit Anbahnungsversuchen von Pädokriminellen im Internet in Berührung kommen, ist heutzutage normal. Davon muss man ausgehen. Und dann muss das Kind eben wissen, wie es in einer Situation reagiert.
Wie lautet Ihre Botschaft an die Eltern?
Es ist wichtig, dass sich Eltern dafür interessieren: Was genau spielen meine Kinder da eigentlich? Es geht nicht nur darum zu sagen: "Heute hast du wieder 60 Minuten Xbox-Zeit" - und dann ist man froh, dass das Kind ruhig ist und in seinem Zimmer ist. Sondern sich tatsächlich auch mal dazuzusetzen, sich dafür zu interessieren, um auch ein Verständnis dafür zu entwickeln: Was ist das eigentlich für ein Spiel? Ist das eins, bei dem das Kind tatsächlich total allein ist, wo es gar keine Kontaktmöglichkeiten gibt? Oder wimmelt es dort nur so von Chats von irgendwelchen Nicknames und niemand weiß so genau, wer dahinter ist?
Welche Forderungen stellen Sie an die Politik – speziell auch in Brandenburg?
Das größte Problem, was wir politisch haben, ist, dass wir immer sehr schnell beim Strafrecht sind, das heißt bei repressiven Maßnahmen. Wir versuchen, die Strafen zu erhöhen, die Ermittlungsmethoden auszuweiten. Ich will das gar nicht in Abrede stellen. Es kann aber auf der anderen Seite nicht sein, dass es immer noch so ist im Jahr 2024, dass Kinder und Jugendliche in ihrer Schulzeit de facto kaum oder teilweise gar keine Medienbildung in diesem Bereich haben. Und es kann nicht sein, dass Vereine und Träger, die das anbieten, Jahr für Jahr Anträge schreiben müssen für die Finanzierung. Bildung ist nun mal Ländersache.
Bei der Medienbildung gibt es extrem viel Nachholbedarf, auch in Brandenburg. Dass dort einfach sichergestellt wird, dass Kinder darin geschult werden, wie man im Netz mit Pädokriminellen umgeht. Das gehört im Jahr 2024 einfach dazu. Ein Sozialarbeiter sagte mir: "Naja, wenn du in Brandenburg zur Schule gehst, dann ist es im Wesentlichen Glück, ob du Lehrkräfte hast, die sagen: 'Ich finde das Thema wichtig. Ich baue es im Unterricht ein - oder ich mache es nicht'."
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Daniel Moßbrucker führte Amelie Ernst für rbb24 Inforadio.
Sendung: rbb24 Inforadio, 17.04.2024, 15:30 Uhr
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