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Serie: "Bau fällig" | Ehemaliges Kino L'Aiglon
Vor einem Jahr erwarb die Stadt Berlin ein Kino. Im Wedding, zwischen Kasernengebäuden und dem ehemaligen Flughafen Tegel. Seit Jahrzehnten steht es leer, aber bald soll das L'Aiglon zum Leben erweckt werden. Von Simon Wenzel
Die alten Filmprojektoren stehen noch bereit, auf die leicht vergilbte Leinwand gerichtet. Zwei riesige Klötze Kinogeschichte. Daneben ein großer alter Diaprojektor. Im Vorführraum des leerstehenden Kinos L’Aiglon in Berlin-Wedding sieht es aus, als wäre gestern Abend erst die letzte Schicht gewesen. Auf einem kleinen Schrank liegen leere Filmrollen, eine alte Osram-Glühbirne und ein Kalender des Jahres 1988 mit krakeligen Notizen.
In einem anderen Schrank sind versteckt eine Handvoll Zigarettenstummel abgelegt. Dabei steht auf dem großen roten Papier-Schild, direkt neben den Projektoren: "Défense de Fumer - Rauchen verboten". Worte, die zu Zeiten der letzten Aufführungen im L’Aiglon wohl noch ein geringeres Abschreckungspotenzial hatten als heutzutage.
Seit 1994 steht das Kino komplett still, die Zeit hier drinnen noch etwas länger. Dennoch sieht vieles im Saal so aus, als könnten mit wenigen Handgriffen die Filmrollen surren, das Stimmengewirr sich zu andächtiger Stille verwandeln und bewegte Bilder über die Leinwand flackern. Der Vorhang ist geöffnet und gibt den Blick auf die Leinwand frei. Deren Stoff ist zwar leicht vergilbt, aber akkurat gespannt und die Stuhlreihen mit ihren bunten Lederbezügen haben die Zeit erstaunlich gut überstanden. Zur Sicherheit stehen sogar noch ein paar Ersatz-Sitze an der Wand.
Es gibt nur diesen einen Saal und vielleicht ist er deshalb so edel gestaltet. Mit holzvertäfelten Wänden und einem Zuschauerbalkon. Etwa 350 Menschen finden in ihm Platz. Nicht nur Filme gab es hier früher zu sehen. Vor der Leinwand ist auch noch eine große Bühne. Im L'Aiglon fanden jahrelang Theater- und Musikaufführungen statt.
Das Gebäude wurde Mitte der 1950er Jahren errichtet, als Teil eines Kulturhauses für die französischen Streitkräfte in Berlin. Die hatten damals gerade direkt nebenan ihr "Quartier Napoléon" bezogen, die heutige Julius-Leber-Kaserne, am Kurt-Schumacher-Damm im Wedding. Die französische Militärregierung wollte Freizeitmöglichkeiten für ihre stationierten Soldaten bieten. Sie beauftragte den Berliner Architekten Hans-Wolff Grohmann mit einer Baugruppe, zu der neben dem Kino noch ein niedriger Querbau mit Restaurant und einem weniger eleganten Hotel gehörte, 1956 war alles fertig.
In seinen besten Jahren war das L'Aiglon weit mehr als ein Kino. Es war der kulturelle Treffpunkt einer belebten Gegend. Partys und Konzerte fanden hier statt. Die Kaserne, die heutzutage nur noch teilweise von der Bundeswehr genutzt wird, war damals voll belegt. Neben den Tausenden französischen Soldaten war sie auch der Arbeitsplatz vieler Berlinerinnen und Berliner, die dort als Zivilangestellte tätig waren. Die Franzosen verschlossen ihr Quartier nicht streng vor der Stadtbevölkerung, in der Kaserne gab es immer wieder Feste, zu denen die Berliner Bevölkerung eingeladen wurde, Austausch war gewünscht.
Schräg gegenüber der Kaserne und des L'Aiglon lag eine Wohnsiedlung, in der es einen großen französischen Lebensmittel-Markt und kleinere Fachgeschäfte gab - ein Anziehungspunkt für alle, die dort einkaufen durften. Und das deutsch-französische Volksfest war damals noch nicht am zentralen Festplatz, sondern in der Nähe der Kaserne.
Das Kino war an normalen Abenden zugänglich für alle. An einigen Tagen gab es geschlossene Veranstaltungen, die den Soldaten oder Zivilangestellten vorbehalten waren. Hier wurden zum Beispiel traditionell Weihnachtsfeiern für Kinder der Berliner Zivilangestellten veranstaltet - mit Show-Programm, Essen und Geschenken. Sogar kleine Elefanten wurden in die Vorführungen auf der Bühne eingebunden. Eine andere Zeit eben.
Heute blättert im L'Aiglon der Putz von den Decken. Über vielem liegt eine dicke Staubschicht. Obwohl das Gebäude seit dem Abzug der französischen Truppen aus Berlin ungenutzt ist, lässt sich an sonnigen Tagen noch gut erahnen, wie schick das lichtdurchflutete Foyer einmal war. Das Gebäude ist zur Straßenseite fast komplett verglast, in der Mitte des Raums steht ein zwei Meter langer, eleganter Empfangstresen, dahinter ist eine Garderobe, eine geschwungene Treppe führt zu den Balkonrängen des Zuschauerraums.
Nachdem die Franzosen Berlin 1994 verlassen hatten, ging die Immobilie in den Besitz der Bundeswehr über, 2007 wurde sie dann von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) verwaltet. Die ganze Zeit über blieb der einst so belebte Ort ungenutzt. Ein Sprecher der Bima teilt auf rbb|24-Anfrage mit, der Bund habe das ehemalige Kino stets verkaufen wollen, die notwendige Sanierung für eine Zwischennutzung sei deshalb "wirtschaftlich nicht darstellbar" gewesen.
Erst im April 2023 fand sich ein Käufer. Das Land Berlin erwarb das ehemalige Kino vom Bund, für einen "niedrigen einstelligen Millionenbetrag", wie Marlen Koenecke, die Pressesprecherin der Berliner Immobilien Management (Bim - nicht zu verwechseln mit der Bima), sagt.
Die Stadt Berlin hofft nun, das Kulturhaus mit neuem Leben füllen zu können. "Wenn man hier herein tritt, kann man sich natürlich vorstellen, dass im L‘Aiglon wieder ein Theater oder ähnliches seinen Platz findet", sagt Bim-Sprecherin Koenecke. Derzeit arbeite die Bim an einem Konzept, um das ehemalige Kino mit einem privaten Investor zu entwickeln. Mit diesem Modell soll das Kino schnellstmöglich belebt und der Haushalt der Stadt gleichzeitig entlastet werden. Die genaue Ausgestaltung der Zusammenarbeit, ist noch nicht klar, auch für einen Zeitplan sei es noch zu früh, sagt Koenecke.
Erworben wurde das Gebäude in der Erwartung, dass sich das umliegende Gebiet in einer Wachstumsphase befindet. Gegenüber liegt der östliche Rand des Flugfeldes des ehemaligen Flughafen Tegel, dort soll in den nächsten Jahren das Schumacher-Quartier entstehen, eine Sieglung mit über 5.000 Wohnungen. "Wir sehen, dass sich der Kiez hier entwickelt und es Bedarfe für kulturelle Nutzunge geben wird. Deshalb favorisieren wir auch ein kulturelles Konzept, was hier am Ende des Tages einziehen wird", sagt Marlen Koenecke.
Der gesuchte Investor wird allerdings Geld und Geduld mitbringen müssen, denn im L’Aiglon kommt nicht nur der Putz von den Decken. Die Sanitären Anlagen müssen saniert werden, vielleicht auch andere Teile des Gebäudes. Vom Vorbesitzer, der Bima jedenfalls heißt es, dass "erhebliche Investitionen in sämtliche haustechnische Anlagen" notwendig gewesen wären.
Vor allem aber steht das ehemalige Kino unter Denkmalschutz. Unter den fallen nicht nur die architektonischen Merkmale, wie die Glasfassade und das Foyer, sondern auch weite Teile der Inneneinrichtung im Kino. "Es ist davon auszugehen, dass beispielsweise die Holzpaneele an den Wänden des Saals, die Sitzplätze und Teile des Bühnenbereichs erhalten bleiben müssen", sagt Koenecke.
Teile der Technik, wie die Projektoren, dürften ebenfalls geschützt sein. Das meiste davon stammt noch aus den 1950er Jahren. "Es hat alles seine Gebrauchsspuren, aber sollte eigentlich, rein technisch, noch benutzbar sein", so Koenecke. Allerdings ist die Technik auch von der Gegenwart überholt worden. Dass hier noch mal dauerhaft Filme gezeigt werden, ist deshalb fraglich, zumal ein Kino mit gerade mal einem Saal heutzutage wohl kaum rentabel sein dürfte.
Wahrscheinlicher ist daher, dass die Bühne im L'Aiglon künftig eine größere Rolle spielen wird. Theater- oder Musikaufführungen könnten hier dargeboten werden, vielleicht dient der Saal aber auch künftig als besonders schöner Probenraum - vieles ist denkbar.
Und wenn schon das Kino nicht mehr zurück ins L’Aiglon kommt, so könnte doch zumindest das L’Aiglon nochmal ins Kino kommen: Die Bim arbeitet parallel zur Investorensuche an einer Zwischennutzung des Gebäudes. Der schöne Saal, die elegante Wendeltreppe und die Projektoren-Dinosaurier sollen schon bald als Kulisse für Filmaufnahmen oder Fotoshootings genutzt werden. Gegen Miete und auf Termin würden dann endlich wieder die Türen im L'Aiglon öffnen. Der Vorhang ist noch geöffnet.
Sie kommen auch oft an einem besonderen, leerstehenden Gebäude vorbei und fragen sich, was es damit eigentlich auf sich hat? Schreiben Sie uns Ihre Vorschläge an internet@rbb-online.de mit dem Betreff "Bau fällig", wir freuen uns über Ihre Anregungen!
Sendung: rbb24, 28.04.2024, 16:00 Uhr
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