Interview | Beratung für Frauen in Brandenburg
Häusliche Gewalt gegen Frauen und Kinder ist immer ein Thema. Aber es gibt Zeiten, in denen sie besonders virulent ist. Damit auch Frauen in ländlichen Bereichen Unterstützung bekommen, gibt es die Land-Grazien und ihr getarntes Beratungs-Mobil.
rbb|24: Hallo Frau Peters. Sie wenden sich mit Ihrem Hilfsangebot, den Land-Grazien, explizit an Frauen, die im ländlichen Bereich leben. Sind Männer auf dem Land auf besondere Art gewalttätig?
Miriam Peters: Nein, sind sie nicht. Die Art und die Form der Gewalt unterscheidet sich kaum zwischen Stadt und Land. Auf dem Land findet die Gewalt noch mehr im Unsichtbaren statt. Sie wird noch mehr versteckt.
Weiß man nicht gerade im Dorf ganz genau, in welchen Familien es zu Gewalt kommt?
Tatsächlich bekommen es schon viele mit. Wir erleben es immer wieder in der Praxis, dass die Dorfbewohner schon wissen, wo es zuhause brennt und wo Gewalt stattfindet. Doch es ist oft so, dass die Vorstellung herrscht, dass man sich in das Private anderer Menschen nicht einmischt. Viele Menschen fühlen sich da total überfordert. Sie wissen nicht, wie sie es angehen sollen und wo es adäquate Unterstützung gibt.
Richtet sich Ihr Unterstützungsangebot ausschließlich an betroffene Frauen oder auch an etwaige Unterstützer?
Unsere Hauptzielgruppe sind selbst betroffene Frauen. Aber wir beraten auch alle anderen, die Unterstützung brauchen, weil sie zum Beispiel Zeuge wurden oder einen Verdacht haben.
Sie ermöglichen Frauen auf dem Land mit ihren Angeboten also einen leichteren Zugang zu Hilfe?
Genau. Wir bauen durch unsere Arbeit Hürden ab. Viele, die in ländlichen Regionen wohnen, wissen gar nicht, wo es Unterstützung gibt. Und in vielen Bereichen gibt es auch einfach gar keine. Wenn es sie gibt, befindet sich diese häufig in Städten. Dort können viele Betroffene gar nicht hinkommen. Weil sie keinen freien Zugang zu einem Pkw haben, die Infrastruktur so schlecht ist oder die Frauen auch gar nicht in die nächste Stadt fahren möchten, weil sie sich dadurch unwohl fühlen. Diese ganzen Hürden führen dazu, dass viele Frauen die Entscheidung treffen, sich gar keine Unterstützung zu suchen.
Wie arbeiten Sie? Die Frauen verabreden sich mit Ihnen und Sie kommen nachhause zu den Betroffenen? Wenn der Mann dann früher von der Arbeit nachhause kommt, ist er sicher nicht angetan.
Um uns und die Frauen nicht in Gefahr zu bringen, machen wir das anders. Bei uns sollte sich frau erst einmal über Social Media, Mail, Telefon oder die gesicherte Chat-Funktion auf unserer Internet-Seite proaktiv melden. Wir vereinbaren dann einen Treffpunkt. Dafür haben wir ein Beratungsmobil, das von außen wie ein Handwerker-Bus aussieht. Es ist sogar mit Werbung beschriftet. Der hintere Bereich des Fahrzeugs ist als Büro umgebaut. Somit sind wir unabhängig von der Infrastruktur und den örtlichen Gegebenheiten und können uns überall dort treffen, wo frau sich ohnehin aufhält.
Ist es nicht Gesprächsthema Nummer eins im Dorf, wenn eine Frau dabei gesehen wird, wie sie in ein fremdes Handwerker-Auto einsteigt?
Wir treffen uns absichtlich mit den Frauen an Orten, wo das nicht weiter auffällt. Beispielsweise auf größeren Parkplätzen von Schulen oder Kindergärten. Das unterscheidet uns ja von anderen Beratungsangeboten, die in der Hinsicht mobil sind, als dass sie einmal im Monat auf dem Dorfplatz stehen.
Was können Sie für die Frauen tun?
Es kommt immer darauf an, was frau sich wünscht. Wenn sie sich trennen will und nicht weiß, wie sie das finanziell machen soll oder was sie rechtlich beachten muss, dann geben wir in erster Linie erstmal Informationen weiter. Wir zeigen den Frauen oftmals auch Alternativen auf, was sie machen können. Am Ende entscheidet die Frau, wobei genau sie Unterstützung braucht – oder eben auch nicht.
Wo fängt für Sie Gewalt gegen Frauen eigentlich an?
Gewalt fängt immer da an, wo frau selbst für sich definiert, dass ihr Gewalt angetan wird. Es geht oft mit psychischer Gewalt los. Die zeigt sich in Manipulation, Beleidigungen oder Herabsetzungen. Viele Frauen melden sich auch erst, wenn es das erste Mal zu Handgreiflichkeiten gekommen ist – also zu körperlicher Gewalt. Im Gespräch merkt man dann oft, dass es vorher schon zu sehr viel anderer Gewalt gekommen ist.
Denken Sie, die derzeit laufende Fußball-EM sorgt dafür, dass vermehrt Frauen der Gewalt von Männern ausgesetzt sind?
Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass häusliche Gewalt während großer Fußball-Ereignisse ansteigt. Dazu tragen unterschiedliche Faktoren bei. Einmal sind mehr Emotionen im Spiel. Sowas wie Frust oder auch Euphorie bei einem guten Sieg. Aber natürlich spielt da auch der Alkohol-Konsum eine große Rolle, der in dieser Zeit exponentiell ansteigt.
Spielt Alkohol im Kontext von häuslicher Gewalt insgesamt eine große Rolle?
Nein, das nicht. Aber er ist einer der Risikofaktoren. Umso mehr stressende Risikofaktoren - wie finanzielle Sorgen, Suchtprobleme wie Alkohol-, Drogen- oder Spielsucht, anstrengende Kinder, gesundheitliche Sorgen und so weiter – zusammenkommen, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, dass häusliche Gewalt stattfindet.
Mit Ihrer Arbeit für die Frauen auf dem Land haben Sie in Lübeck angefangen und weiten diese jetzt aus. Warum Brandenburg?
Wir haben in Schleswig-Holstein angefangen. Und unser Plan ist, in diesem Jahr noch bundesweit in ländliche Regionen zu gehen. Und Brandenburg ist ein großer, ländlich geprägter Raum. Da wir Online eine große Sichtbarkeit bekommen haben, erreichen uns Anfragen aus dem ganzen Bundesgebiet – und vermehrt aus Brandenburg.
Wie finanzieren Sie sich? Ein Handwerker-Mobil und eine Mitarbeiterin reicht ja nicht aus, wenn man bundesweit aktiv ist. Bekommen Sie Fördergelder?
Wir finanzieren uns ausschließlich über Spenden- und Stiftungsgelder. Öffentliche Förderung bekommen wir gar keine. Und ja, wir brauchen dann mehr Geld. Aber wir schauen auch immer nach neuen Möglichkeiten.
Wer spendet Ihnen Geld? Sind das vor allen Dingen Frauen?
Bei Privatpersonen ist das gemischt. Bei den Stiftungen kommt das Geld von der Hermann Reemtsma Stiftung und auch von der Stiftung Aktion Mensch.
Wenn Sie sich etwas wünschen könnten, was wäre es dann?
Ich würde mir von der Politik wünschen, dass das Recht auf ein Leben in Würde für Frauen endlich Priorität Nummer eins in den politischen Debatten wird. Wenn es so wäre, würden nämlich auch im Haushalt dementsprechende Mittel bereitgestellt werden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: Fritz, 21.06.2024, 20:30 Uhr
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