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Audio: rbb24 Inforadio | 21.05.2024 | Sabine Müller | Quelle: IMAGO / Schöning

Obduktion zu Todesfall angeordnet

Ein Viertel der Stellen im Berliner Maßregelvollzug nicht besetzt

Der Berliner Gesundheitsverwaltung gelingt weiterhin es nicht, genug Pflegekräfte für das Krankenhaus des Maßregelvollzugs zu finden. Unterdessen ermittelt die Staatsanwaltschaft im Fall eines jüngst dort verstorbenen Patienten.

 

Im Berliner Maßregelvollzug für psychisch kranke Straftäter ist aktuell jede vierte Stelle nicht besetzt. Das geht aus einer bisher unveröffentlichten Antwort der Gesundheitsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hervor, die dem rbb exklusiv vorliegt.

Mit 508 besetzten Stellen musste das Krankenhaus des Maßregelvollzugs zuletzt auskommen. Vorgesehen sind eigentlich 674 Stellen, davon waren 166 zum Stichtag 31. März unbesetzt. Den größten Anteil machen demnach die Pflegekräfte aus, hier sind 109 Stellen nicht besetzt. Während von den 55 Stellen für Ärztinnen und Ärzte immerhin knapp 90 Prozent besetzt sind, fehlt bei den psychologisch ausgebildeten Therapeuten etwa die Hälfte der 40 vorgesehenen Vollzeitkräfte. Allerdings rechnet die Gesundheitsverwaltung damit, zum 1. Juni dieses Jahres 33 Psychotherapeuten einstellen zu können.

In den vergangenen Jahren hatte die Senatsgesundheitsverwaltung angesichts anhaltender Probleme im Maßregelvollzug die Zahl der Planstellen deutlich erhöht; von 580 im Jahr 2019 auf nun 674 in 2024. Während es an Personal mangelt, ist die Klinik seit Jahren überfüllt. Aktuell sind 71 Patienten mehr untergebracht als vorgesehen.

Psychiatrie für Straftäter

Todesfall in Berliner Maßregelvollzug - Hintergründe unklar

Personalmangel und Überbelegung

Der Personalrat berichtete dem rbb 2023 bereits von zunehmender Gewalt auf den Stationen, von verletzten Pflegekräften und Sachbeschädigungen.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Catherina Pieroth, nennt das einen "untragbaren Zustand". Gegenüber dem rbb verweist sie in diesem Zusammenhang auf den jüngsten Todesfall im Krankenhaus des Maßregelvollzugs. Nach ihren Informationen soll der Mann, der in Isolationshaft war, erstickt sein. "Wo ich mich auch frage, wie das unter permanenter Beobachtung in einem Isolierraum passieren kann", so Pieroth. Aus der Gesundheitsverwaltung heißt es nur, die genauen Hintergründe seien derzeit "Gegenstand intensiver Ermittlungen".

Zur Klärung der Hintergründe leitete die Berliner Staatsanwaltschaft nach eigenen Angaben ein Todesermittlungsverfahren ein. Eine Obduktion soll nun Aufschluss über die genaue Todesursache eines 27-Jährigen geben. Der Mann war am 10. Mai in der Einrichtung tot aufgefunden worden.

Es müsse jetzt gehandelt werden, fordert Pieroth und verlangt eine große Offensive zur Personalgewinnung in der Verwaltung. Die verweist auf ihre Stellenausschreibungen und Beteiligung an Jobmessen, außerdem gebe es Fortbildungs-Aktivitäten.

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Massive Probleme im Berliner Maßregelvollzug sind der Grund, warum der Chefarzt seine Kündigung eingereicht hat. Die Berliner Senatsverwaltung hat sich nun zu der Kündigung geäußert.

Ärztlicher Leiter gekündigt

Besetzt werden muss im Krankenhaus des Maßregelvollzugs auch die Stelle des ärztlichen Leiters. Der Stelleninhaber Sven Reiners hatte vor einem Monat überraschend seine Kündigung eingereicht. Aufgrund des katastrophalen Zustands könne er die Verantwortung als ärztlicher Leiter nicht mehr tragen, hatte Reiners seinen Schritt gegenüber dem rbb begründet. Die Unterbringung einzelner Patienten sei menschenunwürdig. Aufgrund von Überfüllung und Konflikten könne er nicht ausschließen, dass gefährliche Straftäter ausbrechen.

Die Gesundheitsverwaltung bestätigte, dass der Vertrag zum 30. Juni aufgelöst werden soll und spricht in der Antwort an die grünen Abgeordneten selbst wiederholt von einem "eklatanten Personalmangel", dem eine "massive Überbelegung" gegenüberstehe.

Wegen des Platzmangels könnten derzeit fünf psychisch kranke Straftäter nicht aufgenommen werden, heißt es. Sie würden vorübergehend im Justizvollzugskrankenhaus untergebracht, können dort aber nicht psychiatrisch therapiert werden. Sechs verurteilte Drogenkranke, die ihre Maßnahme in der Entziehungsanstalt hätten antreten sollen, habe man abgewiesen. Vier weitere Patienten warten im Justizkrankenhaus darauf, ihren Entzug antreten zu können.

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Die Situation im überfüllten Berliner Maßregelvollzug scheint weiter außer Kontrolle zu geraten. Der Personalrat spricht von zunehmender Gewalt und sieht Hinweise, dass größere Zwischenfälle nicht gemeldet wurden. Von Roberto Jurkschat

Brandbriefe an frühere Senatorinnen Kalayci und Gote

Unverständnis äußert die grüne Gesundheitsexperten Catherina Pieroth auch darüber, dass die Sanierung eines Gebäudes, in dem knapp 50 neue Plätze entstehen sollen, noch nicht einmal begonnen hat, obwohl das nötige Geld seit einem halben Jahr bewilligt ist. Die Gesundheitsverwaltung schreibt, es werde noch geklärt, wer eigentlich Bauherr des Vorhabens sein soll. Pieroth nimmt Senatschef Kai Wegner in die Pflicht: "Da muss im Zweifel dann auch unser Regierender mal eingreifen, dass sich da nicht verschiedene Verwaltungen hinter einer Entscheidung verstecken."

Schon in den Jahren 2020 und 2022 hatten Beschäftigte des Maßregelvollzugs Brandbriefe an die damaligen Gesundheitssenatorinnen Dilek Kalayci (SPD) und Ulrike Gote (Grüne) geschrieben. Pflegekräfte und leitende Angestellte hatten darin unhaltbare Zustände in der Klinik und eine Zunahme der Gewalt auf den Stationen angeprangert. Der Personalrat der Klinik erklärte dem rbb im vergangenen Jahr, die Politik habe aus Sicht der Personalvertreter seither wenig getan, um die Zustände in der chronisch überfüllten Klinik zu verbessern.

Sendung: rbb24 Inforadio, 21.05.2024, 18:20 Uhr

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