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Audio: rbb|24 | 04.05.2024 | O-Ton aus dem Interview mit Julia Prescher | Quelle: dpa/Jens Büttner

Interview | DDR-Tradition

"Bei einer Jugendweihe kommen mal 800 oder auch mal nur 50 Euro zusammen"

Zu DDR-Zeiten Pflicht, heute freiwillige Kür: die Jugendweihe. Die Pädagogin Julia Prescher hat erforscht, was Jugendliche antreibt, mitzumachen und was sie sich erhoffen. Sie verrät auch, dass die Jugendweihe keineswegs eine Erfindung der DDR ist.

rbb|24. Hallo Frau Prescher. Wie gut erinnern sie sich an Ihre Jugendweihe?

Julia Prescher: Die Frage setzt ja voraus, dass ich selbst Jugendweihe gemacht habe – und das hat ja nicht jede Person. Doch ich selbst hatte tatsächlich in den Nullerjahren meine Jugendweihe. Aber ich erinnere mich nicht sehr deutlich daran. Eigentlich erinnere ich mich nur an den Moment der Blumenübergabe auf der Bühne.

Zur Person

Julia Prescher

Ist die Jugendweihe nicht sowieso ein überholtes DDR-Ritual? Oder liegt sie im Gegenteil total im Trend?

Die Geschichte von Jugendweihe, Jugendfeier oder Lebenswendefeier ist recht komplex. Es ist nämlich gar nicht vornehmlich ein DDR-Produkt. Die ersten Jugendweihen haben weit vor der Weimarer Republik stattgefunden. Da wurde das Ritual in Nordhausen, in Wiesbaden oder auch in Hamburg zelebriert. Erst mit und nach den Gründungsjahren der DDR – nachdem es sogar zuerst ein Verbot der Jugendweihe dort gab – wurde die Jugendweihe zu dem DDR-Ritual schlechthin ideologisiert. Mit bis zu hundert Prozent Teilnahmequoten, die auch gewünscht waren.

In den unterschiedlichen Bundesländern gibt es für die Jugendweihen heute auch eine unterschiedliche Infrastruktur. Durch die historische Praxis der letzten 60 Jahre ist sie unterschiedlich frequentiert und hat jeweils andere Organisationsstrukturen. Daher kann man gar nicht so leicht beantworten, ob Jugendweihe und Jugendfeiern immer populärer werden. Denn es ist nicht leicht ausrechenbar, denn nicht jeder Verein, der Jugendweihen anbietet, erhebt die Zahlen im Detail. Gezählt werden die Teilnehmenden selbst und daher kann man jeweils vor allen Dingen sagen, ob es mehr oder weniger als im Jahr zuvor waren.

Gibt es sie denn tatsächlich vor allem in den neuen Bundesländern und in Ost-Berlin?

Ja, zumindest was die Infrastruktur und Traditionen betrifft, habe ich das in meiner Studie – geforscht habe ich hierzu in Sachsen-Anhalt - so erlebt. Oft sind die Eltern da die treibenden Kräfte. Aber nicht immer. Manchmal sind es auch Freunde oder die Schulklasse. Es gibt noch immer Gemeinschaften, in denen eine Jugendweihe so traditionell und ritualisiert gefeiert wird, dass die Kinder sich gar nicht die Frage stellen, ob sie sie feiern, sondern nur wann.

Was reizt die Jugendlichen, die nicht sowieso fest von dem Ritual ausgehen durch ihre Gemeinschaft, heute daran, eine Jugendweihe zu machen - das Initiationsritual oder die Party und die Geschenke?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt viele Studien zur Jugendweihe, die sich mit der Motivationsfrage beschäftigen und die genau diese Unterscheidung zwischen materiellen und ideellen Gründen betrachten. Diese Frage aus erwachsener Sicht kommt, weil wir Erwachsene Jugendweihe als Übergang in das Erwachsenwerden verstehen. Doch es geht ja auch – wie der Name schon verrät – um das Thema Jugend. Für die Jugendlichen selbst ist also nicht nur das Thema Erwachsenwerden wichtig - und was da zelebriert wird im Sinne von Verantwortungsübernahme und der Anrufung, sich bald in die Phase von Schulabschluss oder Berufswahl zu begeben - sondern auch der jugendkulturelle Kern. Der ist sehr attraktiv für Jugendliche. Denn da geht es vor allen Dingen um die Peer-Group und das gemeinsame Erleben des Reiferwerdens. Die Geschenke sind da gar nicht vorrangig.


Die Jugendweihe oder Jugendfeier ist für Eltern und Jugendliche auch oft ein Zeitpunkt, um neue Regeln auszudiskutieren, um sich zu fragen, was man verändern will im Zusammenleben – und ob der oder die Jugendliche vielleicht auch neue Aufgaben bekommt. Und nicht zuletzt, um sich zu fragen, wo man miteinander steht. Das sind alles Prozesse, die in dem Vorbereitungsjahr, was auch zur Jugendweihe gehört, stattfinden.

Die Geschenke selbst sind, anders als beim klassischen Wunschzettel zu Weihnachten, oft nachhaltig. Da geht es mitunter um die erste Urlaubsreise ohne Eltern, Geld für einen Führerschein oder Laptop. Meistens sind es eher Geschenke, die eine größere Funktion in der Biografie des Jugendlichen haben.

Mit wieviel Geld rechnen Jugendliche zu diesem Anlass?

Sie rechnen – im Sinne von erhoffen - mit unglaublich viel. Je weniger Kapital eine Familie hat, um große Anschaffungen zu machen, umso mehr wird gehofft, über diese Familienfeier – die ja auch selber wieder bezahlt werden muss – dafür Geld zu erwirtschaften. Damit man sich dann den Laptop kaufen kann, den man sich wünscht.

In der Realität kommen bei einer Jugendweihe mal 800 Euro zusammen oder auch mal nur 50. Ich habe Jugendliche begleitet, die ihre Jugendweihe im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gemacht haben. Da fiel zumeist die Co-Finanzierung über die Familienfeier weg. Da hat das die Wohngruppe ersatzweise geleistet. Und so fiel die Geschenksumme natürlich entsprechend niedriger aus. Doch da hat die Einrichtung selbst es geschafft, den Jugendlichen ein Tablet zu finanzieren. Denn da gab es oft einfach keine Familien. Damit für die Kinder, die ja mit den anderen auf der Bühne standen und die mitbekommen haben, wie großzügig diese beschenkt werden, nicht wieder Ungleichheit reproduziert wurde.

Sie haben auch das Thema Vorbereitungsjahr schon angesprochen. Doch Vorbereitungen scheinen nicht bei allen Anbietern eine wichtige Rolle zu spielen. Sondern teils kann man wohl auch nur die Feier samt Bühnenauftritt buchen. Ist das dann nicht sehr sinnentleert?

Für mich als Forschende generiert die Feier als solches schon Sinn. Aber tatsächlich ist es so, dass es je nach Veranstalter, was die Vorbereitungsveranstaltungen betrifft, sehr unterschiedliche Vorgehensweisen gibt. Teils gibt es durchaus die Auseinandersetzung mit politischen und werteanschaulichen Themen. Es gibt aber auch Anbieter, die keine verpflichtenden Vorbereitungsstunden anbieten, dafür aber einen breiten Katalog an Angeboten. Das geht dann von Bogenschießen über Disko bis hin zu Gerichts-Besuchen. Es gibt dann aber auch Fahrten nach Buchenwald oder Auschwitz oder Demokratie-Projekten. Die Angebote ähneln mehr denen von Jugendclubs der offenen Jugendarbeit oder der Schulen. Mir haben Jugendliche damals, als ich forschte, gesagt, sie nähmen daran nicht unbedingt teil, weil sie diese Themen "überall" anträfen. Das waren dann oft Jugendliche, die die Jugendweihe mit ihrer Klassengemeinschaft begangen haben. Die kannten sich ohnehin schon. Es gibt aber auch ganz anders organisierte Jugendweihen – solche mit vorbereiteten verpflichteten Veranstaltungen.

Die Jugendweihe-Veranstaltung selbst erinnert ja durchaus auch an aufwändige Einschulungen oder Abi-Feiern. Verdienen sich die Veranstalter der Jugendweihen da auch eine goldene Nase?

In diesem Fall verdienen die Veranstalter meiner Beobachtung nach eher sehr viel Wertschätzung. Für sie steht der monetäre Aspekt selten im Mittelpunkt. Denn die Beiträge der einzelnen Kinder – auch wenn sie uns hoch erscheinen mit teilweise 120 bis 160 Euro – reichen im Regelfall nicht aus, um die Finanzierung zu sichern. Die Veranstalter nutzen daher ihre eigenen regionalen Netzwerke. Redner oder Musikgruppen, die sie kennen und die sie vergünstigt buchen können. Ich persönlich kenne da keine Massenveranstalter, die wirklich daran verdienen.

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Wie war die Feier früher in der DDR – hat die heutige Jugendweihe noch viel damit zu tun?

Die Frage ist hochspannend, weil darüber gar nicht so viel bekannt ist. Es gibt sehr viele Studien über die politischen Aspekte damals. Aber über das eigentliche Feiern der Jugendweihe der Menschen im Privaten weiß die Forschung kaum etwas. Was ich persönlich weiß, ist aber, dass es zu DDR-Zeiten ja enorm unterschiedliche Formen des Widerstands gab. Und so haben Jugendliche auf der Bühne bei ihrem Gelöbnis, auf das sie mit "das gelobe ich" zu antworten hatten, oft absichtlich "ja, das gloobe ick" gesagt. Im Sinne von "ja, das glaube ich, dass ihr das meint".

Sendung: Antenne Brandenburg, 4.5.2024, 11:30 Uhr

Infobox

Jugendweihe in Berlin

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