Pflegeheim-Leiter zur Corona-Aufarbeitung
Politiker und Wissenschaftler diskutieren gerade, ob und wie die Corona-Pandemie aufgearbeitet werden sollte. Welche Maßnahmen waren richtig, welche falsch? Fragt dazu bitte auch die Praktiker, fordert der Berliner Pflegeheim-Leiter Matthias Küßner.
Matthias Küßner: Am Anfang wusste jeder alles und jeder wusste es vor allen Dingen besser. Niemand hat gefragt, wie die Situation bei uns wirklich ist. Was passiert mit den Mitarbeitern und den Bewohnern? Wie reagieren Angehörige?
Dann kam eine Zeit, in der uns die Bundeswehr wirklich unterstützt hat. Bis irgendwann jemand gesagt hat, das ist uns zu teuer. Also mussten wir alles selbst machen, zum Beispiel die täglichen Corona-Tests. Die HNO-Ärztin aus der Bölschestraße hat uns Gott sei Dank gezeigt, wie das geht.
Der Informationsfluss hat mich am meisten irritiert. Die Anpassung der Pläne, was erlaubt oder nicht möglich war, kam prinzipiell Freitagabend zwischen 20 und 21 Uhr, gültig "ab sofort". Ich weiß nicht, ob der Senat dachte, dass ich dann wieder hierherfahre und in der Nacht alles umsetze. Wenn wir gerade bei Lockerungen - auf die alle gewartet haben - die Infos am Donnerstagabend bekommen hätten, hätten wir das wenigstens fürs Wochenende noch umsetzen können.
Es hat uns auch bis zum letzten Tag niemand gefragt, wie es uns wirklich geht. Wie wir mit der Pandemie umgehen, auch mit der Aggressivität von Angehörigen. Wir haben sehr viel Frustrationen gehabt. Hier ist nie jemand gewesen, der gesagt hätte: lasst uns mal zusammensetzen und evaluieren.
Nein, weder zu mir, noch zu Kollegen. Das ist mir nicht bekannt. Auch nicht schriftlich. Man könnte ja einfach Formulare schicken und auswerten. Es ist wirklich niemand gekommen, auch nicht vom Gesundheitsamt. Gar nichts. Null.
Im Prinzip sind wir von Anfang an gut durchgekommen. Ich war gerade im Urlaub in Asien gewesen, als die Pandemie losging. Im Flugzeug von Hongkong mussten wir alle die Maske aufsetzen. Da wusste ich schon so ein bisschen, was auf uns zukommt.
Wir waren dann relativ schnell mit dem Testen und den Impfungen dabei. Die ersten Corona-Fälle hatten wir erst spät, als die Maßnahmen gelockert wurden. Wir haben Gott sei dank weder bei Mitarbeitern noch bei Bewohnern einen Toten zu beklagen.
Ich würde es auf jeden Fall wieder so machen.
Wir haben das so entschieden: wir haben die Angehörigen getestet, und dann durften sie beim Sterbensprozess dabei sein. Ich weiß: Regelverstoß. Aber das habe ich gerne auf meine Kappe genommen. Sterben ist ein Moment, da muss die Familie, müssen Freunde einfach da sein. Und das hat auch gut funktioniert.
Der Kontakt miteinander. Im großen Wohnzimmer, beim Essen, und bei den gemeinsamen Veranstaltungen. Das hat gefehlt. Auch den Mitarbeitern. Dieser Smalltalk, was hast du gestern Abend gemacht? Das war komplett weg. Das hat die Stimmung bei allen gedrückt.
Ja, aber das hat lange gedauert. Wir müssen jetzt wieder aktiv auf die Leute zugehen und sie zu Veranstaltungen holen. Der Rhythmus war weg. Und für Bewohner, die in der Corona-Zeit hier aufgenommen wurden, war das sowieso alles neu. Und selbst Angehörige mussten sich wieder daran gewöhnen, dass sie wieder kommen durften.
Experten, Professoren, Ethiker wollen aufarbeiten. Aber wo sind die Leute aus der Praxis? Ich sage: Geht mal ins Heim, geht mal in die Krankenhäuser und fragt die Betroffenen. Wie ist es gewesen für die Bewohner, die Angehörigen und die Mitarbeiter? Was hätten Sie nötig gehabt? Das sollte man alles mal auflisten, um daraus einen Plan zu entwickeln.
Das Interview führten Christina Rubarth und Sylvia Tiegs
Sendung: rbb24 Abendschau, 15.04.2024, 19:30 Uhr
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