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Video: rbb24 Abendschau | 18.05.2024 | Helena Daehler | Quelle: rbb/Helena Daehler

Berliner Kiezkneipe muss schließen

Letzte Runde in der "Stadtklause"

Nach fast 20 Jahren muss die "Stadtklause" am Anhalter Bahnhof schließen. Der Mietvertrag einer der letzten Berliner Traditionskneipen wurde nicht verlängert. Die Wirte suchen verzweifelt einen neuen Ort, doch in der Umgebung sind die Mieten zu hoch. Von Helena Daehler

Ismet Rekaliu steht in seinem schwarzen "Stadtklause"-T-Shirt in der kleinen Küche im hinteren Teil der Kneipe. Es ist eng, jeder Handgriff sitzt, seit fast 20 Jahren arbeitet er hier. Während Ismet die Teller mit Schnitzeln und Bouletten vorbereitet, steht sein Neffe Drilon am Herd vor der Eisenpfanne mit Bratkartoffeln. Sein Bruder Lumni kommt zur kleinen Durchreiche, holt einen bereits vorbereiteten XXL-Schnittchenteller.

Der Laden brummt seit Jahren. Am späten Nachmittag gibt es in der Klause diesen einen Moment, da ist es auf einmal rappelvoll. Das Publikum ist eine gute Berliner Mischung. Für Anwohner:innen ist die Klause Kiez-Treffpunkt und eine gute Anlaufstelle, wenn man selbst keine Lust hat zu kochen. Tourist:innen ergooglen sich die Stadtklause auf der Suche nach deutscher Küche, viele Mitarbeitende des "Tagesspiegels" trinken hier Feierabend-Bier, die Redaktion ist direkt um die Ecke und aus dem nahen Abgeordnetenhaus kommen Politiker:innen nach den Sitzungen.

Berlin und Umland

Hier sind die Mietpreise besonders hoch

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Räumungsklage und Gnadenfrist

Die Menükarte stammt noch aus der Zeit, als Franz-Josef Göbel, der mittlerweile verstorbene frühere Geschäftsführer, die "Stadtklause" eröffnet hat. "Wir sind zwar aus dem Kosovo, aber wir versuchen hier die deutsche Küche zu retten", sagt Ismet Rekaliu, lacht und wird auch gleich wieder ernst: "Wir wollten alles genauso lassen. Wollten so weitermachen." Wenn es nach Rekaliu gegangen wäre, auch gerne noch für weitere Jahrzehnte. Die Eigentümerfamilie des Gebäudes hat aber anderes vor.

Der Mietvertrag der "Stadtklause" war befristet bis September 2023. Ismet und sein Bruder Lumni Rekaliu weigerten sich aber, den Schlüssel abzugeben. Darauf folgte eine Räumungsklage, Gas und Strom wurden kurzzeitig abgestellt. Nach einer Gerichtsverhandlung im Januar einigte man sich auf eine Gnadenfrist bis Ende Mai. Der letzte Ausschank ist am 17. Mai.

Auch die anderen Mieter:innen im Haus mussten raus. Mehrere Familien, die über der Kneipe gewohnt haben und ein Jugendclub neben der Kneipe im Erdgeschoss sind seit letztem Sommer schon weg. Was mit dem Haus passiert - ob abgerissen oder saniert wird - ist nicht klar. Die Eigentümerfamilie äußerte sich auf rbb-Anfrage nicht zu den Plänen.

Die Brüder Ismet, Lumni und Sami | Quelle: rbb/Helena Daehler

Bezahlbarer Ort mit Charakter gesucht

Seit Monaten suchen Ismet und Lumni verzweifelt nach einem neuen Lokal, in das die Kiezkneipe mitsamt dem Inventar und den vielen Schwarzweiß-Fotos an den Wänden umziehen kann. Auf der anderen Seite des Askanischen Platzes, wo früher das Café Stresemann war, wäre ein Lokal frei gewesen. "Es hätte prima gepasst, aber die Miete ist viel zu teuer und die Ablösesumme auch. Das können wir uns nicht leisten", sagt Ismet Rekaliu. Er wünscht sich für die neue "Stadtklause" einen Ort, der Charakter hat: "Gerne etwas Altes, Rustikales, mit Holz. Wir wollen kein Glas und Chichi. Das passt nicht zu uns." Und natürlich soll es nicht zu weit weg sein vom jetzigen Standort in der Bernburger Straße, damit die Stammkundschaft auch weiterhin kommt.

Bezirk steht hinter der "Stadtklause"

Die grüne Bezirksbürgermeisterin Clara Herrmann kennt die "Stadtklause" schon viele Jahre und hatte sich bereits letzten Sommer mit der Kneipe solidarisiert. "Der Ort hier ist für mich schon besonders. Hier kommt die Nachbarschaft zusammen. Auch die mit wenig Geld können hier einen schönen Abend haben." Sie hat sich trotz des abgelaufenen Mietvertrages auf die Seite der Wirte gestellt: "Friedrichshain-Kreuzberg war schon immer widerständig. Das wissen alle und das ist auch gut so." Doch auch sie konnte schlussendlich nicht helfen. Eine Kontaktaufnahme mit der Eigentümerfamilie blieb erfolglos.

Dass es schwer ist für die "Stadtklausen"-Besitzer, einen neuen Raum in Friedrichshain-Kreuzberg zu finden, erstaunt Herrmann nicht: "Die Kommerzialisierung und die explodierenden Gewerbemieten, das ist ein Problem. Wir brauchen dringend als Kommunen und Bezirk Instrumente, um dieser Gentrifizierung und Touristifizierung entgegenwirken zu können." Eine vom Land Berlin eingebrachte Bundesratsinitiative zur Einführung einer Gewerbemietpreisbremse im Jahr 2019 wurde nicht weiterverfolgt.

Micha und Steffi Hahn haben Unterschriften zum Erhalt der Kneipe gesammelt | Quelle: rbb/Helena Daehler

Mit einer Unterschriften-Aktion wollte Stammgästin Steffi Hahn die Kneipe retten. "Save the Stadtklause" steht neben einem Regenbogenherz auf den Stickern, die sie entworfen hat, um auf die Onlinepetition aufmerksam zu machen. "Wir haben rund 3.500 Unterschriften gesammelt. Leider erfolglos." Steffi versucht zusammen mit ihrem Partner Micha das Kneipen-Team trotzdem weiter zu unterstützen. Auch auf der Suche nach einem neuen Ort, der möglichst nah sein soll, meint Micha: "Wir haben nichts mehr in Reichweite, wo man mal schnell mit der family was essen gehen kann. Für uns als Nachbarn wird’s hart."

Trauer unter Stammgästen

Am Nebentisch sitzt eine Dreiergruppe. Heliane, Jens und Bernd haben aus dem Bekanntenkreis erfahren, dass die "Stadtklause" schließen muss. "Das ist ja hier wie ein Museum quasi. Dass so ein historischer Ort einfach platt gemacht werden darf, ist schade", sagt Jens und trauert jetzt schon den Buletten und den Schmalzstullen nach. Bernd ist der Meinung, dass die Politik in solchen Fällen versagt: "Die Eingriffsmöglichkeiten beim Gewerbemietrecht sind gleich Null", sagt er. "Wie verantwortungslos ist Politik? Für mich ist das eine Kapitulation vor dem kapitalistischen System. Da bricht der alte Linke in mir durch."

Video | Prenzlauer Berg

Berliner Kiezkneipe muss nach mehr als 100 Jahren schließen

Letzten Herbst musste auch die Kultkneipe "Höher's Eck" in Prenzlauer Berg schließen. Auch dort wurde der Mietvertrag nicht verlängert. Ein generelles Kneipensterben gebe es aber nicht, sagt Thomas Lengfelder, Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Berlin. "Inhabergeführte Kneipen erleben eher eine Renaissance. Das Publikum verjüngt sich, der Frauenanteil steigt. Ich kenne viele Kneipen in der Stadt, die sehr gut besucht sind." Die Kneipen seien wie alle Gastronomiebetriebe allerdings auch von steigenden Index-Mieten betroffen. Rechtlich könne man da nichts machen. "Versucht euch mit dem Vermieter irgendwie zu einigen", so der Ratschlag.

Ismet Rekaliu wird in der "Stadtklausen"-Küche abgelöst. Er zieht seine schwarze Schürze aus. Erschöpft ist er nicht nur von einem langen Arbeitstag, der Kampf um die Kneipe hat an ihm gezehrt: "Wir sind mental und körperlich am Ende." In den kommenden Tagen werden die Tische, Bänke und Fotos der Stadtklause eingelagert. Die Suche nach einem neuen Ort geht weiter. Erstmal braucht das Team allerdings eine Pause.

Sendung: rbb24 Abendschau, 18.05.2024, 19:30 Uhr

Beitrag von Helena Daehler

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