rbb24
  1. rbb|24
  2. Panorama
Quelle: dpa/Raphael Huenerfauth

Berliner Jugendgefängnis

"Manche junge Männer aus anderen Staaten sehen uns am Anfang als Feinde"

Im Berliner Jugendgefängnis sitzen überproportional viele Jugendliche mit Migrationshintergrund eine Haftstrafe ab. Wieso ist das so? Und wie wirkt sich das auf den Alltag im Gefängnis aus? Von Anna Bordel

Sie oder ihre Familien kommen größtenteils aus der Türkei, aus arabischen und osteuropäischen Ländern - die Jugendlichen, die im Berliner Jugendgefängnis ihre Haftstrafe absitzen. Anfang Juni hatten 66 Prozent der inhaftierten Jugendlichen eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit. Dazu kommt noch ein Anteil Jugendlicher, die einen deutschen Pass haben, deren Familie aber eine Migrationsgeschichte hat. Insgesamt haben 70 bis 80 Prozent der Inhaftierten einen Migrationshintergrund, so der Leiter der Jugendstrafanstalt, Bill Borchert.

Zum Vergleich: Etwa 23 Prozent der 2023 in Berlin lebenden 14- bis 21-Jährigen haben laut dem Amt für Statistik Berlin-Brandenburg einen ausländischen Pass. Deutsche mit Migrationshintergrund waren demnach 25 Prozent. Der Anteil der Jugendlichen im Gefängnis, die einen Migrationshintergrund haben, ist also deutlich höher als ansonsten in Berlin.

Jugendstrafanstalt Plötzensee

"Ich will hier nie wieder rein"

Mehrere Hundert Jugendliche sitzen in Berlin derzeit ihre Haftstrafe ab. Dort gehen sie in die Schule, machen ihre Ausbildung und sitzen in ihren Zellen. Wie lange, hängt auch davon ab, wie gut das Team gerade besetzt ist. Ein Besuch. Von Anna Bordel

Kein Vertrauen in die Justiz

Borchert unterteilt die Jugendlichen mit Migrationsgeschichte in drei Gruppen. Es gebe die Jugendlichen, die in Berlin aufgewachsen und sozialisiert seien, die aber nicht die deutsche Staatsangehörigkeit hätten. Dann gebe es diejenigen, die in Deutschland geboren seien und deren Eltern aus einem anderen Land stammten. Und dann gebe es noch eine Gruppe Jugendlicher nicht-deutscher Herkunft, die auf der Durchreise oder erst sehr kurz hier gewesen seien, die kaum Anknüpfungspunkte an Deutschland oder Berlin hätten.

Und natürlich beeinflussen die kulturellen Hintergründe der jungen Männer den Alltag im Gefängnis. Das kann auch schwierig werden, nicht selten gleich zu Beginn der Haft. "Manchmal erleben wir, dass es kein Vertrauen gibt in die Justiz und die Polizei. Manche junge Männer aus anderen Staaten sehen uns am Anfang als Feinde und jemanden, der eine Gefahr für sie darstellt", erzählt er. Wenn sie aber mit der Zeit sähen, dass sie nicht misshandelt oder gefoltert würden und die Sprache besser erlernten, werde es meist einfacher, sagt er.

Zur Info

Imam hilft bei kultureller Verständigung

Ohnehin ist Sprache nicht selten ein Hindernis an diesem Ort. Nicht alle sprechen gleich gut Deutsch, manche sogar gar nicht. Ein Inhaftierter erzählt, dass das schnell zu Streit führen könne. "Da kommt es schnell zu Missverständnissen", sagt er. Zum Beispiel nachmittags, wenn die Inhaftierten eines Flurs aus ihren Zellen dürften und die Gemeinschaftsräume wie die Küche nutzten. Wenn einer dem anderen nicht verständlich machen könne, dass er in zehn Minuten fertig sei mit Kochen, könne diese Situation Ursprung eines Streits werden, erklärt Borchert.

Auch andere Bräuche und kulturelle Ansichten können zu Konflikten führen. Eine Zeitlang waren geknüpfte Gebetsteppiche verboten, da sie zu viel Versteckmöglichkeiten für Verbotenes bieten würden. Einige junge Männer waren aufgebracht. Damals konnte ein Imam, der als Seelsorger und für das Freitagsgebet in die Haftanstalt kommt, letztlich vermitteln und den Männern verdeutlichen, dass ein Moslem auf Reisen auch auf einem sauberen Handtuch beten könne.

Subkultur unabhängig von Herkunft

Die Ansprache durch Menschen mit einem ähnlichen kulturellen Background der Inhaftierten sei häufig hilfreich, so Borchert, zum Beispiel auch, wenn es um Rollenbilder gehe. "Es ist ein Unterschied, ob ich oder eine Psychologin mit den jungen Männern über Rollenbilder spreche, die wir nicht aus der türkischen oder arabischen Community kommen, oder ob es Menschen machen, die das eben sehr wohl sind", sagt der Gefängnisleiter. Die Jugendlichen würden sich dabei einfach anders verstanden fühlen und das Gesagte sei glaubhafter.

Die Inhaftierten werden nicht ihrer kulturellen Zugehörigkeit entsprechend im Gefängnis untergebracht. Das wäre zu kompliziert, sagt Borchert. Er zeigt sich auch sicher, dass die jeweilige Herkunft keine Rolle bei Bandenbildungen oder Subkultur innerhalb der Gefangenen spiele. "Die Subkultur kommt einfach deshalb zustande, weil hier Menschen eingesperrt sind und die versuchen, sich in ihrem begrenzten Raum, Dinge zu organisieren, die sie hier nicht haben dürfen, etwa Handys. Da ist es egal, ob jemand aus Afghanistan oder Bielefeld stammt", sagt Borchert.

Menschen mit Migrationshintergrund häufiger von Risikofaktoren betroffen

Und trotzdem scheint es nicht immer egal zu sein, woher jemand kommt. Wieso ein verhältnismäßig hoher Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintegrund im Gefängnis sitzt, ist ein Phänomen, mit dem sich auch die Wissenschaft immer wieder beschäftigt.

Migrationshintergrund selbst ist kein Faktor, der begünstigt, kriminell zu werden. Jugendliche, die so schwer straffällig werden, dass sie ins Gefängnis müssen, eint häufig, dass sie "eine hohe Gewaltakzeptanz und ein geringeres Maß an Selbstkontrolle haben, und dass sie viel auf der Straße unterwegs sind", so sagt es Christian Walburg, der zu Jugendkriminalität in der Einwanderungsgesellschaft forscht.

Häufig hätten sie zu Hause selbst Gewalt oder wenig Zuwendung erlebt, seien nicht gut sozial eingebunden und würden sich in Freundeskreisen bewegen, in denen es öfter mal zu Problemen kommt. Menschen mit Migrationshintergrund seien etwas häufiger von den genannten Umständen betroffen, die es begünstigen, kriminell zu werden, sagt er.

Häftlinge über 60 in Berlin

Senioren hinter Gittern: Alt werden im Knast

Über 60-Jährige bilden eine kleine, aber stark wachsende Gruppe im Gefängnis. Wegen ihres Alters haben sie besondere Bedürfnisse. In Baden-Württemberg gibt es deshalb sogar ein eigenes Seniorengefängnis. Die Hauptstadt hat keins. Von Sabine Priess

Inhaftierte Jugendliche oft bildungsfern

"Migrantische Eltern wollen in der Regel genau wie andere das Beste für ihre Kinder, aber sie haben es tendenziell etwas schwieriger, sie gut zu fördern. Sie haben weniger Ressourcen, sprechen im Zweifel die Sprache nicht, es gibt auch etwas häufiger Gewalt in der Erziehung", sagt Walburg.

Wichtig sei immer, dass diese Zusammenhänge sich nicht umdrehen lassen. Viele intensiv straffällige Jugendliche haben keinen Schulabschluss und kommen aus benachteiligten Verhältnissen. Aber nur ein kleiner Teil der Jugendlichen ohne Schulabschluss und aus benachteiligten Verhältnissen wird wirklich intensiv straffällig und landet irgendwann im Gefängnis.

Auch Gefängnisleiter Borchert sieht mangelnde Beschäftigung als Ursache dafür, dass viele junge Männer kriminell werden. "Jeder will sich doch irgendwie finanzieren und nicht immer nur von Leistungen leben", so Borchert. Er würde es sich wünschen, dass Menschen in Deutschland schneller eine Arbeitserlaubnis bekommen. Auch dass er die Häftlinge nach der Haft einfacher in den Arbeitsmarkt vermittelt bekäme.

"Das Gefängnis ist kein guter Ort, um sich persönlich zu entwickeln, und ich wünsche es niemandem, hier zu landen", sagt er, "aber manche ergreifen hier auch eine Chance". Einige würden im Gefängnis ihren Schulabschluss schaffen oder eine Ausbildung beginnen. Er fände es wünschenswert, diese Menschen im Anschluss an die Haft einfacher im regulären Arbeitsmarkt unterzubekommen.

 

 

Sendung: rbb24 Inforadio, 15.06.2024, 22:20 Uhr

Beitrag von Anna Bordel

Artikel im mobilen Angebot lesen