Interview | Berliner Psychiater
Männer, die vor dem 15. Lebensjahr mit dem Cannabiskonsum angefangen und regelmäßig gekifft haben, haben ein deutlich erhöhtes Risiko an einer Psychose oder Schizophrenie zu erkranken. Der Chefarzt der Psychiatrie im Vivantes Berlin erläutert die Gründe.
rbb: Herr Bechdolf, das Risiko, an Schizophrenie zu erkranken, ist insbesondere für sehr junge Männer erhöht, die Cannabis konsumieren. Warum bei Männern?
Andreas Bechdolf: Grundsätzlich steigt das Risiko, wenn man sehr frühzeitig mit dem Cannabiskonsum beginnt - also vor dem fünfzehnten Lebensjahr. Dann hat man ein bis zu sechsfach höheres Risiko eine Psychose oder schizophrene Erkrankung zu bekommen, als wenn man nicht konsumiert. Einige Studien zeigen, dass Männer nach dem Cannabiskonsum häufiger psychiatrische Symptome bekommen. Wahrscheinlich ist es damit zu erklären, dass Schizophrenie insgesamt bei Männern häufiger ist als bei Frauen. Also dass einfach eine höhere Vulnerabilität oder eine höhere Anfälligkeit bei Männern vorliegt für diese Art von Symptomen oder Erkrankungen.
Könnte das auch daran liegen, dass mehr Männer kiffen?
Grundsätzlich stimmt es, dass Männer mehr kiffen und wahrscheinlich auch früher beginnen als Frauen. Und auch, dass sie intensiver kiffen und mehr konsumieren. Das hat man in besagten Studien versucht, rauszurechnen.
Kann man medizinisch erklären, was Cannabiskonsum mit dem Gehirn macht?
Das Gehirn befindet sich noch bis etwa zum fünfundzwanzigsten Lebensjahr in der Entwicklung. Für das Wachsen des Gehirns ist das Cannabinoid-System sehr wichtig - also das körpereigene Cannabinoid-System. Es sorgt dafür, dass die Verschaltungen der Nervenzellen untereinander gut gelingt. Da geht es um die Vernetzungen, die wir alle brauchen, um uns etwas merken zu können oder auch sprechen zu können und um Dinge aufnehmen zu können. In diese natürliche Regulation greift der Cannabiskonsum von außen, das THC, ein. Dadurch kann man erklären, dass durch den Konsum von Cannabis Psychosen auftreten können.
Aber es kann auch zu vielen anderen psychischen Problemen kommen. Viele Menschen können sich schlechter konzentrieren, haben häufiger mit Angstsymptomen, mit Depressivität zu tun.
Da geht es aber nicht um Fälle, in denen einmal ein Joint geraucht wurde, sondern um regelmäßigen Konsum?
Das ist ein wichtiger Punkt. Denn besonders gefährdet sind Menschen, die regelmäßig konsumieren – also mehrfach in der Woche. Das sind etwa 20 Prozent der Cannabis-Benutzer. Das ist die gefährdete Gruppe, die sich häufiger auch nicht gut konzentrieren kann, die Ängste und Depression hat sich, die sich zurückzieht, Diese Gruppe hat das höhere Risiko, auf der längeren Strecke psychotische Symptome zu entwickeln.
Wenn man jetzt 50 Gramm Cannabis im Haushalt haben darf - ist das viel oder wenig?
Das ist eher schon eine ganze Menge. Damit kann man schon einige Joints bauen.
Was ist über das umgekehrte Risiko bekannt: Also welchen Anteil haben Psychosen daran, dass Menschen kiffen?
Man kann Patienten rückwärts fragen, wenn die erste Psychose aufgetreten ist: Etwa ein Drittel hat mit dem Cannabiskonsum vor dem Auftreten der ersten Symptome angefangen. Ein Drittel hat während des ersten Auftretens mit dem Konsum begonnen und ein Drittel nach dem ersten Auftreten von Frühsymptomen für Psychosen.
In der Regel geht der Cannabiskonsum dem ersten Auftreten von psychotischen Symptomen voraus oder tritt gleichzeitig ein. Dazu muss man wissen, dass Cannabis eine beruhigende Wirkung hat. Und häufig sind Frühsymptome bei Psychosen so, dass ich mich irgendwie unruhig und angespannter fühle. Da kann Cannabis zunächst eine beruhigende Wirkung haben, obwohl es auf der langen Strecke dann sehr schädlich ist.
Sind einmal entstandene Schäden im Gehirn von Jugendlichen irreversibel?
Das ist nicht ganz klar. Auf jeden Fall ist es immer gut, aufzuhören. Man weiß aus vielen Studien, dass die kognitiven Einschränkungen, die beim Cannabiskonsum bestehen - also dass man sich schlechter konzentrieren kann, sich Dinge schlechter merken kann - sich auf jeden Fall dramatisch bessern, wenn man aufhört zu konsumieren.
Es ist aber nicht ganz klar, ob eine kleine Rest-Symptomatik bleibt an Konzentrations- und Gedächtnisstörungen. Auf jeden Fall lohnt es sich immer - egal, wie lange ich gekifft habe - aufzuhören damit oder die Dosis zu reduzieren, weil das Hirn sich dann auf jeden Fall besser erholen kann, als wenn ich weiter konsumiere.
Wann tritt eine Psychose ein? Ist das Risiko für einen 16-Jährigen, der regelmäßig konsumiert, sofort da – oder kommt das erst in zehn Jahren?
Das Gemeine ist, dass es häufig mehrere Jahre braucht. Also zehn Jahre wäre jetzt sehr lang, aber so vier bis fünf Jahre kann das dauern. Das ist für die jungen Menschen häufig schwierig zu verstehen. Dass vier oder fünf Jahre lang der Cannabiskonsum angenehm war und sie entspannt hat. Und sie dann eben diese gravierenden unangenehmen Folgen haben. Dass sie Stimmen hören oder sich verfolgt fühlen. Es gibt eine relativ lange Latenz - in der Regel von einigen Jahren - in denen man regelmäßig konsumieren muss, damit das Psychose-Risiko stark ansteigt.
Ist das Abhängigkeitsrisiko bei Cannabis ähnlich wie bei Nikotin?
Bei Nikotin sagt man, dass etwa die Hälfte der Menschen abhängig werden. Bei Cannabis geht man von 15 bis 20 Prozent aus, die ein abhängiges oder eben sehr hohes Konsummuster zeigen. Das Abhängigkeitspotenzial ist letztlich also geringer.
Wie sehen Sie das neue Cannabis-Gesetz?
Zum neuen Cannabis-Gesetz muss man sagen, dass der Cannabiskonsum auch mit der Illegalisierung hoch war. Etwa 40 bis 50 Prozent der jungen Menschen haben im letzten Jahr Cannabis probiert. Das Verbot hat die hohe Konsummenge nicht verhindern können. Trotzdem ist eine Sorge, dass - wenn Cannabis leichter zugänglich ist und es normalisierter wird - vielleicht noch mehr Menschen konsumieren. Und dass auch mehr Menschen besonders viel konsumieren, sodass insgesamt das Risiko bezüglich der negativen Folgen ansteigt.
Wie erleben Sie persönlich die jungen Menschen, die mit solchen Psychosen zu Ihnen in die Klinik kommen?
Die Menschen kommen zu uns in die Klinik, wenn sie sehr stark verängstigt sind. Weil sie jemanden hören, der ihnen häufig negative Dinge sagt. Das Gemeine beim Stimmenhören bei Menschen mit Psychosen ist, dass die Stimmen oft Dinge ansprechen, die sie selbst nicht an sich mögen oder bei denen sie das Gefühl haben, ein Defizit zu haben. Davon fühlen die Menschen sich dann sehr gequält. Oder sie werden bedroht von den Stimmen. Da heißt es dann, wenn sie dies und das machen, passiert ihnen etwas Schlimmes. Oder die Stimmen sagen, sie seien schlechte Menschen und sollten sich am besten umbringen. Das sind die Punkte, die Menschen dann in Behandlung bringen.
Ein anderer Aspekt ist es, sich verfolgt zu fühlen. Das fühlen sich die Betroffenen dann unsicher. Insbesondere unter vielen Menschen, also in der U-Bahn oder der Straßenbahn. Sie haben Sorge, dass die anderen ietwas gegen sie haben, ihnen vielleicht etwas antun wollen. Sodass sie sich nicht mehr sicher auf der Straße fühlen. Auch an solchen Punkten kommen Menschen zu uns.
Aber da gibt es auch eine gute Nachricht: Wenn es gelingt, in Behandlung zu kommen und den Cannabiskonsum zu reduzieren, gelingt es bei einer ersten Episode, bei der Stimmen gehört werden oder die Menschen sich verfolgt fühlen, in über 80 Prozent der Fälle, diese Symptome vollständig zurückzudrängen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sybille Seitz, rbb GESUND +
- Im öffentlichen Raum ist der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum für Erwachsene künftig legal
- In der privaten Wohnung können bis zu 50 Gramm aufbewahrt werden, für Heranwachsende (18-21 Jahre) gilt eine Obergrenze von 30 Gramm
- Der private Anbau von bis zu drei Cannabis-Pflanzen zum Eigenkonsum ist für Erwachsene mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in Deutschland erlaubt; die Anzahl von drei Pflanzen gilt je volljähriger Person eines Haushalts
- Cannabis aus privatem Eigenanbau darf nicht an Dritte weitergegeben werden. Der Handel mit Cannabis bleibt kategorisch verboten
- Bars, Clubs und Kneipen dürfen den Umgang mit Cannabis-Konsum in ihren Räumen selber regeln. In öffentlichen Sportstätten wie beispielsweise Freibädern ist der Konsum verboten (siehe auch Jugendschutz).
- Der gemeinschaftliche, nicht-gewerbliche Eigenanbau zum Eigenkonsum in Anbauvereinigungen (sog. "Cannabis Social Clubs") mit maximal 500 Mitgliedern ist ab 1. Juli 2024 erlaubt; die Mitglieder müssen volljährig sein und ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben
- Für Anbau und Weitergabe von Cannabis an die Mitglieder zum Eigenkonsum wird eine behördliche Erlaubnis benötigt
- Die Weitergabe von Cannabis darf nur in Reinform erfolgen und soll für Mitglieder auf 25 Gramm pro Tag und 50 Gramm pro Monat beschränkt werden; die Abgabe an Heranwachsende zw. 18 und 21 Jahren wird auf 30 Gramm pro Monat begrenzt, der THC-Gehalt darf hier maximal 10 Prozent betragen
- Der Konsum in Vereinsräumen ist verboten
- Es dürfen maximal sieben Cannabissamen oder fünf Stecklinge pro Monat für den Eigenanbau an ein Mitglied abgegeben werden
- Die gleichzeitige Mitgliedschaft in mehreren Vereinigungen ist verboten
- Die Zahl der Vereinigungen kann durch die Landesregierungen auf eine je 6.000 Einwohner pro Kreis oder kreisfreier Stadt begrenzt werden
- Offizielle Verkaufsstellen wie die in den Niederlanden geduldeten, aber formal illegalen "Coffeeshops" wird es nicht geben, sie sind mit EU-Recht nicht vereinbar
- Erwerb, Besitz und Konsum von Cannabis bleibt für Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren verboten
- Privat angebautes Cannabis muss vor dem Zugriff durch Kinder und Jugendliche sowie Dritte geschützt werden
- Werbung und Sponsoring für den Cannabiskonsum sowie für Anbauvereinigungen sind verboten
- Der Konsum von Cannabis ist in Fußgängerzonen zwischen 7 und 20 Uhr verboten, sowie in und in Sichtweite vom Eingangsbereich von Anbauvereinigungen, Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen, Kinderspielplätzen sowie in öffentlich zugänglichen Sportstätten wie Schwimmbädern
- Für die Definition von Sichtweite gilt ein Abstand von 100 Metern, darüberhinaus ist der Konsum sicher gestattet
- Die Prävention soll gestärkt werden, u.a. durch Präventionsmaßnahmen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sowie in den Anbauvereinigungen
- Eine im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums eingesetzte Expertenkommission schlägt einen Grenzwert von 3,5 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum hinterm Steuer vor. Dieser sei in etwa vergleichbar mit einem Blutalkoholwert von 0,2 Promille
- Mischkonsum von Alkohol und Cannabis soll für Verkehrsteilnehmer grundsätzlich verboten sein: wer also gekifft hat, für den gelten 0,0 Promille
- Diese Regelung muss erst noch im Gesetz festgeschrieben werden
- Begangene Cannabis-Delikte, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes strafbar waren, aber seit dem 1. April erlaubt sind, müssen von der Justiz überprüft werden. Sind diese Delikte es nach neuer Regelung nicht mehr, gilt in den meisten Fällen eine Amnestieregelung. Die Justiz muss diese Urteile dann so behandeln, als sei das Cannabis-Delikt nicht begangen worden
- Der Besitz größerer Mengen Cannabis als 50 Gramm zuhause oder 25 Gramm in der Öffentlichkeit sowie der Handel mit Cannabis sind von dieser Amnestieregelung nicht betroffen - und bleibt strafbar
Sendung: rbb24 Inforadio, 28.03.2024, 13:05 Uhr
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