Europäischer Protesttag
Anlässlich des Europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung finden am Sonntag zahlreiche Aktionen in Berlin und Brandenburg statt. Sie sollen auf Defizite beim Thema Barrierefreiheit und Inklusion hinweisen. Von Felicitas Montag
Seit mehr als drei Jahrzehnten findet am 5. Mai der "Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung" statt. In diesem Jahr steht der Protesttag unter dem Motto: "Viel vor für Inklusion! Selbstbestimmt leben – ohne Barrieren." Auch in Berlin und Brandenburg sind am Sonntag verschiedene Aktionen geplant.
In Berlin hatet ein breites Aktionsbündnis für die Mittagszeit zu einer Demonstration am Bebelplatz aufgerufen. Der Protestzug verlief zunächst entlang der Straße Unter den Linden in Richtung Brandenburger Tor. Die Abschlusskundgebung, die von zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen begleitet wurde, war gegen 13 Uhr vor dem Roten Rathaus geplant.
Ein Zeichen für Inklusion und Vielfalt wurde am Sonntag auch in Potsdam gesetzt. Von 12 bis 14 Uhr fand eine Kundgebung unter dem Titel "Gemeinsam unschlagbar! Hand in Hand für die Inklusion!" auf dem Alten Markt statt. "Mit der Veranstaltung wollen wir auch zeigen, wie wichtig und bereichernd Vielfalt und Inklusion für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie sind", sagte Mitorganisator Heinrich Stephan von der Lebenshilfe Brandenburg-Potsdam.
Im Paul-Wunderlich-Haus in Eberswalde startete am Mittag die Aktion "Wir reißen Mauern ein!". Aus Pappkarton wurden "Mauersteine" gebastelt, die anschließend als Barrieren aufgebaut und zum Schluss wieder eingerissen wurden. Die Veranstaltung wurde von einem Fotografen begleitet, aus dessen Bildern später eine Wanderausstellung entstehen soll. Die geplante Ausstellung soll auf die Belange von Menschen mit Behinderung aufmerksam machen.
Im Atelier der Galerie Bernau wird ab Sonntag die Wanderaustellung "KreisMeister selbstgemacht" ausgestellt. Sie präsentiert Geschichten und Erfahrungsberichte von Akteuren der Selbsthilfe. Offiziell eröffnet wird die Ausstellung am Montag.
In Frankfurt (Oder) hat der Behindertenbeirat der Stadt bereits am Freitag eine Protestaktion veranstaltet. Im Fokus der Demonstration stand die Nahverkehrsplanung. Eigentlich sollte der ÖPNV in ganz Deutschland schon seit 2022 barrierefrei sein. Das hat die Bundesregierung mit dem Personenbeförderungsgesetz festgesetzt. Doch was auf dem Papier als Ziel angestrebt wird, ist in der Praxis noch ein weiter Weg. Das bekommen vor allem Menschen mit einer körperlichen Behinderung jeden Tag zu spüren - auch in Frankfurt.
Zwei Drittel der Bus-und Straßenbahnhaltestellen in der Oderstadt sind barrierefrei, aber etwa ein Drittel und damit um die 100 Haltestellen sind es noch nicht, kritisierte Bernd Schwarz, Vorsitzender des Behindertenbeirats Frankfurt (Oder), am Freitag. So sei auch am größten Einkaufszentrum der Stadt, wo es zwar 2.500 Parkplätze gebe, keine Bushaltestelle barrierefrei: "Hier sind seit über 30 Jahren fünf Haltestellen installiert worden, mehr oder weniger provisorisch. Unser Vorschlag war, ein oder zwei Haltestellen in beide Richtungen auszubauen, sodass man ganz bequem einkaufen gehen kann und die Rollstuhlfahrer nicht 19,95 Euro für eine Fahrt mit dem Behindertendienst ausgeben müssen", so Schwarz gegenüber dem rbb.
Barrierefreiheit bedeutet für ihn, alle Menschen mitzunehmen. Denn ein Sehbehinderter wie er habe andere Anforderungen an barrierefreie Haltestellen als ein Rollstuhlfahrer. Er selbst brauche zum Beispiel Bodenstrukturen, an denen er sich mit dem Stock orientieren kann.
Nicht nur beim Thema Barrierefreiheit hat Deutschland Nachholbedarf. Das zeigen Analysen der Vereinten Nationen zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) [bmas.de]. Die UN-BKV ist der erste internationale Vertrag, der die allgemeinen Menschenrechte aus der Perspektive von Menschen mit Behinderungen betrachtet. Sie wurde im Jahr 2009 von Deutschland ratizifiziert und trat im gleichen Jahr in Kraft.
Die zweite Prüfung der UN zeige laut der brandenburgischen Landesbehindertenbeauftragten Janny Armbruster, dass Deutschland immer noch nicht genug tue, um seinen Verpflichtungen nachzukommen: "Die Staatenprüfung hat ergeben, dass es in den Bereichen Barrierefreiheit, inklusive Bildung und Arbeit, erheblichen Nachholbedarf gibt." Auch die Chancen zur Teilhabe von Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen seien noch nicht gut, so Armbruster. Sie nimmt am Sonntag an der Protestaktion in Potsdam teil.
1992 wurde der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung von der "Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland" ins Leben gerufen. Zu Beginn ging es darum, eine gesetzliche Grundlage für die Gleichstellung behinderter Menschen zu schaffen. Heute geht es vor allem darum, Diskriminierung und fehlende Inklusion in der Gesellschaft sichtbar zu machen.
In Berlin leben etwa 630.000 Menschen mit Behinderungen, davon 410.000 Schwerbehinderte. In Brandenburg haben rund 500.000 Menschen eine festgestellte Behinderung, das sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Davon sind etwa 409.000 schwerbehindert.
Sendung: Antenne Brandenburg, 03.05.2024, 16:40 Uhr
Mit Material von Robert Schwaß
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