Neu-Berlinerin Jessica
Jessica wurde in Korea geboren und wuchs in der italienischen Metropole Mailand auf. Doch hier fühlte sie sich all die Jahre fremd und nicht anerkannt. Nun lebt und arbeitet sie in Berlin. Das hat vieles für die 29-Jährige verändert.
Berlin wächst. In 2023 sind rund 28.000 Menschen nach Berlin gezogen - aus den unterschiedlichsten Gründen. Für viele ist diese Stadt vor allem ein Sehnsuchtsort. Sie wollen sich hier einen Traum erfüllen: von einer Karriere, einem neuen Leben, von Freiheit. Welcome to Berlin! rbb|24 fragt: Wer sind sie - und wie ist es ihnen ergangen?
Zum Beispiel: Jessica Koh, 29 Jahre alt, wurde in Korea geboren und ist in Mailand aufgewachsen. In Italien fühlt sie sich ihr Leben lang als Außenseiterin und nicht willkommen. Sie studiert in Korea, jobbt in den USA und beschließt dann, nach Berlin zu gehen. Sie kennt die Stadt von mehreren Reisen. Hier gestaltet sie Apps und Websiten als UX-Designerin bei einem internationalen Start-Up.
In Italien ist kein Tag vergangen an dem nicht jemand "Ni Hao" (Anm. d. Red: Begrüßung auf chinesisch) oder "Hey, Chinese" gesagt hat. Einmal rief jemand: "Geh zurück in dein Land." In Mailand gibt es wenig asiatische Einwanderer, und im kulinarischen Bereich höchstens mal ein Sushi-Restaurant. Wir waren die einzige asiatische Familie in unserer Nachbarschaft. Also habe ich immer versucht, mich an die italienische Gesellschaft anzupassen. Aber es hat dazu geführt, dass ich damit aufgewachsen bin, mich selbst zu verleugnen und zu hassen.
Ich war für meinen alten Job ein paar Mal in Berlin, und ich habe mich hier sofort so viel leichter gefühlt. Du kannst Dich hier kleiden wie Du willst, Du wirst nicht beurteilt. Es ist eine Oase für Außenseiter. Ich habe das Gefühl Berlin ist dieser Ort, an dem ich lernen kann, ich selbst zu sein. Ich kann überlegen, was ich mag und was nicht. Ich bin hier weniger ängstlich und traue mich, raus zu gehen und Sachen auszuprobieren.
In Berlin habe ich angefangen koreanisch zu kochen. Es ist interessant: Wenn ich hier in einen asiatischen Supermarkt gehe - klar sehe ich da asiatisch aussehende Menschen. Aber ich sehe auch so viele Deutsche, Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Herkunft, und sie suchen nach Zutaten, die ich nicht kenne und noch nie probiert habe. Die Menschen hier sind so offen für unterschiedliche Küchen. Und solche Erlebnisse helfen mir, mein Trauma und die Angst, wie ich von nicht-asiatischen Menschen beurteilt werden könnte, zu überwinden.
Mein Freund ist Italiener und lebt in Paris. Wir sind seit zwei Jahren zusammen und führen eine Fernbeziehung. Das ist nicht einfach, dieses ständige sich treffen und sich wieder verlassen. Gerade weiß ich nicht genau, ob ich für diese Beziehung noch die Kraft habe. Er ist in vielerlei Hinsicht typisch italienisch und versteht nicht, warum ich mich weiter entwickeln möchte. Seine Unbekümmertheit tut mir gut, aber ich wünsche mir mehr Empathie von ihm. Und für mich ist klar: Aus Berlin gehe ich erstmal nicht weg, während er sich nicht vorstellen kann, hier zu leben.
Es ist verrückt, wieviel Selbsterfahrungs- und New Age-Kurse es hier in Berlin gibt – gerade für ein internationales Publikum. Ich habe schon Dark Matter Yoga probiert, Crystal Healing, Unblocking your voice... ich gehe regelmäßig Eisbaden und in die Sauna. Mir haben diese Kurse geholfen, mehr über mich zu erfahren. Zum Beispiel, dass ich mich nicht mehr Jessica nennen möchte. Diesen Namen habe ich mir als Schulkind gegeben, damit die anderen keine Witze machen. Meine Eltern haben mich Hyonyoung genannt. Aber alle haben immer gefragt, wie, was, häh?
Hyonyoung bedeutet auf koreanisch weise, helle Aura. Und deswegen bin ich jetzt Aura. Ich bin stolz auf meinen neuen Namen. Und ich bin sehr glücklich in Berlin.
Gesprächsprotokoll: Anna Bilger
Sendung: ARD-Mediathek - Welcome to Berlin, 22.06.2024
Beitrag von Anna Bilger
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