Geburtenrückgang in Berlin
In Berlin sind zuletzt deutlich weniger Babys zur Welt gekommen. Die Gründe, warum sich potenzielle Eltern gegen (weitere) Kinder entscheiden oder Kinderwunsch sich nicht erfüllt, sind vielfältig. Von Sabine Krüger
Was "Geburtenrückgang" konkret bedeuten kann, zeigt ein Beispiel von vier Freundinnen aus Berlin-Pankow.
Alexandra hat mehrere Anläufe fürs dritte Kind gebraucht: Zwischen dem süßen Kindergartenkind mit den blonden Zöpfen, das jetzt im Garten auf dem Trampolin hüpft, und den beiden älteren Geschwistern (Tochter und Sohn) liegen vier schmerzliche Fehlgeburten.
Bei Anne, der Mutter von zwei Jungen, hat es nicht mehr geklappt mit Kind drei - eine Schwangerschaft wollte sich schlicht nicht einstellen.
Außerdem ist da noch Christiane, Ärztin mit zwei wohlgeratenen Kindern. Sie und ihr ebenfalls als Arzt in Schichten arbeitender Mann hatten immer von drei Kindern geträumt. Doch schon mit zweien ist der Organisationsaufwand der Familie so aufreibend, dass ein drittes Kind nun doch nicht mehr in Frage kommt.
Und dann bin da noch ich, die Autorin dieses Textes. Mutter eines Adoptivkindes. Der Prozess war so mühevoll, dass mein Mann und ich uns nicht vorstellen könnten, ihn noch einmal zu gehen. Dabei hätte ich mir immer zwei Kinder gewünscht.
Vier Freundinnen aus Berlin, deren 2011 geborene Söhne dieselbe Kita besucht haben. Und drei nicht geborene Wunschkinder. Und das vierte, das einzige (unter Mühen) geborene Wunschkind, lebt inzwischen nicht mehr in Berlin; kurz nach der Geburt des Zopfmädchens zog die Familie in ein Haus nach Brandenburg um.
Dabei liegen drei der vier Frauen, was die Geburtenrate betrifft, sogar deutlich über dem Schnitt. Denn derzeit bekommt eine Frau in Deutschland im Schnitt rekordniedrige 1,36 Kinder [tagesschau.de]. 2021 waren es noch 1,58 Geburten pro Frau gewesen.
Geschichten wie die der vier Freundinnen kennt auch Simone Logar, Familienhebamme aus Berlin-Schöneberg. Sie wisse zum Beispiel von vielen Familien, die durchaus mehr Kinder bekommen wollen würden, sagte sie rbb|24. Doch es mangele an ausreichend großem Wohnraum. Teils seien die ökonomischen Bedingungen auch so schlecht geworden, dass die Familien sich dann gegen das zweite oder dritte Kind entschieden.
Dass die Geburten zurückgehen in Berlin merkten sowohl sie als auch viele ihrer Kolleginnen an ihrem deutlich nicht mehr so überfüllten Terminplan, berichtet Logar. "Mein Kalender ist deutlich entspannter. Das kommt den Familien zugute, die sich nicht direkt mit positivem Schwangerschaftstest auf die Suche nach einer Hebamme machen", sagt Logar.
Berlin weist ein Geburtendefizit auf. Schon 2022 gab es einen deutlichen Geburtenrückgang, und auch 2023 starben mehr Einwohner als Kinder neu dazugeboren wurden.
Betroffen sind vom Geburtenrückgang im vergangenen Jahr insbesondere die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg (minus 14,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr) und Pankow (minus 12,6 Prozent). Dabei gelten beide Bezirke als besonders geburtenstark und kinderreich. Pankow blieb indes trotz des Rückgangs geburtenstärkster Bezirk der Hauptstadt.
Zu den Gründen, warum die Geburtenrate - auch deutschlandweit - rückläufig ist, hat sich Martin Bujard vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung, im März diesen Jahres im SWR geäußert. So werde die Entscheidung, ein oder mehrere Kinder zu bekommen, bei jungen Paaren oft aufgeschoben, sagt er. Viele strebten erst einmal eine gewisse Sicherheit in Sachen Job, Finanzen und Wohnraum an, bevor sie sich dem Kinderwunsch zuwenden.
Das zeigt sich auch am stetig steigenden Durchschnittsalter der Erstgebärenden. In Berlin lag es zuletzt bei 31 Jahren. Der bundesweite Schnitt lag bei 30,2 Jahren – 1991 waren die Frauen 27,9 Jahre alt, wenn sie ihr erstes Kind bekamen [statista.com]. Die Fertilität von Frauen und Männern sinkt mit zunehmendem Alter. Viele Wunschkinder werden nicht geboren, weil einer oder beide Eltern unfruchtbar sind. Und auch Kinderwunsch-Praxen können da nicht immer helfen.
In Berlin, mutmaßte kürzlich die Sozialforscherin Jutta Allmendinger, würden auch deshalb wenige(r) Kinder geboren, weil es hier einen hohen Akademiker-Anteil gebe. Das begünstige die Entwicklung, wie Allmendinger der "Berliner Morgenpost" sagte. Studierte Frauen bekommen seltener und im Schnitt später Kinder.
Verunsicherung auf vielen Ebenen
Wie Umfragen [statista.com] zeigen, sind viele Menschen in Deutschland zwischen 25 und 34 Jahren aufgrund von Überbevölkerung, Klimawandel und Ressourcenknappheit überdies unsicher, ob sie überhaupt Kinder bekommen soll. Der aktuell starke Rückgang habe viel mit den multiplen Krisen - wie Pandemie, Krieg gegen die Ukraine oder Klimawandel - zu tun, die die Menschen verunsicherten, ist auch Forscher Martin Bujard überzeugt. "Verunsicherung ist Gift für die Familienplanung", sagte er dem SWR.
Zudem hänge vieles davon ab, wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erlebt werde, sagt Bujard. Dass beispielweise das Förderprogramm des Bundes für mehr Kita-Plätze im kommenden Sommer auslaufe, vergrößere Unsicherhei, so der Forscher im SWR. Eltern wollten heute zudem zwar erwerbstätig sein, aber auch Zeit für ihre Kinder haben. In Deutschland sei es aber so, dass in bestimmten Branchen immer noch der oder die Karriere mache, der von früh am morgen bis spät am Abend noch im Büro sei.
Anneliese Stötzer aus Berlin-Nikolassee ist 69 Jahre alt und Mutter von fünf längst erwachsenen Kindern. Sie sagte rbb|24, sie habe sich damals in den 70er und 80er Jahren als Hausfrau gut um Kinder, Haushalt und Garten kümmern können. Heute hingegen, so Stötzer, müssten viele Frauen ganztags arbeiten und hätten noch Haushalt und eventuell einen Garten, um den sie sich neben den Kindern zu kümmern hätten – während viele Männer noch immer nur arbeiteten. Die Frauen seien also um ein Vielfaches höher belastet heute. Sie rate jungen Frauen daher, keine oder nur so viele Kinder zu bekommen, wie sie auch glaubten, allein bewältigen zu können.
Tatsächlich: Auch wenn Familienbelange zunehmend gleichberechtiger aufgeteilt werden, sind es bei heterosexuellen Eltern fast immer - auch wenn sie erwerbstätig sind - die Frauen, die den Löwenanteil in Sachen Kinderbetreuung und Haushalt stemmen, das zeigen Forschungsbefunde. Selbiges gilt hinsichtlich der Arbeitsverteilung beim sogenannten Mental Load, wie eine Befragung des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung [boeckler.de] ergab. Damit wird die Organisation von sogenannter Sorgearbeit im Alltag bezeichnet: Diese reicht vom Besorgen von Geburtstagsgeschenken über den Elternabend in der Schule bis hin zum Vereinbaren der Vorsorgetermine beim Kinderarzt.
Der Geburtenrückgang trifft übrigens nicht nur Deutschland. Auch die viele andere Länder der Welt sind betroffen, wie zum Beispiel auch die bislang als geburtenstark geltenden skandinavischen Länder. Nach Angaben einer im Fachjournal "The Lancet" veröffentlichten Studie aus dem März 2024 werden bis zum Jahr 2050 mehr als drei Viertel (155 von 204) der Länder nicht mehr die für die Aufrechterhaltung ihres Bevölkerungsniveaus notwendige Geburtenrate von 2,1 Kindern pro Frau aufweisen können. Damit schrumpft in den betroffenen Ländern die Bevölkerung – und es ergeben sich Herausforderungen unter anderem durch den Rückgang potenzieller Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt und für die Sozialsysteme.
Sendung: rbb24 Abendschau, 14.05.2024, 19:30 Uhr
Beitrag von Sabine Krüger
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