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Audio: Fritz | 26.05.2024 | Quelle: Imago/Uwe Möller

DDR-Geschichte im Unterricht

Vom Osten keine Ahnung

Die Vergangenheit Ostdeutschlands ist oft nur eine Fußnote im Geschichtsunterricht. Ergebnis: Viele junge Menschen kennen die DDR nur aus Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern. Die Aufarbeitungsbeauftragten der Länder fordern mehr DDR-Geschichte im Unterricht. Von Michael Schon

An Interesse mangelt es nicht. Spontane Umfrage auf dem Schulhof des Dalton-Gymnasiums in der Potsdamer Jägervorstadt. "Unsere Eltern haben das miterlebt", erzählt die 12-jährige Theresa. Für sie sei die Geschichte der DDR ein wichtiges Thema. "Meine Mutter erzählt immer, wie eingeschränkt man war. Das finde ich sehr beeindruckend." Ihre Klassenkameradin Greta pflichtet ihr bei: "Ich glaube, dass es teilweise immer noch in den Menschen drin ist". Und für den 13-jährigen Levin, dessen Großeltern in der DDR gelebt haben, ist es die Berliner Mauer, die sein Interesse weckt: "Wie Menschen versucht haben, da rüberzukommen. Es ist erschreckend, dass man da so eine riesige Mauer baut."

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DDR-Mythen als Familiengeschichte

Doch im Unterricht haben die jungen Gymnasiasten bisher nicht viel über die Geschichte Ostdeutschlands erfahren. Die Erinnerung an das, was war zwischen Ostsee und Erzgebirge, ist auch 30 Jahre nach der Wende in erster Linie Familienangelegenheit. In den Erzählungen von Oma, Opa oder den Eltern fällt dabei nicht selten mildes Licht auf die DDR: War das Leben nicht sorgenfrei? Der Zusammenhalt nicht riesig? Die Welt nicht einfach?

"Mythen, Fake Facts und verharmlosende Deutungen nehmen zu", stellen jedenfalls diejenigen fest, die sich hauptamtlich mit der Aufarbeitung von DDR-Geschichte befassen: Die sechs Aufarbeitungsbeauftragten der Ost-Länder, die SED-Opferbeauftragte beim Deutschen Bundestag, die Bundesstiftung Aufarbeitung und der deutsche Geschichtslehrerverband. Sie sind alarmiert. Die Vergangenheit werde "zu einem Selbstbedienungsladen, aus dem Populisten und Extreme ihre Propaganda schöpfen", heißt es in einer gemeinsamen Erklärung, die nach einer Konferenz am Wochenende verschickt wurde. Familienerinnerungen, Social Media und das Internet seien vielfach die zentrale Informationsquelle für junge Menschen.

Mehr Steinzeit, weniger Ost-Geschichte

Dabei gehört die DDR-Geschichte in allen Bundesländern verpflichtend zum Lehrplan. Doch so einfach ist es nicht. Nicht nur, weil Papier auch in diesem Fall geduldig ist und am Ende des Schuljahres oft Lernstoff übrigbleibt: Bei chronologisch aufgebauten Lehrplänen ist das häufig die Zeit nach dem 2. Weltkrieg, während die Vor- und Frühgeschichte zu Beginn ausführlich behandelt wird. Und nicht selten haben die Lehrerinnen und Lehrer selbst ein Problem mit der Geschichtsvermittlung. Entweder, weil sie die DDR selbst erlebt haben. Oder gerade, weil sie sie im Gegensatz zu ihren Eltern nicht erlebt haben, sie aber dennoch zu ihrer Familiengeschichte gehört.

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Gegen den Zeitmangel bei der Geschichtsvermittlung gibt es Lösungsvorschläge, die zumindest einfach klingen. Mehr Unterrichtsstunden und das Herauslösen von Geschichte aus "Mischmasch-Fächern" wie Gesellschaftswissenschaften. So fordert es der Vorsitzende des deutschen Geschichtslehrerverbands, Niko Lamprecht. Auch wenn das im Wettbewerb mit Fremdsprachen und Naturwissenschaften zwar vorerst an der Stundenplan-Arithmetik scheitern dürfte, heißt das nicht, dass in Lehrplänen keine Schwerpunkte gesetzt werden könnten. Lamprecht fordert daher, dass die Geschichte der DDR prüfungsrelevant wird, damit der Stoff auch "ernsthaft vermittelt" werde und nicht nur mit einigen Stichworten im Lehrplan auftauche.

Für eine ernsthafte Vermittlung des Stoffs braucht es allerdings Personal, das sich der Aufgabe gewachsen fühlt. Hier sieht Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch, zu Gast bei der Konferenz der Aufarbeitungsbeauftragten am Wochenende in Erkner, ein Defizit. Pädagogen seien verunsichert, hätten keine Berührungspunkte oder "fühlen sich nicht ausreichend qualifiziert", stellt die CDU-Politikerin fest.

"Wie es war" ist eine Frage der Perspektive

Kathrin Klausmeier, Juniorprofessorin für Didaktik der Geschichte an der Universität Leipzig, sieht vor allem in den ostdeutschen Bundesländern eine besondere Herausforderung für Lehrkräfte. Hier sei der Blick auf Ost-Geschichte nicht nur besonders kontrovers, sondern auch besonders emotional, weil sie oft Teil der eigenen Familiengeschichte sind. Klausmeier spricht von einem Rollenkonflikt, wenn Lehrer sich selbst als Zeitzeugen sähen. "Dann erzählen Lehrkräfte oft, 'wie es wirklich war'. Und das ist nicht das, was Geschichtsunterricht eigentlich soll", so die Wissenschaftlerin. "Schüler müssen lernen, dass Geschichte immer von der Perspektive des Erzählenden abhängt." Ziel sei es, verschiedene Perspektiven und Deutungen zuzulassen und zu prüfen, wie überzeugend sie jeweils sind.

Einigkeit besteht offenbar darüber, dass Lehrkräfte mehr Unterstützung bei der Vermittlung von DDR-Geschichte brauchen. Das Thema müsse in der Lehrkräftequalifizierung eine prominentere Rolle spielen, findet Berlins Senatorin Günther-Wünsch. Geschichtslehrer-Verbandschef Lamprecht fordert Hilfe vor allem für junge Lehrkräfte, neben Fortbildungen vor allem besseres Unterrichtsmaterial und Unterstützung bei der Organisation von Zeitzeugengesprächen oder ein Budget für Gedenkstättenbesuche.

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Lehrstühle zur DDR-Geschichte gefordert

Ihre gemeinsamen Forderungen hat die Allianz aus Aufarbeitungsbeauftragten und Geschichtslehrern in eine Resolution gegossen, die in der kommenden Sitzung der Kultusministerkonferenz behandelt werden soll. Neben der Prüfungsrelevanz von DDR-Geschichte gehört dazu auch eine Stärkung der Bildungsarbeit in Gedenkstätten oder die Einrichtung von Universitäts-Lehrstühlen zur Geschichte der DDR und der Sowjetischen Besatzungszone.

Aus Sicht von Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftragter Maria Nooke ist eine intensivere Auseinandersitzung mit der DDR im Unterricht unerlässlich, um die Geschichten über die vermeintlich schöne Zeit in der Diktatur zu "entschlüsseln", wie sie sagt: "Wer hat in einer Diktatur das Sagen? Wo muss man sich unterordnen? Wo passt man sich an und welche Auswirkungen hat das?" Es sei wichtig, dass Jugendliche diese Fragen stellen dürften, so Nooke.

Sendung: Fritz, 26.05.2024, 16:30 Uhr

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Beitrag von Michael Schon

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