Repräsentative Studie
Herabwürdigung der Arbeit, Beleidigungen, Bedrohungen: Einer neuen Studie zufolge sind Wissenschaftler in Deutschland oft Angriffen ausgesetzt. Auch Forschende in der Region Berlin-Brandenburg sind betroffen. Von Fabian Grieger und Torsten Mandalka
Daniel Saldivia Gonzatti ist Protest- und Konfliktforscher am Berliner Wissenschaftszentrum für Sozialforschung. Dort analysiert er neue Protestbewegungen in Deutschland. Kürzlich befasste sich Saldivia auch mit den Bauernprotesten und äußerte sich zur Blockade einer Fähre, auf der sich der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck befand. Nach einem Interview bei tageschau24 wurde Saldivia in den sozialen Medien angegangen - von gleich mehreren Seiten. Seine wissenschaftliche Kompetenz wird angezweifelt, aber auch, ob sich sein Forschungsfeld überhaupt für wissenschaftliche Studien eignet.
Und auch sein politisches und gesellschaftliches Engagement gerät in den Fokus. "Dann ging es sehr schnell darum, dass ich politisch in einer Partei engagiert bin", erklärt Saldivia. "Und dann findet eine Art politische Diffamierung gegenüber meiner wissenschaftlichen Arbeit statt – bis hin zu rassistischen Ausdrücken."
Auf der Plattform X wird Salvidia sogar direkt bedroht: "Mach dir keine Sorgen. Wenn in diesem Land wieder Ordnung einkehrt, bringen wir dich dahin zurück, wo du hingehörst, du Möchtegern", heißt es dort. Nach langem Ringen und professioneller Beratung entscheidet sich der Forscher am Ende dennoch: "Ich äußere mich weiterhin, wenn es passend ist und ich meine Expertise einbringen kann."
45 Prozent aller Forschenden in Deutschland haben schon einmal Anfeindungen erlebt. Das zeigt jetzt erstmals eine bundesweite Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW), die rbb24 Recherche vorab vorliegt. Sie basiert auf einer Umfrage unter rund 2.600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern.
Die Anfeindungen sind dabei laut Studienleitung häufig ideologisch motiviert. Die Studie zeigt: Je aktueller und politisch umstrittener das Forschungsfeld ist, desto eher werden Wissenschaftler angefeindet. Daraus lässt sich die Prognose ableiten, dass insbesondere wissenschaftliche Äußerungen zu Themen wie Krieg und Frieden in Nahost und der Ukraine oder zum Klimawandel Anfeindungen auslösen können.
In der Mehrzahl der Fälle geht es demnach um das offene Anzweifeln der Kompetenz und das Herabwürdigen von Forschungsergebnissen. Die Beleidigungen und Drohungen erfolgen nicht nur in sozialen Medien und digitalen Kanälen, sondern auch im Alltag, im Büro und auf der Straße. Schwere Formen wie Vandalismus, Hassrede oder gar physische Angriffe sind laut der Studie allerdings selten. Derartige Angriffe werden jedoch angedroht - das berichteten 17 Prozent derer Befragten, die Anfeindungs-Erfahrungen gemacht haben.
Häufig und heftig angefeindet wurde der Wissenschafts-Promi Christian Drosten von der Berliner Charité. Über Pöbeleien gegen ihn und seine Familie auf einem Camping-Platz in Mecklenburg-Vorpommern wurde breit berichtet. Weniger bekannt ist ein Vorfall im September 2023 im Naturkundemuseum Berlin. Der Virologe war dort zu einem Vortrag eingeladen. Das Thema lautete: "Pandemische Gefahren vor und nach Covid-19".
Schon zu Beginn der Veranstaltung, so beschreibt es Museumsdirektor Johannes Vogel, "gab es ein paar Leute, die sich sehr aufdringlich um Herrn Drosten gekümmert haben". Während des Vortrags gab es dann aggressiv-provozierende Fragen, einen Zwischenrufer, der behauptete, Drosten klebe "Blut an den Händen".
Moderator Johannes Vogel und Wissenschaftler Christian Drosten selbst versuchten ruhig zu bleiben, Fragen möglichst sachlich zu beantworten. Aber, so erinnert sich Vogel: "Es gab Augenblicke, in denen nicht auszuschließen war, dass es auch zu körperlichen Handlungen kam. Der Abstand zwischen Menschen, den man normalerweise hält, ist ganz deutlich unterbrochen worden. Das war auch Absicht."
Doch die Mehrheit im Publikum stellte sich dann deutlich gegen die Provokationen. Am Ende kam heraus: Die Störer gehörten nach rbb-Erkenntnissen einer Gruppe von Impfskeptikern an, die später Videos davon ins Netz stellten, um ihre eigenen Themen zu propagieren.
Sehr häufig angefeindet werden laut Studie Geisteswissenschaftler und Naturwissenschaftler. Befragte aus den Lebenswissenschaften wie Medizin, Virologie, Biologie meldeten überdurchschnittlich oft schwere Anfeindungen. Bei diesem Ergebnis liegt ein Zusammenhang zur Debatte um Corona nahe. Vergleichsweise wenig betroffen sind die Ingenieurswissenschaften.
Nach Angabe der Studien-Autoren gingen die Abwertungen auch oft mit aktiver Diskriminierung einher, mit sexistischen oder rassistischen Angriffen. Frauen berichten zudem noch etwas häufiger über solche Vorfälle als Männer.
Forschende in Ostdeutschland waren zudem stärker von politisch motivierten Angriffen betroffen, wie aus den offenen Antworten der Studien-Umfrage hervorgeht. Studienleiter Clemens Blümel vom Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) geht deswegen davon aus, dass das auch für Brandenburg gilt. Die BTU Cottbus oder die Viadrina in Frankfurt (Oder) konnten das aber auf Anfrage von rbb24-Recherche nicht bestätigen.
Die Studien-Autoren betonten, dass die berichtete Anfeindungen oft schon länger zurücklagen. Es handele sich also nicht um ein neues Phänomen. Das berichteten bereits im vergangenen Jahr auch die Klimaforscher Stefan Rahmstorf und Hans Joachim Schellnhuber vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung.
An der Studie waren mehrere wissenschaftliche Institutionen unter Federführung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung beteiligt. Die Daten wurden in den letzten vier Monaten des vergangenen Jahres erhoben.
Die Absicht der Täter sei offensichtlich, bestimmte Forscher:innen mundtot zu machen und unliebsame Erkenntnisse zu negieren, heißt es von den Studien-Autoren. Forschungsleiter Clemens Blümel rät Wissenschaftler:innen in der Konsequenz dazu, bei der Wissenschaftskommunikation achtsam zu sein. Denn die Autoren registrieren auch, dass an den Instituten selbst - unter KollegInnen - die Kommunikation nicht immer zum Besten steht. So helfe es deutlich zu machen, dass es auch in der Wissenschaft Unsicherheiten gibt, Fehler müssten kommuniziert werden, sagt Blümel. Insgesamt helfe es, ein "realistisches Bild der wissenschaftlichen Praxis" zu zeichnen.
Johannes Vogel vom Berliner Naturkundemuseum setzt auf "Open Science", also für Dialogveranstaltungen wie den mit Christian Drosten. Er fordert die Wissenschaft insgesamt dazu auf, sich an einem Tag der Woche dem Austausch mit Bürgern zu widmen – das könne die Demokratie stärken. An so einem Tag, sagt Vogel gegenüber rbb24 Recherche, sollten Forscher nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch zuhören, welche Fragen die Menschen haben.
Sendung: rbb24 Abendschau, 16.05.2024, 19:30 Uhr
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Beitrag von Fabian Grieger und Torsten Mandalka, rbb24 Recherche
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