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Video: rbb24 Abendschau | 04.06.2024 | Anja Herr | Quelle: rbb/Anna Corves

Interview | Woche der Umwelt

Initiative verankert Umweltschutz in migrantischen Communities

Das Berliner Projekt "Yeşil Çember" sensibilisiert seit vielen Jahren türkische und arabische Communities für Umweltthemen. Im Interview erzählt Gründerin Gülcan Nitsch von Erfolgen und Herausforderungen - und warum sie manchmal sauer auf die Politik ist.

Yeşil Çember (Türkisch für Grüner Kreis) aktiviert seit 2012 türkischsprachige Menschen in Deutschland für Umweltthemen und nachhaltige Lebensstile. Am 4. und 5. Juni präsentiert sich die Initiative im Rahmen der "Woche der Umwelt" auf Einladung des Bundespräsidenten im Park von Schloss Bellevue.

Ich treffe die Gründerin Gülcan Nitsch am Rand des Nachbarschaftsfests am Kottbusser Tor. Für unser Gespräch müssen wir uns in einer Nebenstraße verstecken: Die lebhafte 50-Jährige wird ständig begrüßt, umarmt, in Gespräche verwickelt ...

Rbb: Frau Nitsch, Sie kennen hier ja Gott und die Welt!

Gülcan Nitsch: Ja, sicher! Erstens bin ich gebürtige Kreuzbergerin, wenn auch aus dem Bergmannkiez. Zweitens ist das Kottbusser Tor die Keimzelle von "Yeşil Çember.": Hier haben wir unsere allererste Aktion gestartet. Wir haben auf der Straße Menschen angesprochen, Stoffbeutel verteilt und gegen Plastik gekämpft. Das war der Beginn unserer Bewegung.

Wie kam es dazu?

Ich bin Biologin und war jahrelang in deutschen Naturschutzorganisationen aktiv. Umweltschutz ist mein Herzensthema, für mich war das selbstverständlich. Dass ich damit in meinem Umfeld eine Exotin war, hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe dann recherchiert und festgestellt, dass sich türkische Vereine kaum mit Umweltthemen beschäftigten.

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Woche der Umwelt

Und das wollten Sie ändern?

Ja, damit bin ich aber gescheitert. Die türkischen Vereine, mit denen ich Kontakt aufgenommen habe, haben mich nicht ernst genommen, haben gesagt: Gülcan, Umweltthemen sind Luxusthemen, wir haben ganz andere Sorgen. Ich war so enttäuscht. Und dann dachte ich: Ich muss selbst was aufbauen und habe "Yeşil Çember" gegründet. Zunächst als Arbeitskreis unter dem Dach des BUND. Ich habe angefangen, Strukturen aufzubauen, Freiwillige zu mobilisieren. Und dann hat das Ganze immer mehr Dynamik gewonnen. Ich erinnere mich noch, als wir den ersten türkischen Umwelttag in der Oranienstraße veranstaltet haben. Der Saal war voll, auch das mediale Interesse war riesig. Darauf war ich gar nicht vorbereitet. Wir haben immer mehr Zulauf bekommen. Seit 2012 sind wir eine gGmbH.

Warum sind Themen wie Müllvermeidung oder Wassersparen in der türkischen Community nicht so verankert?

Es gibt kulturelle Unterschiede, auch wenn die natürlich nicht für alle Menschen gelten. Ich selbst bin auch Kind türkischer Gastarbeiter, und meiner Mutter war Umweltschutz sehr wichtig, so hat sie uns erzogen. Aber zum Beispiel glauben viele Familien, dass es keinen Sinn macht, den Müll zu trennen. Sie denken, der wird woanders sowieso wieder zusammengeschüttet. Sowas basiert teilweise auf Gerüchten. Wir haben dann zum Beispiel Ausflüge zum Recyclinghof angeboten oder zur Biomüllanlage, so dass die Menschen sehen können: Wenn ich meinen Biomüll trenne, auch wenn das erstmal umständlich ist und vielleicht stinkt, dann kann daraus Gas entstehen, Kompost entstehen, etwas Wertvolles. Oft beobachten wir da richtige Aha-Momente. Das wirkt.

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Wenn ich bei türkischen Familien zuhause bin, fällt mir auf, dass dort oft Chlorreiniger noch sehr gefragt sind, weniger sanfte Bio-Putzmittel.

Ja, auch wenn das inzwischen schon besser geworden ist. In migrantischen Familien ist es sehr wichtig, dass die Wohnungen blitzblank sauber sind, fast schon steril, die Frauen sind wahre Putzfetischistinnen. Aber: Die Verantwortung für Sauberkeit endet oft an der Wohnungstür. Für das, was draußen ist, was nicht ihnen gehört, fühlen sie sich nicht verantwortlich. Sie denken, die Stadt, die Straßenreinigung ist dafür zuständig. Wir haben viel Aufklärungsarbeit geleistet, um dieses Bewusstsein zu ändern.

Wie?

Uns ist es wichtig zu vermitteln: Du lebst in dieser Nachbarschaft, in diesem Stadtteil, du bist dafür mitverantwortlich. Wir haben zum Beispiel Kiezputzaktionen organisiert. Und die Resonanz darauf ist gut. Nicht nur, weil wir die Menschen in ihrer Muttersprache ansprechen können, sondern, weil wir sie da abholen, wo sie sind, und niedrigschwellige Angebote machen. Wir kommunizieren mit ihnen auf Augenhöhe, erklären ihnen, dass sie als Verbraucher Macht und Verantwortung haben. Dass es etwa ihre Wahl ist, was sie bei wem online bestellen. Aber dass sie damit auch eine Entscheidung treffen mit Blick auf Verpackungen, Transportwege und so weiter.

Wir nehmen die Menschen ernst, deswegen genießen wir ein hohes Vertrauen. Aber natürlich brauchen wir auch Zeit, Personal und Budget, um lokal Strukturen aufbauen zu können. In Neukölln zum Beispiel haben wir das geschafft, konnten die migrantischen Verbände mobilisieren, eine starke Community aufbauen. In anderen Stadtteilen fehlen uns die Ressourcen, um ähnliche Erfolge zu erzielen. Und leider sind manche unserer Projekte, auch das in Neukölln, jetzt von den Sparmaßnahmen des Land Berlin betroffen.

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Sie machen diese Arbeit seit fast zwei Jahrzehnten. Was überwiegt: Motivation angesichts der Erfolge? Oder fühlen Sie sich wie im Kampf gegen Windmühlen?

Teils, teils. Ich sehe immer noch viel Potenzial in migrantischen Communities. Wir arbeiten inzwischen auch mit der arabischen oder ukrainischen Community, und das nicht mehr nur in Berlin. Das spornt mich an, noch mehr Menschen erreichen zu können. Aber ich bin sehr enttäuscht von der Wirtschaft, der Politik. Ich erlebe in unseren Projekten, wie ältere türkische Frauen, die nicht mal lesen und schreiben können, sich ihrer Rolle in der Umwelt bewusstwerden und anfangen, Verantwortung für sie zu übernehmen. Andererseits haben Unternehmen keine Strafe zu befürchten, wenn sie umweltschädliche Produkte verkaufen, da gibt’s höchstens freiwillige Selbstverpflichtungen. Das macht mich wütend, auch auf die Politik, die hier schärfere Gesetze schaffen müsste.

Diese Kritik könnten Sie beim Umweltfest des Bundespräsidenten an prominenter Stelle platzieren. Inwiefern bedeutet es Ihnen etwas, sich dort präsentieren zu können?

Das ist schon wichtig. Nicht für mich persönlich, sondern weil wir die Stimme der Menschen sind, die wir seit so vielen Jahren erreichen wollen. Es wurden fast 200 Initiativen aus ganz Deutschland ausgewählt. Wir waren 2012 und 2016 schonmal dabei. Damals waren wir die einzige nicht-deutsche Initiative, diesmal sieht es meines Wissens nicht anders aus… Man muss dazu sagen: Man wird zwar ausgewählt, muss aber auch eine Standgebühr zahlen. Der kleinste Stand kostet 2.000 Euro. Wir haben zum Glück eine Förderung bekommen, aber das ist eine Hürde, die viele kleinere, auch migrantische Initiativen nicht überwinden können. Das zeigt sich dann auch im Publikum. Wir haben in unserer Community viel Werbung dafür gemacht, dass sich Leute als Besucher für die Veranstaltung anmelden, damit das Publikum in Bellevue ein bisschen gemischter ist. Immerhin haben Migranten mittlerweile einen großen Anteil an unserer Gesellschaft. Ich würde den Bundespräsidenten gerne bitten, die Veranstaltung in Zukunft etwas niedrigschwelliger und interkultureller anzulegen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Anna Corves.

Sendung: rbb24 Abendschau, 04.06.2024, 19:30 Uhr

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