Interview zum Opferfest
Iman Andrea Reimann konvertierte in den 1990er Jahren zum Islam. Über die Bedeutung des am Samstag beginnenden Opferfests - des wichtigsten muslimischen Fests - und die Pläne für eine Drei-Religionen-Kita spricht sie im Interview.
rbb: Frau Reimann, am Sonntag beginnt das Opferfest. Welche Bedeutung hat das für Sie und wie werden Sie es hier in Berlin feiern?
Iman Andrea Reimann: Mit meiner Gemeinde, dem Deutschen Muslimischen Zentrum, treffen wir uns in einem großen Festsaal in Kreuzberg. Da kommen über 1.000 Leute zusammen. Nach Ramadan hatten wir etwa 1.200 Teilnehmer, und ich gehe davon aus, dass wir auch zum Opferfest wieder so viele sein werden. Das Opferfest ist eines der schönsten Feste im Islam.
Traditionell werden ja auch Tiere geschächtet und das Fleisch an Bedürftige verteilt. Wie wird das in einer deutschen Großstadt wie Berlin gehandhabt?
Rechtlich ist das Schächten hier nicht erlaubt. Deswegen spendet man das Geld über eine Hilfsorganisation oder über Verwandte in den Herkunftsländern. Man transferiert Geld und bittet, in seinem Namen ein Tier zu schlachten, das dann an Bedürftige verteilt wird.
Spielt in diesem Jahr auch der Krieg in Gaza dabei eine Rolle, an wen gespendet wird? Gibt es da spezielle Hilfsaktionen?
Das ist immer ein Thema und hängt davon ab, wo man sich hingezogen fühlt. Wenn ich zum Beispiel aus Marokko stamme und weiß, dass es dort noch Opfer von Erdbeben gibt, würde ich wahrscheinlich eher dorthin spenden. Es hängt davon ab, wo man Verwandte hat oder wer gerade Hilfe braucht.
Wie bereiten Sie sich auf das Opferfest vor?
Vor dem Opferfest haben wir die zehn Tage von Dhu al-Hijjah [Anm. d. Red. Name des zwölften und letzten Monats im Jahreskreislauf des islamischen Kalenders]. Man soll ähnlich wie im Ramadan zur Besinnung kommen, sich fragen, was gut gelaufen ist und worauf man sich noch einmal fokussieren möchte.
Das Opferfest bedeutet, dass ich Dinge loslasse, die mich nicht voranbringen. Wenn ich also Eigenschaften an mir feststelle, die nicht so toll sind, sollte ich das hinterfragen. Ein Ziel kann auch die Versöhnung sein – mit Menschen, mit denen ich im Streit bin.
Das Opferfest geht zurück auf Sure 37 im Koran. Darin wird erzählt, dass Gott Ibrahim befiehlt, seinen Sohn zu opfern. Im letzten Moment hält ein Engel Ibrahim von dem Opfer ab. Stattdessen wird ein Widder geschlachtet und Ibrahim wird für seinen Gehorsam gegenüber Gott belohnt. Dieselbe Geschichte gibt es in der Bibel mit Abraham und seinem Sohn Isaak. Das verbindet eigentlich Islam, Christentum und Judentum. Eine interreligiöse Verbindung, nicht wahr?
Auf jeden Fall. Man kann da sehr viel hineininterpretieren und am Ende ist es egal, ob Isaak oder Ismael dort steht. Für die jeweilige Religionsgemeinschaft hat es natürlich eine Bedeutung. Aber es geht vor allem um die innere Auseinandersetzung. Was bin ich bereit abzugeben, was ich sehr liebe und worauf ich vielleicht lange gewartet habe? Diese Auseinandersetzung zwischen Mensch und Gott spielt hier eine zentrale Rolle.
Sie haben den interreligiösen Dialog zu Ihrer Hauptbeschäftigung gemacht. Hat das auch mit Ihrer Biografie zu tun? Sie stammen aus einer Pfarrersfamilie. Ihr Großvater war Pfarrer in der DDR, auf einem Dorf in Brandenburg. Sie selbst sind also christlich aufgewachsen.
Für mich ist es bis heute ein großes Geschenk, dass ich so aufwachsen konnte. In der Geborgenheit, die der Glaube an Gott gibt, der einen auch in schwierigen Zeiten trägt und etwas Besonderes bereithält. Das ist für mich bis heute sehr wichtig.
Trotzdem hat Sie die Geschichte über Umwege doch zum Islam geführt. Zunächst sind Sie mit Ihrer Mutter nach Westdeutschland gegangen. Drei Jahre später kamen Sie nach Kreuzberg, an den Kottbusser Damm. Haben Sie dort in der Schule den Islam kennengelernt?
Ich habe Jugoslawen, Polen und Türken in der Klasse kennengelernt. Da hat das noch keine große Rolle gespielt. Ich hatte eine türkische Freundin, die nach den Sommerferien in der sechsten Klasse mit einem langen Mantel und Kopftuch wiederkam. Das hat mich überrascht, und ich habe gemerkt, dass es auch etwas anderes gibt. Aber es war irgendwie normal, wir haben uns nicht groß darüber ausgetauscht. In der Oberschule habe ich dann mehr von Muslimen erfahren, aber das hat mich nicht wirklich berührt.
Das Interesse kam erst Anfang meiner Zwanziger Jahre. Damals kam ich mit dem Thema Sterben in Kontakt. Ich habe mich gefragt, was passiert, wenn wir sterben. Ich hatte keine Ahnung und wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Dann habe ich ein Buch gefunden, das sich aus muslimischer Sicht mit Sterben und Leben beschäftigt, und das hat mich überzeugt.
Was hat Sie daran überzeugt?
Mein Leben in religiöse Praxis zu überführen, also nicht nur zum Gottesdienst zu gehen, sondern die fünf täglichen Gebete zu verrichten. Diese Struktur, sich immer wieder innerlich auszurichten, war für mich wichtig. Wo stehe ich eigentlich? Bin ich an Gott noch nah dran oder nicht? Warum mache ich überhaupt Dinge? Diese Reflexion hat mir die Augen geöffnet und ich dachte, das passt doch irgendwie gut zu mir.
Und das passte besser als das Christentum?
Ja, obwohl ich das nicht unbedingt abgewogen habe, was die guten und die schlechten Seiten sind. Es war einfach so. Ich habe gesagt, so mache ich das, und das ist, glaube ich, auch eine Typfrage.
Das war etwa Mitte der 1990er. Damals kam das wahrscheinlich noch nicht so häufig vor, oder? Haben Sie viele komische Blicke geerntet?
Ja, besonders als ich angefangen habe, mich zu bedecken, also den Hijab, das Kopftuch, zu tragen. Das war natürlich auffälliger, und es gab viele Fragen wie: "Warum machst du das jetzt?" Es gab damals auch kaum deutschsprachige Angebote. Es gab nur zwei Gruppen, und bei einer, dem Deutschen Muslimischen Zentrum, bin ich geblieben. Es war wirklich nicht einfach, sich mit Literatur und anderen Dingen zu beschäftigen, weil es das einfach nicht gab.
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Seitdem ist viel passiert. Sie haben das Muslimische Zentrum in Moabit geleitet. Derzeit sind sie mit den Planungen einer Drei-Religionen-Kita beschäftigt - zusammen mit Ihren jüdischen und christlichen Partnerinnen. Dafür haben Sie vor ein paar Tagen den Förderpreis der Deutschen Nationalstiftung bekommen. Was ist die Idee und das Konzept des Drei-Religionen-Kita-Hauses?
Die Idee, die wir seit über zehn Jahren verfolgen, ist, dass wir Kinder in ihrer eigenen Religion beheimaten wollen. Das bedeutet nicht, dass alle Kinder oder Familien denselben Standpunkt oder das gleiche Religionsverständnis und die gleiche Praxis haben müssen. Aber sie sollen Basis-Wissen erhalten und sich gut damit fühlen können, um dann auch mit den anderen in Begegnung zu kommen. Wir haben auf den verschiedenen Etagen Räume, in denen man zusammen Musik machen oder im Freigelände Sport treiben kann.
Durch solche Projekte sollen die Kinder merken, dass es eigentlich total cool ist, mit anderen zusammenzukommen, die eine ganz andere Praxis haben. Wir hoffen, dass wir durch die Elternarbeit ins gesellschaftliche Leben eingreifen können. Denn Eltern gehen auch an andere Orte, treffen wieder Menschen und können Dinge weitergeben, die sie bei uns erleben. So haben wir die Hoffnung, dass wir ein Stück weit die Berliner Gesellschaft positiv beeinflussen können, was das Zusammenleben angeht.
Aber es gibt doch viele Kitas oder Schulen, in denen sich christliche, nichtgläubige, muslimische und manchmal auch jüdische Kinder treffen. Was ist das Besondere an Ihrem Projekt?
Wir konstruieren eine Gleichheit, die es so nicht gibt. In Kindergärten oder Schulen gehört eine Gruppe oft der absoluten Minderheit an. Sich dann zu behaupten oder etwas repräsentieren zu müssen, ist manchmal sehr anstrengend oder kann zum Ausschluss führen. Das möchten wir durch dieses Projekt verhindern. Bei uns sind alle Religionen in gleicher Anzahl vertreten, was nicht bedeutet, dass sich keine Eltern anmelden können, die keiner Religion angehören. Diese müssten aber das Konzept mittragen.
Der Bau sollte eigentlich im Laufe dieses Jahres fertig sein. Wie ist denn jetzt die Prognose?
Es stellt einen vor große Herausforderungen, ein Bauvorhaben umzusetzen. Ab November werden wir das Baugrundstück nutzen können, nachdem alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt sind. Dann wird das Baugrundstück vorbereitet, sodass Anfang nächsten Jahres, also 2025, richtig losgelegt werden kann.
Wie wird das finanziert?
Normalerweise über den Kita-Ausbau der Senatsverwaltung für Bildung und Jugend. Zusätzlich bekommen wir Unterstützung von der Senatsverwaltung für Kultur und gesellschaftlichen Zusammenhalt, Aktion Mensch und anderen Töpfen. Es ist also eine sehr solide Finanzierung.
Sie setzen sich auf vielen Gebieten für interreligiöse Verständigung und Zusammenarbeit ein. Aber müsste man in einer Stadt wie Berlin, in einer so religionsfernen Stadt, nicht auch die Nichtgläubigen mehr einbeziehen?
Bestimmt, und ich glaube, dass das in Zukunft auch noch mehr passieren wird. Wir haben hier das Berliner Forum der Religionen, das dieses Jahr sein zehnjähriges Bestehen feiert. Es umfasst etwa 100 Gruppen, von Weltanschauungen über spirituelle Gruppen bis hin zu Religionsgemeinschaften. Ich denke, sie sind sehr gute Partner und Türöffner, um noch mehr Menschen mit verschiedenen Hintergründen und Einstellungen anzusprechen.
Was gut läuft, sind Veranstaltungen in Moscheen oder Kirchen, wo man versucht, Themen mit nichtgläubigen Menschen zu diskutieren. Jeder glaubt ja an irgendetwas, aber ich benutze "Nichtgläubige" nur als Vokabel, um Verständnis zu schaffen und ins Gespräch zu kommen. Es geht nicht darum zu sagen: "Ah, wenn du religiös bist, können wir zusammenarbeiten." Das können wir uns, glaube ich, nicht mehr leisten. Wir müssen alle zusammenhalten, um die Themen unserer Stadt und der Menschen zu bearbeiten. Das Religiöse oder Nichtreligiöse ist für mich dann eher zweitrangig.
Sie setzen auf den Dialog im kleinen Kreis, der sich dann verbreitet und auf Multiplikation mit möglichst vielen Menschen. Was erhoffen Sie sich für die nächsten Jahre für Ihre Arbeit?
Zum einen erhoffe ich mir, dass ich weiterhin Energie und Motivation habe. Und von den Menschen, mit denen ich bis jetzt zusammenarbeite, dass wir diesen Weg gemeinsam weitergehen. Ich hoffe, dass wir in Deutschland, in Berlin, keine politischen Verhältnisse bekommen, die das religiöse Leben noch mehr einschränken oder unmöglich machen und dadurch das gesamtgesellschaftliche Zusammenleben noch mehr einschränken oder polarisieren. Wir müssen vermeiden, dass Gruppen gegeneinander ausgespielt werden. Ich hoffe, dass wir dem entgegenwirken können. Und ich wünsche mir noch mehr schöne Projekte, vielleicht eine interreligiöse Schule oder ähnliche Initiativen.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview mit Iman Andrea Reimann führte Ursula Vosshenrich für Radio3.
Der Text ist eine redigierte und gekürzte Fassung. Das vollständige Interview können Sie oben im Audio-Player nachhören-
Sendung: rbb24 Inforadio, 16.06.2024, 12:30 Uhr
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