rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Audio: rbb24 Radioeins | 27.05.2024 | Kerstin Lehmstedt | Quelle: Imago Images

Digitalkonferenz in Berlin

Wen kümmern die digitalen Debatten der Republica?

Die Digitalkonferenz Republica, die am Mittwoch endet, reißt neue Besucherrekorde. In Zeiten von Krisen und Kriegen ist weniger Bällebad und mehr analoge Politik. Sie ist ernst und erwachsen geworden - und dieses Jahr doch jugendlicher denn je. Von Jenny Barke

Nach drei Tagen geht die Digitalkonferenz Republica an diesem Mittwoch in Berlin zu Ende. Mit insgesamt über 28.000 Besucher:innen und über 1.000 Speaker:innen war die 17. Ausgabe die bisher größte ihrer Art. Erstmals nach der Pandemie ist die Republica wieder an ihren traditionellen Standort, die "Station Berlin" am Park am Gleisdreieck, zurückgekehrt. Mit der Rückkehr konnten auch wieder mehr Bühnen aufgestellt und somit mehr Programm angeboten werden.

An den drei Festivaltagen zählten die Veranstalter insgesamt 30.000 Besuche. Zum zweiten Mal in ihrer Geschichte war die Veranstaltung ausverkauft. Das diesjährige Programm umfasste über 880 Sessions, darunter Vorträge, Diskussionen, Talkrunden und Workshops, mit 1.600 Sprecher:innen.

Erstmals fand die ebenfalls von der Republica ausgerichtete Jugendkonferenz Tincon zeitgleich statt. Mit 4.000 zusätzlichen 13- bis 25-Jährigen war das Publikum insgesamt deutlich verjüngt. Die Tickets für die Tincon waren kostenlos und wurden vor allem von Schulklassen in Anspruch genommen.

Medienkompetenz

Experte will Jugendliche mehr für Fake News sensibilisieren

Fake News und Verschwörungstheorien sind durch das Internet noch leichter zu verbreiten. Muss die heranwachsende Generation früher darauf vorbereitet werden, vielleicht in Form eines eigenen Schulfachs? Das zumindest sagt ein Experte. Von Simon Wenzel

Einst als kleines Bloggertreffen 2007 begonnen, ist die Republica inzwischen im Mainstream angekommen, spätestens seit dem erstmaligen Besuch des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) vor zwei Jahren. Auch in diesem Jahr war die Beteiligung aus dem Bundeskabinett groß: Vor Ort waren Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen sowie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD. Kurz vor der Europawahl am 9. Juni nutzte auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Digitalkonferenz als Bühne für ihren Wahlkampf.

Befeiert die Blase sich auf der Digitalkonferenz selbst?

Während - und vor allem zum Ende - der dreitägigen Konferenz wurde oft gefragt, ob und was die Republica für das wahre gesellschaftliche Leben bringt. Die Gründer:innen schreiben sich selbst auf die Fahne, mit dem Programm Netzpolitik zu betreiben und die Digitalisierung voranzutreiben.

Zum Konferenz-Auftakt am Montag erklärte die Autorin, Journalistin und Podcasterin Jagoda Marinić, sie habe keine Angst vor "irgendwelchen Leuten", die sagten, dass bei der Veranstaltung nur die "Blase" komme und sich selbst befeiere. "Ich denke, man darf sich feiern, wenn man im Alltag 365 Tage lang für Dinge einsetzt. Man hat auch ein Recht auf Selbstvergewisserung, ganz gleich, wie viele Zyniker da draußen sitzen", so Marinić.

Republica ab Montag

"Ich würde mir mehr gemeinwohlorientierte KI wünschen"

"Who Cares" ist das Motto der diesjährigen Konferenz Republica. Blogger, Kreative und Netzaktivisten diskutieren, wie die Pflege- und Betreuungsarbeit der Zukunft aussehen kann. Das Thema sei weitgefasst, sagt Mitbegründer Markus Beckedahl. Von Jenny Barke

Weniger Bällebad und Gaming, mehr seriöse Politik

In ihrer Opening Keynote forderte Marinić zudem, "sanfte Radikalität" voranzubringen. So bräuchten diejenigen mehr Aufmerksamkeit, die Gutes bewirkten und soziale Bewegungen vorantreiben - anstatt kleine, wütende Gruppen, die Menschen verachten. Denn das sei oft der Fall, kritisiert Marinić und verweist auf 2015: Damals hätten über neun Millionen Menschen dabei geholfen, Geflüchtete ankommen zu lassen. "Stattdessen wurden die wenigen, die wütend waren, medial so überrepräsentiert, dass die neun Millionen verschwunden sind und das die Stimmung im Land wurde", so Marinić.

Es war ein Plädoyer für Demokratie, Haltung, Mobilisierung - und für einen neuen Marsch durch die Institutionen. Die Rede steht beispielhaft für den Charakter dieser Republica: In Zeiten der verdichteten Krisen und Kriege ging es viel um Lösungsansätze für große gesellschaftliche Probleme. Man könnte sagen, dass die Republica sehr erwachsen geworden ist. Das traditionelle Bällebad gibt es nicht mehr. Wobei das auch an den praktischen Herausforderungen liegen mag: Zu teuer wäre eine infektionsgerechte Reinigung der Bälle gewesen, ein neues Bällebad wollten die Macher:innen aus Gründen der Nachhaltigkeit nicht aufstellen. Die Konferenz hat viel von der kindlichen Unbeschwertheit ihrer Anfangsjahre verloren, doch vielleicht liegt es auch an den bedrückenderen Zeiten. Mehr seriöse Debattenkultur, weniger Gaming-Faktor.

"Tincon": Mit Gamification gegen rechts und Verschwörungen

Wer zocken und daddeln wollte, wurde vor allem in den Räumen rund um die Stage 5 fündig - wo der Altersdurchschnitt gleich um Jahr(zehnt)e niedriger lag. Die Jugendkonferenz Tincon bot vielfältige Möglichkeiten für VR, Gaming und Basteleien - von Lötstationen bis hin zur Seifenherstellung und Programmierworkshops.

Doch es ging auch hier um ernste Themen, teils mit Gamification-Charakter. In einem Quiz konnten Jugendliche Fake-News erraten und in Workshops lernen, wie man rechte Symbole auf Tiktok erkennt, oder ironisch Verschwörungsideologien selbst erfinden und damit die Mechanismen dahinter verstehen kann.

Auch Cybermobbing war ein Thema. Speakerin Meriah Aschuftah war selbst Opfer von Hass im Netz und zeigte, wie man sich dagegen wehrt: "Es gibt auch Face-to-Face-Mobbing, aber im Internet hat es eine ganz andere Reichweite. Da springen auch andere Menschen einfach mit auf. Es gibt das Phänomen, mit der Gruppe mitzugehen, hier gibt es eine Anonymität dahinter. Das macht es so gefährlich." Man fühle sich als Täter geschützt, während das Opfer eine Masse an Hate-Speech abbekäme, die im Alltag nicht möglich wäre, so Aschuftah.

Ende der Fastenzeit

"Nach sechs Wochen ohne Smartphone war ich entspannter, konzentrierter und neugieriger"

Sechs Wochen lang blieb das Smartphone von rbb-Redakteurin Miriam Keuter aus. Nach dem ersten Hochfahren trudeln Hunderte Nachrichten ein. Die Ruhe ist vorbei. Doch ohne Smartphone ist der Alltag manchmal deutlich komplizierter.

Europa steht im Fokus

Die Ernsthaftigkeit und Brisanz dieses Hasses spielte auch für die erwachsenen Besucher:innen der Republica eine große Rolle im Superwahljahr - mit Wahlen dreier Landtage im Herbst sowie des EU-Parlaments in anderthalb Wochen. Eine ganze Bühne war nur Europa gewidmet, das Europaforum vom WDR. Hier diskutierten Wissenschaftler:innen, Medienschaffende und Spitzenpolitiker:innen darüber, wie sich die EU gegen Populismus, Extremismus und Nationalismus behaupten kann. Mit dabei EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen, die ein klares Mittel dagegen nannte: "Liefern! Gute Ergebnisse liefern. Das ist das Wichtigste. Rechtspopulisten kommen mit Rezepten, mit denen sie Europa schwach machen wollen. Unsere Aufgabe ist es, zu zeigen, das ist das Problem."

Von der Leyen nutzte ihre Bühne vor dem gut besuchten Publikum, um sich klar gegen Rechtsaußen zu positionieren. Dabei gab sie sich gelassen und gut gelaunt. Vor allem in der Festigung der Demokratie sehe sie eine große Aufgabe für die Zukunft, sagte sie - so wie auch viele andere Expert:innen. Der Bundesminister für besondere Aufgaben und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt sprach unterschiedliche Ursachen für den deutschen Rechtsruck an, die nicht klar der Politik der Ampelparteien zuzuschreiben seien: "Ich glaube, dass wenn man sich die Gründe anguckt, die Inflation, Krieg, Russland, die große Anzahl von Geflüchteten in unserem Land, dass das alles Themen sind, die die Menschen aufwühlen." Schmidt hofft, dass sich das unter anderem mit dem Rückgang der Inflation bessert.

Gefahr durch Künstliche Intelligenz

"Deepfakes sind wie Messer - man kann sie missbrauchen oder gebrauchen"

Text-, Audio- oder Video-Deepfakes - mit Künstlicher Intelligenz lassen sich mediale Inhalte im Netz manipulieren. Deshalb sind sie anfällig für Missbrauch, sagen Experten. Schützen kann man sich am besten mit dem Wissen darüber. Von Anna Bordel

Wo trifft sich die Netzgemeinde nach Twitters langsamen Tod?

Ob Populismus, Migration oder Klima: Einige der Themen haben sich stark von digitalen Aspekten gelöst und werden auch und ausschließlich für die analoge Welt debattiert. Das zeigt, wie sehr sich die Republica vom ursprünglichen Ansatz der Netzpolitik entfernt hat. Andersherum kommen nun aber auch Politiker:innen zu Gast, die selbst nicht als Vorreiter der Digitalisierung gelten, sagt Konferenz-Organisator Markus Beckedahl: "Hier prallen Welten aufeinander, im Idealfall begegnen sich Politiker:innen und zivilgesellschaftliche Stimmen auf Augenhöhe, die sonst nicht viel miteinander in Dialog treten können."

Viele Träume der Republica-Gründer sind 17 Jahre nach der Premiere geplatzt. Zum Beispiel das Versprechen, Menschen digital zu verbinden, um die Welt zu einer besseren zu machen. Mitgründer Johnny Häusler fragte am Montag in einer Session, wie und wo sich die Netzgemeinde jetzt noch online treffe, nachdem Elon Musk Twitter kaputt gemacht habe. Die Teilnehmenden konnten ihm auch nicht helfen: Die Netzgemeinde hat sich auf neuen Kanälen verstreut, bildet keine Community mehr, eine Antwort ist nicht in Sicht.

Wer kümmert sich? - Und wen kümmert's?

Doch zumindest eines haben die Veranstalter:innen hinbekommen: Die große Politik kommt an ihnen nicht mehr vorbei. So auch beim größten der Themenschwerpunkte, dem Fokus auf der Digitalisierung des Pflege- und Gesundheitswesens. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach stellte sich am Mittwoch der Diskussion, ob wir bei einer nächsten Pandemie besser - und vor allem digitaler - aufgestellt wären und wie wir in Zeiten des demografischen Wandels die Pflege der Zukunft gestalten.

Das diesjährige Motto "Who Cares?" spiegelte sich auf vielfältige Weise. Es ist eine Frage, die doppeldeutig übersetzt werden kann in: "Wer kümmert sich?" und "Wen kümmert's?". Wer sich kümmert, wird gleich zu Beginn der dreitägigen Konferenz gezeigt: In einer Collage stellen sich einige der 1.000 Speaker:innen vor, beginnen jeweils den Satz mit "Ich kümmere mich um...". Um die Folgen von Klimawandel, Krieg oder einen besseren Umgangston.

Kümmerer, Bekümmerte und die KI

Beim Kümmern könnte künftig Künstliche Intelligenz helfen, doch dafür braucht es klare Regularien für einen demokratischen Umgang. Das war Konsens unter Vortragenden und Gästen. KI wurde vielfach thematisch eingebunden: Wie lässt sich KI zur Therapie oder Trauerarbeit nutzen? Sind Pflegeroboter ein Weg, Kümmernde in der Pflege zu entlasten? Was macht es mit unserer Gesellschaft, wenn Care-Arbeit künftig nicht mehr nur auf den Schultern weniger, schlecht bezahlter bis ehrenamtlich Arbeitender getragen wird?

Denn wer sich eigentlich kümmert, ist nicht überraschend: Laut Statistischen Bundesamt leisten Frauen jeden Tag eine Stunde mehr Care-Arbeit, also unbezahlte Aufgaben wie müde Kinder ins Bett bringen oder pflegebedürftige Eltern aus dem Bett helfen. Deutschland steuere auf eine Care-Krise zu, sagt die Buchautorin Teresa Bücker in ihrem Vortrag über Zeitgerechtigkeit. Bis 2035 werde es über eine Million mehr pflegebedürftige Menschen geben, warnt sie: "Uns sollte allen bewusst sein, dass der demografische Wandel in Deutschland bedeuten wird, dass auch ältere Erwerbstätige in den nächsten Jahren Arbeitszeiten verkürzen werden, um die eigenen Eltern zu pflegen." Es brauche wegen des Fachkräftemangels politische Lösungen. "Sonst enden wir im Chaos."

Es lässt sich nicht leicht beantworten, ob die gestellten Fragen und Ideen auf der Digitalkonferenz zielführend sind. Aber Impulse geben sie allemal.

An der Recherche und Mitarbeit für diesen Artikel waren Nils Kinkel (NDR), Michel Setz (HR) und Nora Wilker (WDR) beteiligt.

Sendung: rbb24 Radioeins, 27.05.2024, 12:40 Uhr

Beitrag von Jenny Barke

Artikel im mobilen Angebot lesen