Hohe finanzielle Eigenanteile
Pflegebedürftig zu sein, ist nicht nur für die Betroffenen belastend, sondern auch für die Menschen, die sie betreuen. Jeder fünfte pflegende Angehörige ist armutsgefährdet, bei pflegenden Frauen sogar jede vierte. Die Politik ist gefordert. Von Christina Fee Moebus
Früher ist Kathrin Krenz gern verreist oder hat sich mit Freundinnen und Freunden getroffen. Zeit dafür bleibt im Alltag zwischen Pflege und Berufsleben heute für die 49-Jährige kaum mehr. Zusammen mit ihrem Partner kümmert sie sich um den gemeinsamen Sohn Max. Er ist Autist. Dazu wurde eine geistige Behinderung festgestellt. Mit seinen zwölf Jahren sei Max auf dem geistigen Entwicklungsstand eines Kleinkindes. Der Junge braucht noch Windeln. Er kann auch nicht - wie andere Kinder in seinem Alter - alleine draußen spielen.
"Es ist eine Doppelbelastung, die nicht aufhört", sagt die Sonderpädagogin aus dem brandenburgischen Bad Belzig. Das sei anstrengend.
Kathrin Krenz versucht, den schwierigen Spagat zwischen Job und Pflegealltag so gut es geht zu managen. Sie arbeitet Teilzeit, pendelt für ihre Arbeit an einer Schule mehrmals die Woche nach Berlin. Ein Leben am Rande der Belastbarkeit – auch finanziell. Ihr Sohn wurde in Pflegegrad Vier eingestuft. Daher hat er Anspruch auf etwa 750 Euro im Monat. "Das steht in keinem Verhältnis zur Arbeit, die man hat", sagt Krenz.
Es gibt zwar diverse Zusatzleistungen, die ihr beziehungsweise ihrem Sohn zustünden. Für eine Freizeit- oder Schulassistenz etwa, für Pflegehilfsmittel oder eine Tages- und Nachtpflege. Allerdings müssen diese Hilfen oft gesondert beantragt werden. Anträge ausfüllen, sich informieren, zu Ämtern gehen – das sei neben der Arbeit und der Pflege im Alltag meist nicht leistbar, sagt Krenz.
Vielen pflegenden Angehörigen geht es ähnlich. Etwa 85 Prozent aller Berliner sowie 87 Prozent aller Brandenburger Pflegebedürftigen wurden im Jahr 2021 zu Hause versorgt. Es gibt viele unterschiedliche Pflegekonstellationen – etwa durch Angehörige mit und ohne Unterstützung von ambulanten Pflegediensten, Pflege-Wohngemeinschaften und ähnliches. Knapp 190.000 Menschen in Berlin und Brandenburg wurden allein von ihren Angehörigen versorgt.
In der Mehrheit sind es Frauen, die sich um die Bedürftigen kümmern. Aber auch Söhne, Enkelkinder, die ihre Großeltern betreuen, und – wie im Fall von Kathrin Krenz – Eltern, die gemeinsam ihre Kinder pflegen. Angehörige stellen für die häusliche Pflege oft die eigene Erwerbsarbeit zurück. Unter anderem auf Kosten von Einkommen und gegebenenfalls auch Rentenansprüchen – eine große emotionale und finanzielle Herausforderung.
Petra Kather-Skibbe berät Angehörige zu Vereinbarkeit von Beruf und Pflege beim Berliner Verein Kobra. Überwiegend kommen Frauen zwischen 40 und 60 Jahren zu ihr.
Viele pflegende Angehörige seien überfordert, aber suchten sich erst Unterstützung, wenn sie an ihre Grenzen kämen, sagt sie.
Manche der Menschen, die Kather-Skibbe berät, zahlen hohe Eigenanteile für die Pflege, erzählt sie. Gut und gerne auch mal 2.000 Euro monatlich. Zum Beispiel, wenn mehrmals täglich ein ambulanter Pflegedienst kommt, um eine körperlich eingeschränkte Person mit einem mittelhohen Pflegegrad zuhause zu unterstützen.
Jede Pflegesituation ist allerdings individuell unterschiedlich.
Die finanzielle Belastung hat trotz gestiegener Leistungen aus der Pflegeversicherung zugenommen. Das geht aus einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des wissenschaftlichen Instituts der AOK hervor. Lag der mittlere Eigenanteil im Jahr 2019 noch bei knapp 200 Euro pro Monat, ist er mittlerweile auf jetzt 290 Euro im Monat gestiegen.
Petra Kather-Skibbe von Kobra empfiehlt pflegenden Angehörigen, sich an Pflege-Stützpunkte zu wenden, um sich genau über Hilfsangebote und mögliche Leistungen zu informieren. Außerdem fordert sie für Angehörige einen eigenen Anspruch auf Pflegelohn, um Verdienstausfälle, in Zeiten in denen nahestehende Menschen zuhause gepflegt werden, abgefedert werden können. Bei der erwähnten Forsa-Studie gaben die Befragten an, etwa 49 Wochenstunden für pflegende Tätigkeiten aufzubringen – etwa für Ernährung, Medikamentengabe, Körperreinigung. Das ist mehr als ein Fulltimejob neben der eigentlichen Erwerbsarbeit.
Eine steuerfinanzierte, finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige fordert auch der BKK, der Dachverband der betrieblichen Krankenkassen. Außerdem müssten die finanziellen Hilfen, die bisher verfügbar sind, besser gebündelt werden, um den Leistungsdschungel in den Griff zu bekommen, sagt Anne-Kathrin Klemm, Vorständin des BKK.
"Es braucht zum Beispiel in einer bestimmten Situation ein Entlastungspaket, und dafür gibt es ein Budget und der Pflegebedürftige und der Angehörige entscheiden dann selbst, was sie aus diesem Paket brauchen und benötigen."
In der Ampelkoalition wird derzeit über die geplante Pflegereform verhandelt. SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach signalisierte zuletzt, dass auch er sich für weitere Verbesserungen für die häusliche Pflege einsetzen will. Fraglich bleibt dabei aber die Finanzierung. Die FDP möchte an der Schuldenbremse festhalten. Die Kosten für Pflege steigen generell und die Zahl der Menschen, die Unterstützung brauchen, nimmt zu. Die Betriebskrankenkassen warnen vor einem Finanzloch in der Pflegeversicherung: Für 2025 werde ein Minus von 4,4 Milliarden prognostiziert.
Kathrin Krenz zahlt weiterhin vieles aus den eigenen Rücklagen für ihren pflegebedürftigen Sohn. Oft fühle sie sich an der Belastungsgrenze, sagt sie. Sie denkt darüber nach, ihren Sohn Max in eine betreute Wohngruppe zu geben. Um wieder mehr arbeiten zu können, aber auch um hin und wieder "Zeit zum Durchatmen" zu haben. Eine kurzfristige Lösung für Menschen wie Kathrin Krenz und ihre Familie ist politisch nicht in Sicht.
Sendung: rbb24 Inforadio, 27.05.2024, 06:45 Uhr
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Beitrag von Christina Fee Moebus
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