Interview | ARD-Wetterexperte
Anders als 2002 ist Brandenburg diesmal nicht von den heftigen Überflutungen in Deutschland betroffen. ARD-Wetterexperte Stefan Laps erklärt, was das mit den Alpen zu tun hat. Und dass Brandenburg jederzeit wieder von Wassermassen heimgesucht werden könnte.
rbb|24: Hallo Herr Laps. Süddeutschland geht gerade in Regenfluten unter – in Brandenburg hält sich der Niederschlag in Grenzen. Was unterscheidet die Gebiete aktuell – eine Art Wettergrenze?
Stefan Laps: Der Unterschied besteht im Wesentlichen darin, dass wir in der vergangenen Zeit Hochdruckgebiete vor allem über Skandinavien und Osteuropa hatten. Die haben ein Stück weit ihren Einfluss auf Berlin und Brandenburg geltend gemacht.
Wenn sich andererseits Tiefdruckgebiete vom Atlantik nähern, bekommt vorzugsweise eher der Westen den Regen. Bis sich so eine Front dann einmal bis nach Berlin und Brandenburg vorangearbeitet hat, hat sie sich meistens über den Mittelgebirgen überwiegend ausgeregnet. Dann kommen hier nur noch ein paar Tropfen oder höchstens einzelne Schauer hier an.
Das erklärt, warum es in der letzten Zeit in Berlin und Brandenburg weniger geregnet hat.
Im vergangenen Jahr war Brandenburg trockenstes deutsches Bundesland. Ist es hier immer trockener als in anderen Landesteilen?
Ja, hier regnet es grundsätzlich weniger als beispielsweise im Westen und im Süden Deutschlands. Das war schon immer so. Denn wir liegen normalerweise naturgegeben in einer westlichen Strömung. Das heißt, Tiefdruckgebiete und Tiefausläufer – also Regenwolken – ziehen in der Regel von West nach Ost über Deutschland hinweg. Das führt dazu, dass am meisten Regen in Benelux und im Westen und Nordwesten Deutschlands herunterkommt. In der Landesmitte sind die Mittelgebirge im Weg. Für uns in Berlin und Brandenburg ist der Harz entscheidend. Dort bleibt eine Menge hängen. Ein bisschen was auch noch im Fläming. Dahinter kommt dann überwiegend flaches Land. Das heißt also: Im Osten hat es schon immer weniger geregnet.
Und die aktuellen Überflutungen, warum sind die nur im Südwesten des Landes?
Wenn wir uns die aktuelle Wetterlage anschauen, sehen wir, dass das ein ganz besonderes Tief war. Es hat sich südlich der Alpen gebildet und feuchtwarme Mittelmeerluft nach Norden, also Deutschland, geschickt. Durch nordwestliche Winde ist diese feuchtwarme Luft im Süden Deutschlands regelrecht ausgequetscht worden. Denn dort sind die Alpen im Weg. Dort haben wir beispielsweise die Schwäbische Alb und Teile des Schwarzwaldes – das sind alles natürliche Hindernisse, gegen die die Luftmasse sozusagen gegengedrückt wurde. Deswegen hat es im Großraum der Schwäbischen Alb, in Oberschwaben, im Allgäu und an den Alpen generell so intensiv geregnet. Deutlich mehr als in Berlin und Brandenburg.
Gibt es für Berlin als verdichtete Stadt ein spezielles Niederschlagsverhalten?
Da sagen die Messwerte nichts Pauschales aus. Berlin ragt nicht sonderlich heraus. Es war im Vergleich zur näheren Umgebung in den letzten Jahren nicht herausragend trocken.
Kann man an der besonderen Trockenheit in der Region irgendetwas ändern?
Nein, daran kann man nichts ändern. Was im Zuge der Klima-Erwärmung aber immer mehr eine Rolle spielt, sind aber auch hier die sogenannten festgefahrenen Wetterlagen. Wir beobachten seit zehn, fünfzehn Jahren immer mal wieder, dass Wetterlagen unheimlich lange andauern. 2018 war ein Dürrejahr. Da hatten wir über viele Wochen und Monate hinweg Hochdruckeinfluss, also Trockenheit. Die Sonne schien viel und es fiel so gut wie gar kein Regen.
Jetzt haben wir das Ganze umgekehrt. Seit einiger Zeit sind überwiegend Tiefdruckgebiete bei uns Wetter bestimmend. Sie fühlen sich wohl und bringen immer mal wieder Nass von oben.
Die aktuellen Bilder aus Süddeutschland erinnern an das heftige Hochwasser zu Beginn des Jahrtausends in Brandenburg.
Ja. Und im Grunde genommen war es auch eine Wetterlage ähnlich wie diese, die 2002 für die Elbe-Hochwasserkatastrophe verantwortlich war. Da war das Ereignis nördlicher. Betroffen war vor allen Dingen Sachsen, aber auch große Teile Brandenburgs haben damals viel Regen abbekommen.
Es ist also bei aller Trockenheit in der Region Berlin und Brandenburg jederzeit möglich, dass auch wir erneut von einem großen Hochwasser-Ereignis getroffen werden können?
Genau. Und problematisch ist auch: Wir kennen das eher von typischen sommerlichen Gewitterlagen. Immer wenn man es mit feuchtwarmer Luft zu tun hat, in der sich kräftige Schauer und Gewitter bilden, die nicht so richtig vom Fleck kommen, kann es örtlich so stark regnen, dass Keller volllaufen, Unterführungen mit Wasser volllaufen und im Extremfall auch ganze Ortschaften überflutet werden können. Das kann also auch in typischen sommerlichen Gewitterlagen passieren. Die sind nämlich ziemlich dynamisch.
Apropos dynamisch. Unwetterwarnungen sind ja oft sehr diffus und nicht zielgenau. War das schon immer so und liegt schlicht in der Natur der Sache? Oder wird das irgendwann genauer vorhergesagt werden können?
Ich weiß, dass da eine ganze Menge geforscht wird. Gerade kürzlich ist ein neuer Wetter-Satellit ins All geschossen worden. Der wird die Wettervorhersagen zusätzlich mit sehr viel Atmosphären-Daten unterstützen, die einzelne Wetterstationen oder -ballone gar nicht erfassen können. Davon erhoffen wir uns, dass die Wettervorhersage noch besser werden kann.
Aber gerade bei Gewittervorhersagen sind wir aktuell nicht - waren es noch nie und es ist auch die Frage, ob wir es je sein werden – in der Lage, vorhersagen zu können, ob sich an Ort A oder B am nächsten Tag oder in den nächsten Stunden ein Gewitter entwickeln wird. Das können wir nicht. Was wir können, ist eine größere Region eingrenzen, in der Gewitter auftreten können. Und für diese Region können wir das Potenzial wahnsinnig gut abschätzen. Wir können also sagen, ob die Gefahr von Starkregen besteht, wie viel Regen herunterkommen kann und ob die Gewitterzellen langsam oder schnell ziehen. Auch ob es punktuelle Überflutungen geben kann, wie hoch die Wahrscheinlichkeit für Hagel ist und ob die Zutaten hierfür gegeben sind, können wir sagen. Oder ob beispielsweise lediglich starke oder auch stürmische Böen oder gar eine flächendeckende Sturmfront droht. Das können wir im Vorfeld gut abschätzen – für eine etwas größere Region.
Bildlich könnte man sagen, die Region, in der wir Gewitter erwarten, kann man sich wie einen Kochtopf mit Wasser auf dem Herd vorstellen. Irgendwann wird es anfangen zu blubbern. Wir wissen aber nicht, wo in diesem Topf die erste Blase aufsteigt. Die Natur lässt sich nicht hundertprozentig in die Karten gucken.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess, rbb|24
Sendung: rbb24 Inforadio, 03.06.2024, 13:40 Uhr
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