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Quelle: rbb24/Naomi Donath

Jugendstrafanstalt Plötzensee

"Ich will hier nie wieder rein"

Mehrere Hundert Jugendliche sitzen in Berlin derzeit ihre Haftstrafe ab. Dort gehen sie in die Schule, machen ihre Ausbildung und sitzen in ihren Zellen. Wie lange, hängt auch davon ab, wie gut das Team gerade besetzt ist. Ein Besuch. Von Anna Bordel

Ein Mann, der zu groß scheint für diesen Hof, in dem er noch nicht mal alleine ist. Auf dem sich noch etwa 20 oder 30 weitere Inhaftierte befinden. Oder ein Hof, der zu klein ist für diesen Mann, der mit schnellen Schritten von der einen Wand zur anderen geht und wieder zurück. Dafür braucht er vielleicht zehn, 15 Schritte.

Er wirkt dabei wie eine dieser Raubkatzen im Gehege, die immer die gleichen Wege ablaufen. Vielleicht fühlt er sich auch so. Vielleicht weiß er aber auch einfach, was ihm hilft, die Situation im Jugendgefängnis durchzustehen. "Er macht sehr gern Sport", sagt der Justizvollzugsbeamte Ersen Baskin mit Blick auf den Mann, "Bewegung tut ihm gut".

Justizvollzugsbeamte Ersen Baskin | Quelle: rbb24/Naomi Donath

Inhaftierte leben in Einzelzellen

Der Raubkatzenmann ist einer von etwa 300 Jugendlichen, die derzeit in der Berliner Jugendstrafanstalt Plötzensee in Charlottenburg-Nord ihre Haftstrafe absitzen. Platz wäre dort für knapp 400. Die Anstalt sei meist zu 75 bis 80 Prozent belegt, heißt es von der Justizverwaltung. Die Jungs und Männer, die hier einsitzen sind zwischen 14 und Ende 20 und haben meist schwere Straftaten oder zum wiederholten Mal Straftaten begangen, wie Körperverletzung, Betrug oder Diebstahl.

Im Gefängnis leben sie in mehreren Wohnhäusern in Einzelzellen - oder Hafträumen, wie es hier heißt. Die Räume sehen nicht viel anders aus als Zimmer in einem Studentenwohnheim, nur dass sie ordentlicher sein müssen. Baskin und seine Kollegen kontrollieren die Zimmer regelmäßig, aber unangemeldet, sodass sich die Inhaftierten nicht vorbereiten können.

Handys oder Drogen werden über Außenmauern geworfen

Baskin geht in eine der Zellen, schaut sich erst einmal um. Der Inhaftierte ist gerade nicht da. Das Zimmer ist top aufgeräumt, die Bettdecke auf Kante gefaltet, die Badelatschen stehen in Reih und Glied mit den anderen Schuhen, nichts liegt herum.

Baskin scannt das Bett, die Regale, blickt in den Kühlschrank. Hinschauen ist hier das Wichtigste. "Nirgends hinfassen, wo du nicht vorher nachgeschaut hast - aus Sicherheitsgründen", sagt er. Dann prüft er das Gitter am Fenster, ob da auch nichts manipuliert wurde. Alles fest.

Verbotenes findet er dieses Mal auch nicht. Handys oder Drogen finden er und seine Kollegen aber schon regelmäßig, wie er erzählt. Die würden als sogenannte Überwürfe über die Gefängnisaußenmauer geschmissen und so die Inhaftierten erreichen.

"Problematisch ist, wenn sie damit untereinander anfangen Geschäfte zu machen", erzählt Baskin. Geschäftemachen unteinander ist verboten, denn daraus kann Ärger entstehen.

Nicht nur mit Drogen, auch mit Tabak komme das häufiger vor. Viele der Inhaftierten sind starke Raucher. Wenn einer Tabak hortet und dem anderen ein Päckchen gibt, dafür aber zwei zurück will, derjenige das aber nicht leisten kann, endet so ein Deal schon mal in einer Eskalation, auch in Schlägereien, so Baskin.

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Inhaftierte müssen sparen für die Zeit danach

Die Inhaftierten leben im Gefängnis in einem Stufensystem. Wer nicht eskaliert und seinen über einen Zeitraum Aufgaben zuverlässig nachgeht, wird durch mehr Stunden außerhalb der Zelle oder sogar Freigang außerhalb des Gefängnisses belohnt. Die Krönung ist, dass sich die Haftstrafe durch gute Führung sogar verkürzen kann.

Genauso funktioniert das System aber auch in die andere Richtung. Wer auffällig wird, in Schwierigkeiten verwickelt ist, muss länger am Tag alleine in seiner Zelle bleiben - und wenn es richtig schlecht läuft, sogar länger in Haft.

Beim Vorbeigehen sind aus manchen der gelben Zellentüren Stimmen zu hören. Hinter einer wird gesungen. Nicht verträumt vor sich hin, sondern laut, als ob da jemand weiß, dass er gehört wird. Im Flur vor den Zellen, stehen ein Billardtisch, ein Kicker und eine Tischtennisplatte.

Jede Wohneinheit hat eine eigene Küche, in der die Inhaftierten miteinander kochen können. Vielen schmeckt das ausgeteilte Essen nicht besonders, erzählt Baskin, dann kochen sie sich selbst etwas.

Die Inhaftierten gehen im Gefängnis zur Schule oder können eine Ausbildung in einer der Werkstätten machen. Einige machen auch nichts, sitzen in ihren Zellen. Wer aber zur Schule geht oder eine Ausbildung macht, kann dafür bis zu zwölf Euro am Tag verdienen.

Einen Teil davon dürfen sie im Gefängnisladen für Essen oder ähnliches ausgeben oder sich einen Fernseher für ihr Zimmer mieten. Den Rest müssen sie sparen, für ihre Zeit nach dem Gefängnis.

Inhaftierter: Ohne manche Bedienstete wäre es noch schlimmer

Einer, der eine Ausbildung in dem gefängniseigenen Friseursalon macht, ist Murat, der eigentlich anders heißt. Murat ist groß, vielleicht Anfang 20. Wie die anderen Häftlinge trägt er braune Schuhe, eine beige Fleecejacke und Trainingshosen.

Seit einem Jahr ist er im Gefängnis - für welche Tat, darf nicht erfragt werden. Eineinhalb Jahre hat er noch abzusitzen und dem kann er nichts Gutes abgewinnen. "Das hier ist Gefängnis. Das kann man nicht schönreden. Ich will nie wieder hier rein", sagt er. Schwierig finde er, dass er mit vielen Menschen auf einem Raum leben müsse, die er sich nicht ausgesucht habe. Und die ja alle kriminell seien, das dürfe man nicht vergessen.

In einem Moment im Friseursalon stehen Baskin und Murat etwas abseits. Der Inhaftierte beugt sich beim Sprechen zu dem sehr viel kleineren Baskin. Vielleicht macht einer einen Scherz, sie lächeln. Wenig später erzählt Murat, dass es eben dieses Verhältnis zu manchen Bediensteten sei, das ihm helfe. "Wenn einige der Bediensteten nicht da wären, sondern nur die anderen drei, vier, dann kann ich mir vorstellen, dass es hier noch viel schlimmer wäre", sagt er. "Sie kümmern sich und sie helfen uns".

Blick aus einer Zelle in der Jugendstrafanstalt Plötzensee | Quelle: rbb24/Naomi Donath

Personalstärke wirkt sich auf Alltag der Inhaftierten aus

Ein Problem im Jugenstrafvollzug ist, dass Personal fehlt. Das merke man auch direkt im Alltag mit den Inhaftierten, erzählt Baskin. "Wenn wir wenige sind, können wir sie weniger aufschließen, dann sind sie mehr in ihren Hafträumen. Dann kann es schon mal sein, dass einer sagt: Mir reicht’s. Und ausrastet - das kann passieren".

Baskin selbst hat vorher einiges an Jobs ausprobiert, jetzt hat er das Gefühl angekommen zu sein. Den Job als Justizvollzugsbeamter will er bis zur Rente machen. Er mag daran, dass er die ganze Zeit mit Menschen arbeitet.

Dabei muss er vorsichtig sein. "Die Stimmung kann jederzeit umschlagen. Dafür reichen manchmal Kleinigkeiten". Ein Mal wären zwei Inhaftierte aneinander geraten, weil der eine den anderen beschuldigt hat, den Topf nicht abgewaschen zu haben. "Dann brülle ich einmal und wenn sie dann nicht reagieren, dann wird Alarm gedrückt". Wenn Baskin den Alarmknopf drückt, sind innerhalb von wenigen Minuten mehrere Bedienstete vor Ort. Das macht Eindruck.

Murat ist keiner, der zuletzt für Ärger im Gefängnis verantwortlich war. Heute Nachmittag hat er unbewachten Freigang, geht raus für ein Bewerbungsgespräch in einem Friseursalon für die Zeit danach. Haare zurückgegelt, schwarze Jacke, Hände in den Taschen geht er aus dem Besucherausgang, nickt noch einmal und verschwindet dann in seine abgezählten Stunden Freiheit.

Sendung: rbb24 Abendschau, 16.05.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Anna Bordel

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